Economy | Landwirtschaft

Nachhaltige Datensammlung

Erstmals versucht ein Forschungsteam der Eurac und der Uni eine wissenschaftliche Standortbestimmung für die Nachhaltigkeit der Südtiroler Landwirtschaft zu erstellen.
Bauer
Foto: Südtirolfoto/Helmuth Rier
Häufig hat man den Eindruck, dass beim Thema Nachhaltigkeit Gefühle und Meinungen mehr Gewicht haben als Daten und Fakten“, sagt Ulrike Tappeiner. Die Präsidentin der Uni Bozen und Leiterin des Institutes für Alpine Umwelt an der Eurac ist die Herausgeberin eines wissenschaftliche Zustandsberichtes, der einen Beitrag zur Versachlichung dieser Diskussion leisten soll.
Mit dem „Landwirtschaftsreport zur Nachhaltigkeit Südtirol 2020“ wollen die Autorinnen und Autoren – ein 16-köpfiges Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von Eurac Research und den Universitäten Bozen und Innsbruck – eine Grundlage für sachliche Auseinandersetzung und informierte Entscheidungen anbieten.
Die Datensammlung und ihre Analyse vermitteln ein Bild der ökologischen, sozialen und ökonomischen Säule der Landwirtschaft in Südtirol. Mit über 60 Abbildungen, die die Daten in Form von Karten, Grafiken und Tabellen aufbereiten, vermittelt der Report Informationen zu einem so breiten Spektrum an Themen wie Hofnachfolge, Tierwohl, Pflanzenschutz, die Rolle der Frau oder die wirtschaftliche Stabilität.
Trotz dieser Fülle an Fakten ist der Report nur ein erster Analyseansatz: Viele Lücken sind noch offen; viele Aspekte müssen vertieft werden. Der Report möchte ein Hilfsmittel sein, sich auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten – sowohl für Bäuerinnen und Bauern als auch für die breite Öffentlichkeit.  
 

Misstrauen abbauen

 
Und diese Herausforderungen sind beträchtlich, auch weil die Ansprüche an die Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten vielfältiger und höher wurden: Sie soll uns mit gesunden Nahrungsmitteln versorgen, erneuerbare Energien erschließen, schonend mit Ressourcen umgehen, zum Klima- und Artenschutz beitragen, die Landschaft erhalten, und mehr. Gleichzeitig scheinen Gesellschaft und Landwirtschaft sich immer weiter zu entfremden.
„Mit dem Report möchten wir auch zu einem verbesserten Dialog zwischen den beiden Seiten beitragen“, erklärt deshalb Ulrike Tappeiner.
 
 
 
Um ein möglichst genaues Bild des Sektors zu zeichnen, werden alle wichtigen Tätigkeitsbereiche einbezogen und die Situation der einzelnen Betriebe ebenso betrachtet wie Entwicklungen auf Landesebene. In vielen Bereichen fehlen für eine tiefergehende Analyse jedoch wesentliche Informationen und Daten, wie der Report aufzeigt.
Häufig haben wir festgestellt, dass gerade in sensiblen Bereichen wie dem Wasserverbrauch, dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln oder dem Zustand der Artenvielfalt nur wenige oder ungenaue Daten verfügbar sind“, erklärt der Ökologe Georg Niedrist.Eine systematische und transparente Datenlage kann mit dazu beitragen, das gegenseitige Misstrauen zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft abzubauen.
 

Problem Hofübernahme

 
Fundierte Informationen fehlen auch zu zahlreichen sozialen Aspekten. Verfügbare statistische Daten lassen zwar einige Problemfelder erkennen – so ist zum Beispiel in einem Fünftel der Südtiroler Gemeinden die Hofnachfolge ein besonders wichtiges Thema, weil mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Betriebe von über 60-Jährigen geleitet werden.
 

 

Jedoch müssten Faktoren wie Berufszufriedenheit, die Beziehungen zwischen den Generationen oder die Gefahr der Überlastung durch Nebenerwerb und neue Tätigkeitsfelder eingehender untersucht werden, wolle man das System Familienbetrieb wirkungsvoll unterstützen, so eine Forderung des Reports: Vor allem die sozialen Komponenten seien nämlich entscheidend für die Widerstandsfähigkeit des Sektors in Krisenzeiten.

