Economy | AFI-Barometer

Wirtschaft gut, alles gut?

Eigentlich sind die aktuellen Zahlen zu Beschäftigung und Preisentwicklung Grund für Optimismus. Doch unter der Arbeitnehmerschaft herrscht derzeit große Verunsicherung.
Galerie in Bozen
Foto: Seehauserfoto
  • Im Herbst präsentiert sich die Zwischenbilanz 2023 für Südtirols Wirtschaft durchwachsen, so das Ergebnis des Herbst-Barometers vom Südtiroler Arbeitsförderungsinstitut (AFI) . Positives zu berichten gebe es mit Blick auf Arbeitsmarkt, Tourismus und Inflation. Andererseits zeige sich die Kreditdynamik mit Juli erstmals rückläufig und Südtirols Außenhandel schwächelt. In der Herbst-Umfrage des AFI zeigen sechs von sieben Stimmungsindikatoren nach unten – einige mehr, andere weniger. 

  • Stefan Perini: „Dafür muss die Politik Geld in die Hand nehmen und ihre Budgets umgestalten.“ Foto: Team K

    Dazu sagt AFI-Direktor Stefan Perini: „Die Stimmung bei Südtirols Arbeitnehmer*innen ist aktuell schlechter als die Lage - Ausdruck einer allgemeinen starken Verunsicherung.“ Möglicherweise hat das AFI bei seiner standardisierten Erhebung abseits von Wirtschaftswachstum, Zinsentwicklung und Vollbeschäftigung wesentliche Faktoren für das Wohlbefinden einer Gesellschaft außer Acht gelassen – etwa die psychische Gesundheit oder das steigende Risiko von Wetterextremen durch den sich verschärfenden Klimawandel. 

    Perini meint hierzu: „Der Klimawandel ist eine der zentralen Herausforderungen der nächsten Zeit, neben der Digitalisierung und der demografischen Entwicklung. In Bezug auf Klimawandel und Arbeitnehmer*innen haben wir als Arbeitsförderungsinstitut gemerkt, dass neben den ökologischen Aspekten auch die sozialen berücksichtigt werden müssen. Sonst riskieren wir einen großen Teil der Gesellschaft beim Klimaschutz nicht mitzunehmen.“ Dass die Klimakrise nicht im Bericht des AFI-Barometers auftauche, sei schlicht der Nachlässigkeit wegen. 

    Mit dem moderaten Wachstum sei man von einer Rezession also noch entfernt. 

  • Der AFI-Direktor plädiert grundsätzlich dafür, politische Maßnahmen zur Eindämmung der globalen Erderwärmung in Südtirol sozialverträglich zu gestalten. „Dafür muss die Politik Geld in die Hand nehmen und ihre Budgets umgestalten. Ich hoffe, dass das Thema Klimawandel auch in den nun anstehenden Koalitionsgesprächen einen hohen Stellenwert bekommt. Minder bemittelte Familien können es sich nicht leisten, ihr Haus oder ihre Wohnung energetisch zu sanieren. Auch bei Kondominien findet man sehr häufig nicht die Mehrheiten, um diese Gemeinschaftsentscheidung dann wirklich in die Umsetzung zu bringen. Gerade das Auslaufen des Superbonus-Programms mit 110 Prozent ist dafür nicht förderlich, obwohl ich ihn übertrieben finde. Es braucht Förderprogramme mit Hinblick auf Familien, die es finanziell aus eigener Kraft nicht schaffen.“ 

    Laut dem aktuellen AFI-Barometer kommen 37 Prozent der Arbeitnehmer*innen nur schwer über die Runden, weil das Geld nicht bis ans Monatsende reicht. Die Lage bleibe hier angespannt (Indexwert: -10). Außerdem glaubt mehr als die Hälfte der Befragten nicht, in den nächsten Monate sparen zu können: 48 Prozent der Befragten gehen davon aus, in den nächsten zwölf Monaten Geld auf die hohe Kante legen zu können, während 52 Prozent angeben, dass dies nicht möglich sein wird. 

  • Finanzielles Auskommen: 37 Prozent der Befragten haben Schwierigkeiten, ihren Lebensunterhalt bis zum Monatsende mit ihrem Gehalt zu decken. Foto: AFI
  • Wirtschaftslage

    Im Herbst 2023 bleiben die Wachstumsaussichten für die Weltwirtschaft verhalten. Die Weltwirtschaft expandiert sowohl 2023 als auch 2024 nur moderat. Die Investitionstätigkeit bleibt in Europa kraftlos. Mitgrund dafür sind die steigenden Zinsen, die von der Europäischen Zentralbank (EZB) seit Juli 2022 in mehreren Schritten um insgesamt 4,5 Prozentpunkte angehoben worden sind. Andere Rahmenbedingungen wiederum haben sich verbessert: Die Lieferkettenprobleme sind zwischenzeitlich überwunden, die Inflation bildet sich zurück, die Arbeitslosenraten in den Ländern der EU sind auf historische Tiefstniveaus abgesunken. 

    2024 könnte die Zinswende eintreten, sofern die geopolitischen Spannungen wie der Ukraine-Krieg und der Nahostkonflikt zwischen Israel und Palästina das Szenario nicht plötzlich ändern, mit massiven Auswirkungen auf die Versorgungslage, dem Wiedereintreten von Lieferengpässen und einer Erhöhung der Energiepreise. Die Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2023 von dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) und anderen schätzt für 2023 folgende Wachstumsraten: Euroraum +0,5 Prozent, Deutschland -0,3 Prozent, Österreich +0,1Prozent, Italien +0,6 Prozent. 2024 soll es dann mit etwas gesteigertem Tempo weitergehen (Euroraum +0,9%, Deutschland +0,7%, Österreich +1,3%, Italien +0,9%).

