Society | Alter

„Keiner will einen Seniorenteller“

Der Berater Frank Leyhausen über den demografischen Wandel, die Herausforderungen des Rentenalters und die zögerliche Haltung von Politik und Wirtschaft.
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Foto: salto

Salto.bz: Herr Leyhausen, wollen Sie wirklich ernsthaft behaupten, dass Altern schön sein kann?
Frank Leyhausen: Klar kann es schön sein. Leider ist es so, dass es vorwiegend ein negatives Altersbild gibt. In Deutschland aber auch im Rest der Welt wird Alter nur mit negativen Dingen verbunden. Die Gesellschaft, die Politik, die Wirtschaft und die allgemeine Wahrnehmung übernehmen diese sehr stereotypen Altersbilder. Dabei ist genau das der Punkt, den man realistischer betrachten sollte. Sie haben vollkommen Recht, das Alter ist nicht nur schön. Das Alter ist aber auch nicht nur schlecht. Das Alter hat viele Facetten und darum geht es eigentlich.

Zwischen 1946 bis 1964 gab es in Europa die geburtenreichsten Jahrgänge. Wir sind es, die jetzt einen demografischen Wandel unserer Gesellschaft einleiten?
Diesen Trend kennen wir seit 20, 30 Jahren. Und das ist dann auch die Herausforderung. Der demografische Wandel geht langsam aber bestimmt vor sich. Deshalb hat dieser Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung nie den Stellenwert und die Prominenz bekommen, wie etwa die Euro-Umstellung oder die Umstellung im Jahr 2000. Große Projekte, die einen klaren Stichtag haben, genießen traditionell weit mehr Aufmerksamkeit. Das gibt es beim demografischen Wandel nicht, der geht einfach so vor sich hin. Aus diesem Grund hat diese Entwicklung nicht jenen Stellwert, der ihr eigentlich gebührt. Vor allem bei den Behörden und der Politik.

Wird sich die Gesellschaft durch die Überalterung grundlegend verändern?
Grundlegend ist ein großes Wort. Ich würde aber schon sagen: Der immer größer werdende Anteil an älteren Menschen in den Ländern Europas verändert die Gesellschaft auf jeden Fall. Sowohl auf den Arbeitsmärkten, wie auch auf der Kundenseite wird sich nachhaltig etwas ändern.

Nehmen wir den Brexit. Dort sagt man, die Alten haben den Jungen den Weg in die Zukunft versperrt?
Das teile ich so nicht. Sondern ich würde sagen, es sind weniger Junge als Alte zur Wahl gegangen. Das ist ein Problem, das vor allem Politiker durchaus wahrnehmen. Die Wahlbeteiligung ist in älteren Altersgruppen höher, als in jüngeren Altersgruppen. Dass dann die Jüngern sagen, die Alten haben uns den Brexit beschert, sie selber aber nicht zur Wahl gegangen sind, halte ich nicht für schlüssig. Ähnlich ist es derzeit in Kolumbien. Dort sind jene, die sowieso von der Einigung mit der FARC überzeugt waren, nicht zur Wahl gegangen und sie sind jetzt enttäuscht, dass ein so knappes Ergebnis herausgekommen ist.

ZUR PERSON
Frank Leyhausen, geboren 1969, ist geschäftsführender Gesellschafter der Medcom international GmbH, Bonn. Bevor er 2000 bei MedCom begann war er über 10 Jahre in der Finanzdienstleistung tätig. Bei MedCom verantwortet er die Beratung von Unternehmen, NGOs wie auch staatliche Organisationen auf Bundes- und Landesebene bei der Bewältigung der Herausforderungen des demographischen Wandels. Im Fokus der Arbeit stehen praxisorientierte Konzepte, die das Altern per se nicht als Belastung bewerten, sondern die Potenziale und Möglichkeiten dieser gesellschaftlichen Entwicklung in den Vordergrund stellen.

Sie beraten Unternehmen. Muss die Wirtschaft ältere Menschen anders behandeln als Jüngere?
Alter per se ist eine schlechte Selektion. Man kann in der Wirtschaft nicht sagen, das ist etwas für Menschen mit 50, 60 oder 70 Jahren. Wir gehen von sogenannten Life-Stage-Events aus. Also von besonderen Ereignissen im Lebenslauf. Da gibt es im Alter zwei, drei ganz signifikante Veränderungen, die dazu führen, dass der Mensch andere Bedürfnisse hat.

Das wären?
Zum einen der Ruhestand. Das ist ein ganz großes Thema. Menschen beginnen plötzlich einen ganz neuen Lebensabschnitt. Sie sind meisten ganz schlecht darauf vorbereitet. Denn plötzlich ändert sich die Struktur ihres Lebens völlig. Vorher hatte jeder Tag und jede Woche eine klare Struktur: Aufstehen, Arbeiten gehen; Wochenende usw. Jetzt aber haben sie plötzlich sieben Tage die Woche frei. Treffen vielleicht 24 Stunden lang am Tag zum ersten Mal in ihrem Leben auf ihre Frau oder ihren Mann. Das muss organisiert werden. Zudem stellt sich für viele plötzlich die Frage: Was mache ich mit meiner Zeit? Was mache ich mit meinem Leben? Wer braucht mich?

