Culture | Blick von außen

Visionen für den Busbahnhof

Studierende der TU Wien erklären, wie sie sich das Bozner Busbahnhofareal in Zukunft vorstellen. Individuelle und zum Teil überraschende Lösungen – ohne Einkaufszentrum.

“Bozen ist städtebaulich an seine Grenzen gestoßen. Daher haben wir uns die Frage gestellt: Was passiert jetzt?” 'Wir', das sind David Calas und seine StudentInnen. Gebürtig aus Bozen, lebt und wirkt Calas inzwischen in Wien, wo er unter anderem an der dortigen Technischen Universität lehrt. Unter dem Titel “Endstation Bozen: Visionen und Ausblicke” arbeitete er im Rahmen einer Lehrveranstaltung gemeinsam mit 28 StudentInnen aus 9 Nationen ein Semester lang an neuen, einzigartigen und innovativen Lösungen für den Busbahnhof und das angrenzende Viertel. “Die Wahl des Busbahnhofareals ist schnell erklärt: Es findet seit nunmehr vielen Monaten eine aufgeheizte Debatte darum statt. Die akademische Auseinandersetzung damit fehlt aber komplett.” erklärt Calas.


Einer toten Zone Leben einhauchen

Die Visionen, die seine StudentInnen in den vergangenen Monaten für den Busbahnhof entworfen haben, wurden am vergangenen Freitag in der Weigh Station for Culture präsentiert. Zahlreich waren interessierte BürgerInnen ins Kunst- und Kulturzentrum am Bozner Kornplatz geströmt. Aufmerksam lauschten sie den Kurzpräsentationen der anwesenden Studierenden. “Es ist erfrischend, einmal einen Blick von außen auf die Sache und das Areal vorgestellt zu bekommen”, waren sich die meisten im Publikum einig. Ein solcher bringe eine neue Vielfalt und Qualität in die Debatte und werfe zum Teil unerwartete und neue Perspektiven auf die Busbahnhof-Diskussion.

Kursleiter und Architekt David Calas bei der Eröffnung der Ausstellung am vergangenen Freitag: “Die eigene Haltung eines jeden Studierenden spiegelt sich in den Arbeiten wider.”

“Die Aufgabenstellung war, diese zur Zeit tote Zone um den Busbahnhof in Bozen aufzuwerten. Bei einer Exkursion im Frühjahr haben wir uns gemeinsam die Stadt und den Bahnhof angeschaut und überlegt, wie wir vorgehen könnten”, berichtet Viktoria Ertl. Sie stammt aus Kärnten und ist mit ihren KollegInnen zur Präsentation der Ergebnisse nach Bozen gekommen. “Einerseits sollte die Gegend aufgewertet werden, aber gleichzeitig auch so viel wie möglich des bereits existierenden Bestands beibehalten werden. Auch der Park sollte eine Aufwertung erfahren und nicht zugebaut oder auf eine andere Weise beseitigt werden.” Was würde urbanistisch in die Zone passen, was wünschen sich die Menschen von Bozen, was braucht die Stadt? Diese und andere Fragen haben die Studierenden sich und den BoznerInnen gestellt und schließlich individuelle Zugänge und Lösungen gefunden.

Die Studentinnen und Studenten mit Kursleiter David Calas und den Verantwortlichen der Weigh Station for Culture. Foto: Facebook/Studio Calas


Visionen ohne Einkaufszentrum

Wohnraum für Familien und Studenten, Arbeitsplätze für Kreative und Künstler, Gastronomielokale, Hotels, Büro- und Jugendräume, Museen oder ein Kongresszentrum – all das könnten sich die StudentInnen in Zukunft am Bozner Busbahnhofareal vorstellen. Einzig ein Einkaufszentrum sucht man vergebens in den ausgestellten Projekten. “Ein Einkaufszentrum sollten wir in unseren Arbeiten so weit als möglich vermeiden”, erklärt Elisa Zambarda. Sie kommt aus Bozen und gesteht: “Für mich war es besonders schwer, eine Zukunftsvision für meine Stadt zu entwerfen. Die anderen konnten einen viel objektiveren Blick auf das Ganze werfen. Für mich war es jedoch eine Herausforderung, ich war voller Ideen und wollte alle Befindlichkeiten der Stadt und des Landes – wie etwa die Mehrsprachigkeit – in mein Projekt einfließen lassen”, so die junge Studentin. Die Gelegenheit, Bozen und seine Eigenarten kennenzulernen hatten jedoch auch ihre StudienkollegInnen. “Bei einem Besuch im Showroom der KHB am Bozner Musterplatz im März haben wir gesehen, was wir nicht machen sollten”, schmunzelt Viktoria Ertl. Kursleiter Calas präzisiert: “Wenn jemand ein Einkaufszentrum dort argumentieren konnte, wäre es auch ok gewesen.” Doch schließlich war es gar nicht so schwer, Alternativen zu einer Shoppingmall zu finden, wie die StudentInnen bestätigen.

Doch was passiert nun mit den Arbeiten? Sie einfach in der Schublade verschwinden zu lassen, wäre wohl zu schade. “Ich erhoffe mir, dass sich die Politik die Projekte anschaut”, so Calas. Einige Bozner Gemeinderäte, sowohl der aktuellen als auch der früheren Mehrheit, waren seiner Einladung in die Weigh Station bereits am Freitag gefolgt – “überraschend viele”, freut sich der Architekt. Die Inhalte der Uni-Arbeiten sollen allerdings nicht als Projekte Eins-zu-Eins übernommen werden, sondern: “Mein Wunsch wäre es, dass die Politik sich hier Ideen für die Neugestaltung des Busbahnhofs mitnimmt”, sagt Calas. Noch bis Dienstag, 8. September, sind die Entwürfe und Modelle der einzelnen Projekte in der Weigh Station for Culture ausgestellt. Und wer weiß, vielleicht lässt sich der eine oder andere Interessenvertreter von dem jugendlichen, internationalen Geist und den unerwartet vielfältigen und neuen Visionen anstecken?


Erste Eindrücke von den 28 Projekten finden Sie in der Bildergalerie.

Bild
Profile picture for user Mensch Ärgerdichnicht
Mensch Ärgerdi… Mon, 09/07/2015 - 11:34

“Ein Einkaufszentrum sollten wir in unseren Arbeiten so weit als möglich vermeiden”.
“Bei einem Besuch im Showroom der KHB am Bozner Musterplatz im März haben wir gesehen, was wir nicht machen sollten”
Für Studierende wäre es schon angebracht zu erklären wieso. Etwas im vorhinein auszuschließen ohne zu erklären warum, macht nicht gerade den Eindruck als wäre diese Entscheidung wissenschaftlich fundiert. Überhaupt dieses "sollen" hat einen ganz eigenen Klang.

Mon, 09/07/2015 - 11:34 Permalink