Politics | Wahlgesetz

„Es kontrolliert niemand mehr“

Die Grüne Landtagsfraktion prangert die Lobbyarbeit von Interessensverbänden im Landtag an. Ein neuer Artikel im Wahlgesetz soll in einem ersten Schritt Abhilfe schaffen.
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Foto: grüne
Welches Bild gäbe Deutschland ab, wenn in unserem Nachbarland ein Interessensverband offizielle Kandidat*innen für die Landtagswahl eines Bundeslandes aufstellen würde? Und die Regierungspartei diese Kandidat*innen mit hoher Wahrscheinlichkeit für ihren Wahlkampf aufstellt?
Im Laufe der Jahre konnte ich beobachten, wie groß der Einfluss bestimmter Interessensverbände auf die Gesetzgebung ist - Riccardo Dello Sbarba
Was in Südtirol mit den Vorwahlen im Bauernbund (SBB) seit Jahren üblich ist, sagt viel über die Verstrickungen von Politik und Interessensverbänden hierzulande. Theoretisch regelt zwar das Regionalgesetz vom 13. August 1998 die Wahlwerbung von Vereinen, Verbänden und Gewerkschaften, allerdings sieht es keine Sanktionen im Fall einer Übertretung vor.
Nun startet die Opposition einen neuen Versuch für mehr Fairness im Südtiroler Landtag, wenige Monate vor der nächsten Landtagswahl im Herbst: Diese Woche soll im Plenum über einen von den Grünen vorgelegten Gesetzesentwurf der Minderheit abgestimmt werden. Die Mehrheit hat dafür bereits ihre Ablehnung angekündigt.
 

Änderung des Wahlgesetzes

 
Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass Vereine, Verbände und Gewerkschaften, die öffentliche Mittel erhalten, in den 60 Tagen vor den Wahlen nicht für einzelne Kandidat*innen oder Parteien werben dürfen. Verstoßen sie gegen die Norm, sollen die öffentlichen Beiträge für sie laut Entwurf in den folgenden Jahren um die Hälfte gekürzt werden. Außerdem wäre der Landtag mit dem Gesetzesentwurf dazu verpflichtet, alle Verstöße auf dessen Homepage zu veröffentlichen.
 
 
„Wenn die Wahl einer Person durch die Unterstützung einer bestimmten wirtschaftlichen oder sozialen Gruppe ermöglicht wird, besteht die – oftmals berechtigte – Gefahr, dass Entscheidungen nicht zum Wohle der gesamten Gemeinschaft, sondern nur im Interesse bestimmter Sektoren getroffen werden. Und das Bild, das die Politik von sich selbst vermittelt, verschlechtert sich weiter“, teilen die Grünen Landtagsabgeordneten Brigitte Foppa, Riccardo Dello Sbarba und Hanspeter Staffler mit.
„Ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete sollte nur der Verfassung und dem eigenen Gewissen verpflichtet sein, deshalb wollen wir das freie Mandat wiederherstellen“, erklärt Foppa, Erstunterzeichnerin des Gesetzentwurfs. Die Aufstellung von Kandidat*innen für die Landtagswahl vonseiten des Bauernbundes hätte eine „demokratische Verwirrung“ zur Folge, da Politik und Lobbyarbeit nicht sauber getrennt werden.
 