Viele Pensionisten entwickeln einen besonderen Aktivismus?
Es gibt verschiedene Umgangsformen. Fakt aber ist, nur wenige beschäftigen sich vorher wirklich ernsthaft mit diesen Fragen. Alle glauben, wenn sie in Ruhestand gehen, dann ist das endlos Urlaub, jeden Tag Golfspielen und Weintrinken. Nur wenn man das auch tut, nach einer gewissen Zeit verliert das seinen Reiz. Und dann überlegt man sich: Wofür stehe ich morgens auf? Und da gibt es die verschiedensten Reaktionen und Situationen. Manche gehen ins Ehrenamt, manche können aufgrund ihrer Ausbildung eine Art Beratungstätigkeit ausüben, manche müssen aus ihrer finanziellen Lage heraus, noch eine Nebentätigkeit ausüben. Andere hingegen sind ganz zufrieden und entwickeln vielleicht auch kreative Talente, in dem sie malen oder ein Buch schreiben. Da gibt es unterschiedlichste Modelle. So unterschiedlich wie die Menschen eben sind

„Keiner will aufgrund seines Alters in eine Ecke gedrückt werden.“

Was raten Sie einem Pensionisten?
Man soll sich aktiv damit auseinandersetzen. Ganz bewusst. In Deutschland haben wir momentan ein Renteneintrittsalter von 67. Ich würde mich Ende 50 mal hinsetzen, bei einem guten Glas Wein und mir überlegen, was mach ich mache, wenn der Tag da ist. Und mich unbedingt dabei mit meinem Partner besprechen. Vielleicht habe ich ja im Kopf, ich bleib zuhause und gärtnere ganz toll herum und meine Frau denkt, um Gottes willen, er soll mir ja nicht im Garten herumlaufen. Die Rente ist ein neuer Lebensabschnitt, den man mit seinem Partner gemeinsam besprechen sollte. Vor allem aber sollte man sich damit bewusst auseinandersetzen und es nicht verdrängen bis zum letzten Tag.

Reagieren Politik und Wirtschaft angemessen auf diesen demografischen Wandel?
Ich würde sagen Jein. Es gibt Branchen, ob es jetzt die Pharmaindustrie ist oder die Apotheken, die aus ganz natürlicher Ausrichtung mitziehen. Für diese Sparten ist es tägliches Business. Sie haben seit jeher mit älteren Menschen zu tun und für sie werden es jetzt einfach nur mehr. Aber gerade im Technologiebereich tut sich noch wenig. Wenn ich mir die Hersteller im Mobilfunk anschaue oder jene im Computerbereich, dann tut sich da sicher noch viel zu wenig. Was für mich völlig unlogisch ist.

Warum?
Nehmen wir den Markt der Smartphones. Der ist völlig abgedeckt. Wenn man einen neuen Markt erschließen möchte, dann wäre das der Bereich der alten Leute. Dort wäre noch viel zu holen. Aber es tut sich nichts.

„Alle glauben, wenn sie in Ruhestand gehen, dann ist das endlos Urlaub, jeden Tag Golfspielen und Weintrinken.“

Weil niemand ein Senioren-Handy oder ein Senioren-Auto kaufen will?
Das will keiner. Das ist dann auch der große Fehler, den viele machen. Keiner will einen Seniorenteller essen, wenn er älter ist. Genauso wie kein Kind einen Kinderteller essen will. Keiner will aufgrund seines Alters in eine Ecke gedrückt werden. Was fehlt ist eine vernünftige Beratung am Verkaufsstand und eine Schulung und Erklärung. Man muss sich einfach wieder die Zeit nehmen, wenn man ein Auto oder ein technisches Gerät verkauft, den älteren Kunden das ordentlich zu erklären. Doch genau daran fehlt es. Hier könnte man eine ganz großen, neuen Bereich in der Serviceleistung kreieren.

Wird die Wirtschaft darauf reagieren?
Früher oder später sicher. Aber meine Meinung nach viel zu spät.

Sie sind ein Endvierziger. Was werden Sie mit 70 tun?
Ich hoffe, das was ich heute mache. Wenn ich es noch kann.


Altersloses Südtirol 2050

Das 8. Global Forum Südtirol 2016 steht am Freitag im Zeichen des demographischen Wandels.

Seit 1960 ist das Durchschnittsalter der Weltbevölkerung um 18 Jahre gestiegen. Jedes zweite Kind, das heute in Westeuropa geboren wird, hat die Chance 100 zu werden. Auch der Bevölkerungsanteil der über 64-jährigen wächst überdurchschnittlich - Anfang der 1960er Jahre waren knapp 10 Prozent der italienischen Bevölkerung 64 Jahre und älter, 2014 zählen wir bereits 22 Prozent und für 2050 wird prognostiziert, dass mehr als jeder Dritte Italiener jenseits der 64 Jahre sein wird. Klar ist, wer heute 60 wird, ist nicht mehr auf dem Weg in den Ruhestand, sondern befindet sich in der Mitte der Gesellschaft und plant vielleicht sogar den zweiten Aufbruch - im Job, in der Partnerschaft, in der Freizeit. Die alterslose Gesellschaft ist eine der intensivsten Umwälzungen des 21. Jahrhunderts. Auf allen Kontinenten. Von der Ersten bis zur Dritten Welt, vor allem aber in den westlichen Industrieländern. Südtirol macht hier keine Ausnahme.

Mit diesem Thema beschäftigt sich heuer das 8. Global Forum Südtirol. Geleitet vom Christian Girardi werden am Freitag, ab 15 Uhr an der Freien Universität Bozen Florian Kohlbacher, Direktor von „The Economist Corporate Network“ Nordasien) über „Alterslos und Transgenerational - Geschäftschancen und Herausforderungen in der alternden Gesellschaft“ und der Vizepräsident von IMB-Europa und Chef der firmeneigenen Forschungsabteilung in Zürich, Alessandro Curioni über „Die Zukunft der Digitalisierung - Chance für die alterslose Gesellschaft“ referieren.
Ab 18 Uhr folgt eine Podiumsdiskussion mit Frank Leyhausen, Verena Oberrauch, Barbara Pizzinini, Lukas Prantl und Artur Schmitt.