Michil Costa: "Ich bin der Gewerkschafter für meine Mitarbeiter"
Herr Costa, in der Schweiz dürfen Manager verdienen wie viel sie wollen. Wie ist das Einkommen in Ihrem Hotel La Perla aufgeteilt? Gibt es eine Begrenzung nach oben?
Michil Costa: Ich habe vom Referendum in der Schweiz gehört, weiß aber nicht genau, wie die Frage an die Bevölkerung gestellt wurde. Das Ergebnis wundert mich auch. Bei uns im Betrieb haben wir eine Spreizung der Gehälter von 1 bis 5,2, das heißt der Chefkoch verdient das 5fache von einem Kellner. Seitdem wir das bei allen 85 Mitarbeitern eingeführt haben, merken wir, wie positiv sich das auswirkt auf das Arbeitsklima. Die Beschränkung und die transparente Handhabung bringen gute Energie.
Sie stellen Ihre erste Gemeinwohlbilanz vor, eine Bilanz, die nicht nur auf den Umsatz schaut, sondern auch Faktoren wie ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Partizipation der Mitarbeiter einberechnet. Funktioniert das?
Wir befinden uns tatsächlich seit längerem in einer Post-Wachstumsgesellschaft, das Wachstum hat bereits seine physiologische Grenze erfahren. Die Menschen fürchten sich vor großen Veränderungen, besonders wenn es ihnen gut geht und kein unmittelbarer Bedarf besteht, etwas anders zu sehen. Aber warum will man nicht an die Gemeinwohlökonomie (GWÖ) glauben? Weil man Angst hat vor Paradigmenwechsel, die ein anderes Denken erfordern als jenes auf eingefahrenen Geleisen. Wenn wir hingegen von unten starten, so wie ich mit meinen Mitarbeitern, und das langsam ausbaue, kann es funktionieren. Wir machen in diesem Jahr die erste Gemeinwohlbilanz (GWB) und ich habe mir fest vorgenommen, in zwei Jahren nur mehr bei jenen Lieferanten zu kaufen, die mir auch die ihre zeigen oder die eine Sozialbilanz vorweisen können.
So wollen Sie also das Modell nach außen tragen? Wie geht das konkret?
Für ein ethisches Beschaffungsmanagement muss ich mit jenen zusammenarbeiten, die diese GWÖ-Kriterien erfüllen. Aber auch mit den Mitarbeitern gilt es ständig darüber zu reden, denn es zeigt sich, dass immer wieder viele offene Punkte auftauchen. Jeden Freitag treffe ich mich mit den Mitarbeitern, um die großen und die kleinen Entscheidungen im Hotel auszudiskutieren.
Vielleicht schreckt diese Mitarbeitermitbestimmung viele Unternehmer ab?
Ja, das ist wahrscheinlich so und ich muss sagen, es ist auch nicht so einfach. Wir benutzen im Hotel La Perla eine eigene Software, wo alle miteinander kommunizieren und ihre Bedürnisse und Wünsche äußern können. Jeden Monat starten wir eine Umfrage, was die Mitarbeiter gerne hätten, und da kommt einiges zurück.
Was sind das für Wünsche? Was wollen die Mitarbeiter?
Zum Beispiel wurde letzthin der Wunsch nach einer größeren Waschküche für die Mitarbeiter geäußert, oder ein anderer Wunsch war, dass sie gerne das Schwimmbad und das Spa benutzen würden. Dann hat mein Vater gesagt, das geht nicht, die Mitarbeiter können nicht mit den Hausgästen schwimmen gehen und darüber wurde dann abgestimmt. Jetzt gehen die Mitarbeiter schwimmen und können sich auch von den Masseuren massieren lassen, zu einem politischen Preis von 5 Euro für 50 Minuten. Dieses Geld kommt in unsere Familienstiftung, die Projekte in Tibet und Uganda durchführt.
Geht es immer so reibungslos zu bei der Mitarbeitermitbestimmung?
Nein, wie gesagt. Voriges Jahr hatten wir 600.000 Euro zur Verfügung für Investitionen im Hotel und haben unsere 12 führenden MitarbeiterInnen gefragt, was wir damit anfangen können. Ich habe vorgeschlagen, dass wir diese Waschküche bauen, die sich die Mitarbeiter eben wünschen. Dann meinte aber der Barchef, das sei schon gut und recht, aber eigentlich bräuchten die Zimmer im 1. Stock eine Renovierung, denn die sind alt. Dann sage ich, ja aber der Wunsch der Mitarbeiter ist ja ein anderer. Wir haben abgestimmt, und was ist rausgekommen? Die Zimmer! Und die Mitarbeiter sind immer noch ohne Waschküche. So komme ich dazu, den Gewerkschafter für unsere Mitarbeiter zu machen, paradoxerweise. Weil meine führenden Mitarbeiter schon fast „unternehmerischer“ als ich denken.