Einfluss auf Gesetzgebung

 
„Es ist ein ungesundes Machtverhältnis, denn der Machtanspruch bestimmter Interessensverbände ist groß“, so Foppa. Dello Sbarba ist bereits zum vierten Mal Mitglied des II. Gesetzgebungsausschusses und führt aus: „Der II. Gesetzgebungsausschuss ist für Land- und Forstwirtschaft, Umweltschutz, Raumordnung, öffentliche Gewässer und Energie zuständig. Im Laufe der Jahre konnte ich beobachten, wie groß der Einfluss bestimmter Interessensverbände auf die Gesetzgebung ist.“
Es ist nicht die Aufgabe von Vereinen, Verbänden und Gewerkschaften, die Arbeitsplätze von Politiker*innen zu garantieren - Brigitte Foppa
„In der Raumordnung wird entschieden, wer bauen darf und wer nicht, wer also arm und wer reichen werden darf“, so Dello Sbarba. Der Einfluss der Wirtschaftsvertreter, wie Bauernbund, HGV, Alperia und Unternehmerverband, gehe so weit, dass ihre Rechtsexpert*innen Gesetze mitschreiben. „Es kontrolliert niemand mehr“, sagt der Grüne Landtagsabgeordnete.
Das sei während der Regierungszeit von Altlandeshauptmann Luis Durnwalder noch anders gewesen. „Luis Durnwalder regierte wie ein König und verhandelte selbst mit den Verbänden. Mit Arno Kompatscher ist die republikanische Phase eingetreten, aber er wird von den Verbänden als zu schwach wahrgenommen“, so Dello Sbarba. Die Folge davon sei, dass „Politiker*innen die Souveränität über Gesetze verlieren“.
„In den letzten Monaten wurde uns allen so deutlich wie noch nie vor Augen geführt, wie sehr die Sonderinteressen von Wirtschaftsverbänden politische Entscheidungen beeinflussen und lenken können“, so Foppa, Dello Sbarba und Staffler. Beispiele dafür seien die Debatten über die Bettenobergrenze oder die Transparenz über die Herkunft von Lebensmitteln.
 
 
Aus diesem Grund sei Südtirol laut Staffler eine sogenannte Wahldemokratie, bei der die Wahlen zwar korrekt ablaufen, aber die Regierungsarbeit massiv von Interessensverbänden gestaltet wird. Auch Österreich zähle als Beispiel einer Wahldemokratie. Liberale Demokratien hingegen seien beispielsweise die Schweiz oder Deutschland, während das Präsidialsystem in der Türkei zu den illiberalen Demokratien zähle. Der Zustand von Demokratien wird von dem V-Dem-Institut der Universität Göteborg in einem Demokratiereport jährlich bewertet.
„Es ist nicht die Aufgabe von Vereinen, Verbänden und Gewerkschaften, die Arbeitsplätze von Politiker*innen zu garantieren“, so Foppa. Nicht umsonst würden sich Bürger*innen bei nahezu allen Oppositionsparteien regelmäßig über diese Praxis beschweren. „Wenn Berufsverbände, die auch von der öffentlichen Hand finanziert werden, sich kurz vor Wahlen auf die Seite von Kandidat*innen und Parteien schlagen, irritiert das die Öffentlichkeit zurecht“, erklären die Grünen.
 

Stellungnahmen

 
Der Bauernbund selbst verteidigte die Aufstellung seiner Kandidat*innen für die Landtagswahlen bereits in einem 2013 erschienen Artikel im Südtiroler Landwirt: „Es ist immer das Gleiche: Kurz vor den Wahlen entdecken viele Kandidaten und Parteien plötzlich ihre Nähe zur Landwirtschaft. Die Erfolge der bäuerlichen Organisationen – Bauernbund, Bauernjugend, Bäuerinnenorganisation und Seniorenvereinigung im SBB – bei Wahlen auf Gemeinde-, Landes-, Staats- und EU-Ebene haben nicht nur Neid hervorgerufen, sondern auch Appetit auf bäuerliche Stimmen geweckt. Die Aufgabe, die bäuerlichen Kandidaten vorzuschlagen, kann nur dem Interessensvertreter der Bäuerinnen und Bauern in Südtirol zufallen, dem Südtiroler Bauernbund“, stellt der Verband klar.
Auch Landeshauptmann Arno Kompatscher hat in Vergangenheit bereits zu der Thematik Stellung bezogen. Auf eine 2015 von den Grünen gestellte Landtagsanfrage antwortete er: „Was den angemahnten Appell anbelangt, habe ich kein Problem damit, auch entsprechend anzumahnen, ich oder wer immer die Funktion ausübt. Ich glaube, dass im Rahmen der institutionellen Kommunikation zusammen mit den Wahlen, wo traditionsgemäß ein allgemeiner Wahlaufruf im Sinne von: ‚Bitte, Bürgerin und Bürger, nehmt an den Wahlen teil usw.‘ gemacht wird, auch auf ein korrektes Verhalten aller beteiligten Institutionen, Verbände und Gruppierungen in Bezug auf Wahlwerbung hinzuweisen ist.“
Für Brigitte Foppa ist diese Antwort eine Bestätigung ihrer Kritik. Allerdings dürfte dieses Lippenbekenntnis keine politischen Folgen haben – das legislative Vakuum, das seit 1998 besteht, kann somit weiterhin von Interessensverbänden ausgeschöpft werden.