  • AFI-Direktor Stefan Perini und AFI-Präsident Andreas Dorigoni: Die Arbeitnehmer*innen durchleben laut ihren Umfragen in den letzten drei Jahren ein „Wechselbad der Gefühle“. Foto: SALTO
  • Die Eckzahlen

    Auch die Zwischenbilanz 2023 für Südtirols Wirtschaft sei in Summe zufriedenstellend, zeige aber bereits erste „Ermüdungserscheinungen“. Der Arbeitsmarkt zeige sich noch solide, mit einer positiven Beschäftigungsdynamik in den ersten neun Jahresmonaten (+2,0%) und einer Arbeitslosenrate auf Niedrigstniveau (1,3%). Der Tourismus, der im Bericht als einziger der Südtiroler Wirtschaftssektoren explizit genannt wird, blicke auf ein gutes Zwischenergebnis zurück (Zeitraum Jänner bis August, +6,8% an Nächtigungen zum Vorjahr). Die Inflation bilde sich stark zurück – sie lag im September in Bozen bei 4,7 Prozent. Auffällig dabei ist, dass seit Juli 2023 die Inflationsrate in Bozen unter der gesamtstaatlichen bleibt. 

    Doch die Signale einer konjunkturellen Abschwächung sind nicht zu verkennen: Im zweiten Jahresquartal 2023 schwächelte der Südtiroler Außenhandel. Das Kreditvolumen zeigte sich im Juli erstmals rückläufig (-0,3% im Vorjahresvergleich), vor allem bei den Unternehmen (-1,1%). Und dass die positive Beschäftigungsdynamik noch lange Zeit anhält, gelte alles andere als sicher.

  • Stimmung und Aussichten

    Seit der Corona-Pandemie schlagen die Stimmungsindikatoren des AFI-Barometers stärker nach unten und nach oben aus als dies in den zehn Jahren zuvor der Fall war. Südtirols Arbeitnehmer*innen würden in den letzten drei Jahren sprichwörtlich ein „Wechselbad der Gefühle“ durchleben. 

    So verwundere es auch nicht, dass sich die Aussichten, was die Entwicklung der Südtiroler Wirtschaft in den nächsten zwölf Monaten anbelangt, wieder verschlechtert haben (aktueller Indexwert: +2). Die Arbeitslosenzahlen dürften stabil bleiben. Das Risiko, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren, ist so gut wie nicht präsent. Parallel dazu haben sich die Perspektiven für Arbeitnehmer*innen, einen gleichwertigen Job zu finden, zum zweiten Mal deutlich eingetrübt, was – wenn in der nächsten Umfrage bestätigt – eine Abschwächung der Beschäftigungsdynamik anzeigen würde.

  • AFI-Vertrauensindex: Im Vergleich zu den Jahren vor Ausbruch der Corona-Pandemie ist das Vertrauen der Südtiroler*innen in die Wirtschaft gesunken. Foto: AFI
  • Insgesamt betrachtet bleiben eine Reihe von Rahmenbedingungen für die Südtiroler Wirtschaft auch 2024 günstig: Der Lohn-Schub im öffentlichen Dienst stärkt die Kaufkraft der Betroffenen und treibt das Schwungrad der Löhne in Südtirol wieder an und die sinkende Inflation knabbere in geringerem Maß Kaufkraft und Erspartes an. Die Perspektiven für den Tourismus würden gut bleiben und der solide Arbeitsmarkt sei ein Garant für Stabilität.

    Eine steigende Zahl an Faktoren sei für Südtirol allerdings als problematisch zu werten: Die Wachstumsimpulse aus dem Ausland werden nachlassen, und damit auch Südtirols Außenhandelsgeschäft. Die hohen Zinsen bremsen die Investitionstätigkeit von Unternehmen und schrecken Private vor Bauprojekten ab, was sich in einer rückläufigen Kreditdynamik ausdrücken werde. Aufgrund der schleppenden Auftragslage dürfte das eine oder andere Unternehmen seine Personalaufnahmepläne nach unten revidieren.

    Für 2024 prognostiziert das AFI also ein Wirtschaftswachstum für die Südtiroler Wirtschaft von +1,0 Prozent. Mit dem moderaten Wachstum sei man von einer Rezession also noch entfernt. 

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Klemens Riegler Mon, 11/06/2023 - 23:21

Der AFI-Fragebogen ist für mich (wie immer) nur eine GEFÜHLSABFRAGE und hat noch nie die realen Zahlen gespiegelt. Noch weniger jene für die Zukunft. Siehe auch AFI-Barometer-Ergebnisse der letzten Jahre. Die Schätzungen für die Zukunft waren meist extrem pessimistischer als sie dann beim nächsten Barometer ausgefallen sind. Einflussnehmend wirken anscheinend auch Panikmache (Ängste schüren) durch Presse, Verbände, Lobbies und andere - auch politische - Kräfte. ... schade!

Mon, 11/06/2023 - 23:21 Permalink
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Josef Fulterer Tue, 11/07/2023 - 07:45

Bei wirtschaftlichen Verwerfungen gibt es immer J E N E die sich forsch eine besonders dicke Scheibe abschneiden.
Es wäre die Aufgabe der amtierenden Politiker, möglichst z e i t n a h regelnd ein-zu-greifen.

Tue, 11/07/2023 - 07:45 Permalink