Society | Diskriminierung

Beunruhigender Fund

Ein Zettel in der Personalakte eines Bozner Polizeiangestellten schlägt Wellen. Auf dem anonymen Papier: das Wort "Jude" und beleidigende Äußerungen.

In Art. 19 der italienischen Verfassung heißt es: “Jedermann hat das Recht, in jedweder Form, einzeln oder gemeinschaftlich, seinen religiösen Glauben frei zu bekennen, […].” Es ist jener Verfassungsgrundsatz, der die Religionsfreiheit garantiert und gleichzeitig festlegt, dass niemand aufgrund seines beziehungsweise ihres Glaubens diskriminiert werden darf. Am 1. Jänner 1948 trat die italienische Verfassung in Kraft. Knapp 70 Jahre später zeigt ein jüngst bekannt gewordener Vorfall, dass wohl längst nicht alle mit dem Text vertraut sein dürften.


Ein beklemmender Fund

Es war im Herbst 2014. Ein Leiter der Straßenpolizei will sich von Belluno nach Bozen versetzen lassen. Er verlangt Einsicht in seine Personalakte. Zwischen den offiziellen und protokollierten Unterlagen findet er ein einzelnes Blatt. Darauf steht fett hervorgehoben und unterstrichen ein Wort: “Jude”. Darunter noch einige Zeilen, in denen sich beleidigende Bemerkungen ob des jüdischen Glaubens des Polizeileiters wiederfinden. Umgehend wendet sich der Betroffene an seinen Vorgesetzten. Dieser leitet Ermittlungen ein, um den Verfasser des anonymen Zettels zu finden. Ohne Ergebnis. Doch der Vorfall des inzwischen in Bozen stationierten Straßenpolizeileiters schlägt ein Jahr später italienweit hohe Wellen.

Denn nun hat die nationale Polizistengewerkschaft Autonomi di Polizia auf diese “beunruhigende Begebenheit” hingewiesen. Am 30. Dezember 2015 verschickt die Gewerkschaftsleitung eine Aussendung. In dieser zeichnet sie den Fall nach und teilt mit, eine “umgehende Inspektionstätigkeit” von den zuständigen Stellen der italienischen Straßenpolizei und dem Innenministerium eingefordert zu haben. Diese soll den Verantwortlichen zutage fördern und zur Rechenschaft ziehen. Die Gewerkschaft verurteilt die Begebenheit scharf und erinnert: “Ein jeder und eine jede hat das Recht, die eigene Religion auszuüben, ohne dafür etikettiert oder diskriminiert zu werden.”


Das dürfte es eigentlich nicht geben

Zuspruch in der Sache kommt auch vom regionalen Polizei-Gewerkschaftsführer der Coisp, Fulvio Coslovi: “Die Staatspolizei ist eine demokratische Institution, innerhalb der keinerlei religiöse Diskriminierung gibt und geben darf.” So Coslovi im Gespräch mit dem Corriere dell’Alto Adige. Auf den konkreten Fall will er nicht eingehen, doch steht für ihn klar: “Il principio di base è che tutte le religioni vanno rispettate. Proprio perché nel nostro lavoro di tutti i giorni abbiamo a che fare con religioni di ogni tipo siamo i primi ad avere ben presente l’importanza di essere una istituzione super partes, che non discrimini in alcun modo né i propri lavoratori né le persone che si rivolgono ad essa.” Derselben Meinung ist auch Mario Deriu, Gewerkschafter der Polizei-Gewerkschaft Siulp. In den 25 Jahren, in denen er für die Staatspolizei tätig sei, habe er noch keinen solchen Vorfall erlebt, betont er.

Der betroffene Straßenpolizeileiter hat inzwischen Strafanzeige erstattet. Auch, weil es über den besorgniserregenden Zettelfund hinaus weitere Zwischenfälle gegeben haben soll: So soll der Polizeiangestellte, als er noch im Dienst in Rom war, Hakenkreuze auf seinem Spind vorgefunden haben. Und auch seine Frau soll Opfer von religiöser Diskriminierung geworden sein. Die Gewerkschaft Autonomi di Polizia hat indes auch die Beobachtungsstelle für Antisemitismus in Rom eingeschalten.