War das für Sie schwierig, hier als Chef zurückzutreten?
Man kann einen solchen Prozess nur lostreten, wenn man selbst davon absolut überzeugt ist und das bin ich. Für mich sind diese Schwierigkeiten nicht überraschend, Konflikte gab es allerdings mit meinen Eltern. Die haben eine ganz andere Geschichte, haben Not und Hunger kennengelernt und kommen aus der Bauerngesellschaft, sie haben alles aufgebaut. Ich habe nie wirkliche Härten gespürt.
Die Kritiker sagen, mit der GWÖ kehren wir zurück zu sozialistisch-marxistischen Strukturen, weil damit ein ideologischer Zwangscharakter einhergeht. Wie haben Sie Ihre Mitarbeiter vom Gemeinwohlgedanken überzeugen können?
Ich bin kein Prediger, sondern lebe meine Überzeugungen und trage die auch weiter. Wenn ich über den Overshoot-day rede, also dass wir am 21. August die Weltressourcen, die uns für ein Jahr zur Verfügung stehen, bereits aufgebraucht haben, dann sage ich das vor meinen Mitarbeitern. Die Bodenausnutzung und Wasserknappheit, die soziale Schere, die immer weiter auseinanderklafft, auch davon spreche ich und meine Mitarbeiter kennen die Themen. Das ist die Basis für die Veränderung im Denken.
Wie lange hat das gedauert, in Ihrem Luxushotel die Gemeinwohlökonomie anzuwenden?
Wir haben jetzt 2 Jahre lang sehr intensiv daran gearbeitet. Jetzt entwickelt sich das weiter, aber sehr viel ist noch offen, zum Beispiel in Sachen ökologische Nachhaltigkeit. Was tun wir mit dem amerikanischen Gast, der von New York zu uns herfliegt? Wie fangen wir das auf? Ich habe meinen Gästen eine moralisch-ethische Verpflichtung auferlegt, wenn sie bei uns übernachten wollen. Am Freitag gibt es kein Fleisch, wir essen keinen Fisch oder Fleisch aus Übersee und im Sommer gibt es keinen Apfelstrudel, weil ich keine Äpfel aus Kühlhallen verwenden will. Für den Amerikaner haben wir die CO2-Emissionen berechnet und diese mit 100 Dollar beziffert, das ist zwar kein ganz gültiger Ausgleich, doch er bezahlt 50 Dollar und das Hotel bezahlt dieselbe Summe in eine gemeinnützige Kasse ein.
Bei den Gästen klappt es also. Wie reagieren Lieferanten auf Ihre Forderungen?
Genau darüber reden wir in den nächsten Wochen, wie wir da hinkommen. Natürlich können wir von einer Firma Wörndle nicht umgehend eine Gemeinwohlbilanz verlangen, aber wir können mit diesem Lieferanten ausmachen, dass die 5 Punkte, die uns wichtig sind, dort eingeführt werden.
Wieviele Lieferanten hat das Hotel Perla?
An die 200 bis 300, aber da will ich hinkommen. Es gibt aber sicher solche Fälle, wo das nicht geht. Unser Chefkoch hat uns nach 25 Jahren verlassen, weil er mit dem System nicht einverstanden war. Er war es gewohnt, seine Köche so zu behandeln, wie er es wollte. Eben die alte Schule und sehr viel arbeiten, aber das kann ich nicht mittragen. Wir haben das natürlich besprochen, die Konsequenz war, dass er ging, nach 25 Jahren im La Perla. Das war nicht einfach, weder für ihn, noch für uns. Das Schöne daran ist, dass wir jetzt einen hochmotivierten zweiten Koch haben, der voll und ganz mit dem GWÖ-Konzept einverstanden ist.
Wie wird dieser Gedanke von den Verbänden und Politikern aufgenommen?
Der Hotel- und Gastwirteverband ist derzeit sicherlich nur wachstumsorientiert und schaut nur auf die Nächtigungszahlen. Trotzdem möchte ich, möchten wir, mit dem HGV reden, denn als frei denkender und auf diesem Planeten lebender Mensch kann man nicht gegen die Gemeinwohlökonomie sein.