 

Die Covid-Krise

 
Die jüngste Krise, die Covid-19-Pandemie, ist eingetreten, als der Bericht schon weitgehend fertiggestellt war, ihre Folgen konnten deshalb nicht mehr berücksichtigt werden. Besonders im wirtschaftlichen Bereich sind die Auswirkungen der Pandemie bereits spürbar. Die buchhalterische Datengrundlage entspricht somit nicht ganz der aktuellen Situation. Doch kommt das Autorenteam zu dem Schluss, dass die haupterwerblich geführten Betriebe in Südtirol solide finanziert sind und somit in Krisenzeiten durchaus resilient sein können. Die Einnahmen dieser Unternehmen lagen vor der Krise im Schnitt über denen der Nachbarregionen. Auch wenn die Ertragslage relativ niedrig war, brachten Finanzierungsstruktur und geringe ausgabenwirksame Kosten wirtschaftliche Stabilität – die in Krisenzeiten eine entscheidende Rolle spielen kann.
 
 
Abschließend zeigen die Autorinnen und Autoren Maßnahmen auf, die zu einer nachhaltigen Landwirtschaft beitragen können. Wichtige Ansatzpunkte sind dabei die Gestaltung der Förderpolitik, Ausbildung und Beratung – aber auch die Erfassung von Tierwohlindikatoren, neue Marketingkonzepte und die Sensibilisierung der Konsumenten: Wir alle sollten zum Beispiel lernen, nicht nur ästhetisch perfekte Lebensmittel zu akzeptieren, und bereit sein, einen fairen Preis für unsere Nahrungsmittel zu bezahlen.
 

Der Report

 
 
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Karl Gudauner Fri, 05/07/2021 - 15:47

Diese Grundlagenarbeit ist ein wichtiger Baustein für die umfassende Aufbereitung der Fakten für einen - hätte man früher gesagt - Landesentwicklungsplan. Die Herausforderung besteht darin, kohärente Werte und aufeinander abgestimmte Ziele und Maßnahmen für die ökonomischen, sozialen und ökologischen Perspektiven mit dem Zeithorizont 2050 zu erarbeiten. Die Studie macht deutlich, dass die ökologischen Brennpunkte eine entscheidende Rolle für die Lebensqualität und die Standortchancen spielen. Der LEROP hatte meist nur sektorenspezifische Planungsziele aufgelistet ohne die Lösung real bestehender Interessenskonflikte zu thematisieren und einen Finanzierungsrahmen abzustecken. Die Sprache dieser Fachexpertise der Eurac ist wohltuend sachlich. Das wirkt sich hoffentlich auch auf die öffentliche Diskussion aus, die zu diesen strategischen Weichenstellungen auf jeden Fall zu führen ist.

Fri, 05/07/2021 - 15:47 Permalink
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Salto User
Silke Raffeiner Tue, 05/11/2021 - 10:52

Mit großem Befremden habe ich im Landwirtschaftsreport den Abschnitt "Grüne Gentechnik" auf Seite 59 gelesen. Offenbar erleben wir in der Südtiroler Landwirtschaft gerade einen totalen Paradigmenwechsel, denn die Autoren Hannes Schuler und Simon Unterholzner plädieren eindeutig FÜR den Einsatz von gentechnischen Verfahren in der Pflanzenzüchtung. Bleibt nur zu hoffen, dass der Europäische Gerichtshof standhaft bleibt und auch weiterhin Pflanzen, die mittels CRISPS/Cas-Genomeditierung modifiziert wurden, als gentechnisch veränderte Organismen einstuft - mit der Konsequenz, dass deren Anbau streng reguliert ist und hoffentlich bleibt. Wetten, dass sich unter den erwähnten "117 führenden europäischen Forschungseinrichtungen", die eine "Überarbeitung" spricht Aufweichung der bisherigen Rechtssprechung des EuGH fordern, auch das Versuchszentrum Laimburg befindet???
Hilfreiche Informationen zur Cis-Genetik und überhaupt zu neuen Gentechnik-Verfahren sind hier zu finden:
https://www.gentechnologie.ch/images/stories/pdfs/2021/Factsheet_Cisgen…
https://www.gentechnologie.ch/images/stories/pdfs/2018/Neue_gentechnisc…

Tue, 05/11/2021 - 10:52 Permalink
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Evi Keifl Tue, 05/11/2021 - 11:02

Wie jetzt: Grüne Gentechnik? Verstehe ich da was nicht richtig? Die Milchwirtschaft rühmt sich der Gentechnikfreiheit und die Apfelwirtschaft plädiert für gentechnisch veränderte Sorten? Gibt es da Erklärungsbedarf oder komme nur ich nicht mehr mit?

Tue, 05/11/2021 - 11:02 Permalink