Digital wählen – Die Esten machen’s vor
So einfach geht Wählen in Estland, und ein gutes Fünftel hat diese Möglichkeit bei der Parlamentswahl am vergangenen Sonntag genutzt.
Darüber hinaus können die Esten auch per SMS wählen. Zu diesem Zweck erhalten die Bürger eine spezielle SIM-Karte, die sie mit zwei PINs aktivieren können. Mit der ersten schalten sie die Karte frei, mit der zweiten können sie per Mobiltelefon eine digitale Unterschrift hinterlassen. E-Wahlen gibt es in Estland schon seit 10 Jahren. 2005 trauten sich erst 30.000 Wähler per Computer abzustimmen, 2011 waren es schon 15,4% und am 1.3.2015 an die 20% bei steigender Gesamt-Wahlbeteiligung. Bei 7 Wahlgängen ist das System bisher erfolgreich genutzt worden.
Technisch stellt das „e-voting“ in Estland kein Problem dar. Auch die Schweiz hat für die im Ausland ansässigen Schweizer und auf kommunaler Ebene (noch nicht flächendeckend) die elektronische Stimmabgabe eingeführt. Bei dieser Wahlmethode werden durch eine elektronische Verschlüsselung zwei „digitale Umschläge“, analog zur papierenen Briefwahl, erzeugt. So erkennt das System im ersten Schritt die Wahlberechtigung und im zweiten Schritt die abgegebene Stimme selbst. Der erste Schritt wird dann gleich gelöscht, wodurch eine geheime Wahl gewährleistet wird. In Studien ist das estnische System generell als funktionssicher eingeschätzt worden. Zudem hat es auch keine Rechtsklagen seitens der Wählerschaft gegeben.
Für das Vertrauen der Bürger sind zwei weitere Aspekte der estnischen Gesellschaft wichtig. Erstens, der Schlüssel zum „Öffnen“ der digitalen Wahlurne ist auf mehrere Parteien und unabhängige Kontrolleure verteilt, zudem überwachen lokale, nationale und internationale Wahlbeobachter den Wahlvorgang. Die Wähler werden per Videokampagne von Amts wegen über die korrekte Nutzung der Online-Abstimmung informiert. 2013 ist auch der Quellcode der estnischen e-voting-Sofware veröffentlicht worden: https://github.com/vvk-ehk/evalimine.
Zweitens, ist die estnische Bevölkerung im europäischen Vergleich sehr vertraut mit dem Netz, wie die Finnen. Seit vielen Jahren baut die Regierung in Tallinn das E-government aus, Bürokratie und Wirtschaft sind in dem 1,3-Millionen-Einwohner-Land eng verzahnt, die E-Partizipation war nur eine logische Fortsetzung dieser Digitalisierung. Jeder Este besitzt eine sog. ID-Karte im Bancomatformat, die als Ausweis, aber auch bei der Apotheke, bei Banküberweisungen und seit 2005 bei Wahlen und Abstimmungen eingesetzt wird. Die Bürger haben auch die Möglichkeit, digital Petitionen einzureichen, Volksbegehren zu starten und Gesetze vorzuschlagen. Näheres zu diesem System hier. Zum Abstimmungsergebnis vom vergangenen Sonntag gibt es eine ganze WIKIPEDIA-Seite: http://de.wikipedia.org/wiki/Parlamentswahl_in_Estland_2015
Italien ist in dieser Hinsicht noch Entwicklungsland mit weit verbreiteter Skepsis gegenüber E-Wahlen. Es gibt nicht nur sicherheitstechnische Bedenken zur elektronischen Stimmabgabe, sondern auch Befürchtungen von Manipulation verschiedenster Art. Mit wenigen Ausnahmen wie etwa die Gemeinde Mals gibt es in Italien noch nicht einmal die Briefwahl. Aber auch in Südtirol hat man noch bis vor wenigen Jahren den Auslandssüdtirolern eine Flugreise zwecks Stimmabgabe bezahlt, statt sie mit einer Wähler-ID für digitales Wählen auszustatten oder ihnen die Briefwahl zu erlauben, die in der Schweiz schon seit Langem die Mehrheit der Wählerschaft für Wahlen und Abstimmungen nutzt.