Society | Interview

Die Situation der Leiharbeiter

Frau Pichler, die Sekretärin der Fachgewerkschaft Nidil/Cgil, erzählt uns, wie unser Aufnahmesystem unter großem Druck steht
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Questür Bozen
Foto: Foto von Nidil/Cgil

Sehr geehrte Frau Pichler, 

Sie sind Sekretärin der Fachgewerkschaft Nidil/Cgil. Sie vertreten die Leiharbeiter, die seit April 2021 italienweit in den Präfekturen Anträge um Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen, Familienzusammenführung und Staatsbürgerschaft abwickeln. Warum haben diese, in Zusammenarbeit mit NIDIL UILTEMP und FISBA einen Streik für den 31.03 ausgerufen?

Im Zuge der Legalisierung von irregulären Arbeitsverhältnissen im Jahre 2020 hat das Innenministerium zwei Arbeitsagenturen beauftragt, italienweit 1400 Personen zu rekrutieren und an die jeweiligen Präfekturen zu "verabreichen". In Südtirol wurden 8 Personen an das Regierungskommissariat und Quästur vermittelt. Leiharbeit ist nur mit einer zeitlichen Begrenzung möglich und es reifen keinerlei Rechte auf Wiederanstellung an. Die Arbeitsverträge wurden im letzten Jahr zwie Mal erneuert, immer auf Druck der Leiharbeiter und ihrer Gewerkschaften. Nun schien es, als ob der 31. März wirklich der letzte Arbeitstag wäre, und so wurde der Streik ausgerufen. Die jungen Frauen und Männer haben sich eingearbeitet, sie wickeln für die Einwanderungsbehörden unerlässliche Dienste ab, sie sind in den Ämtern unentbehrlich geworden. Die ständige Unsicherheit, ob die Verträge verlängert werden oder nicht, belastet auch das Stammrollenpersonal in den Ämtern. Kurz vor dem Streik hat das Innenministerium die Konventionen mit den Arbeitsagenturen bis zum 3.12.2022 verlängert. Mittlerweise haben alle die Verlängerung ihrer Arbeitsverträge unterzeichnet.

 

 

Was geschieht nach dem 31. Dezember 2022?

Die Stellen können nicht durch Stellenausschreibungen besetzt werden, es fehlt an geeigneten Kandidaten. Es ist im Interesse aller, dass bürokratische Abläufe, die Einfluss auf das Leben und Arbeiten von Menschen haben, zeitig abgewickelt werden.

Am 28. Februar 2022 lobte der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen Filippo Grandi die Regierungen, die Flüchtlinge aufgenommen und Ihnen Zugang zum eigenen Land ermöglicht hatten. War es der internationale Druck, der das Innenministerium zur Verlängerung der Verträge der Leiharbeiter in den Präfekturen bewegte?

Sicher hat dieser dazu beigetragen. Das Aufnahmesystem für Flüchtlinge ist bereits unter enormen Druck. Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen sprach auch von einer nie da gewesenen Flüchtlingswelle, die es zu bewältigen gilt. In den Treffen mit der Regierung haben die Gewerkschaften immer wieder auf das Versprechen der Regierung, diesen Menschen helfen zu wollen, hingewiesen und auch darauf, dass auf dieses Versprechen Taten folgen müssten. Das Innenministerium hat sich wahrscheinlich ausgerechnet, welcher Druck auf das Personal in den Außenstellen entstehen wird und Ende März die Finanzierung für eine Verlängerung der Konventionen mit den Agenturen bereitgestellt.

Könnte man vielleicht, um diese Posten zu besetzen, Stellen ausschreiben, und dabei die Leiharbeiter bevorteilen?

Meines Wissens ist das nicht möglich, doch auch wenn es dazu kommen würde, müssen die angeforderten Studientitel vorhanden sein, in Südtirol muss der Proporz berücksichtigt werden, und die Kandidaten müssen im Besitz des Zweisprachigkeitsnachweises sein, was in diesem Falle sicher das größte Handicap darstellt. Die letzten zwei Stellenausschreibungen im Regierungskommissariat konnten nicht besetzt werden, es fehlte an geeigneten Kandidaten. Wir glauben, dass es außerordentlicher Maßnahmen bedarf, um einerseits zu vermeiden, dass 1400 dringend benötigte Fachkräfte in die Arbeitslosigkeit geschickt werden und anderseits den Präfekturen die Möglichkeit zu geben, ihre Pflichten in der bürokratischen Abwicklung der Einwanderung zu erfüllen.

Ein Worst Case Scenario: sollten über dem 31.12.2022 hinaus die Verträge nicht verlängert werden, müsste dann möglicherweise die Polizei operative Aufträge, und somit die Gewährleistung der Sicherheit der Bürger, vernachlässigen, um der Arbeit der Immigrationsbehörde nachzugehen?

Wahrscheinlich rechnet man damit, dass sich bis Ende des Jahres die Lage in der Flüchtlingsfrage wieder normalisiert und man darum beim Personal wieder abbauen kann. Es wäre schön, wenn die Menschen nicht aus Not ihre Heimat verlassen müssten, doch wir wissen alle, dass es immer irgendwo einen Krieg gibt. Diesen Menschen müssen so schnell wie möglich erfasst werden und ihnen eine Aufenthaltsberechtigung gegeben werden. Ich glaube nicht, dass die Polizei ihre Arbeit vernachlässigen würde um operative Aufträge zu gewährleisten. Eher würden die Menschen länger auf ihre Aufenthaltstitel warten müssen, was wiederum nicht gut ist für die öffentliche Sicherheit.

Was versteht man unter “Leiharbeit”, in Italien besser unter dem Namen “somministrazione di lavoro” bekannt?

„Somministrazione“ bedeutet „Verabreichung“, hier wird Arbeit eben genau nach Maß verabreicht. Es handelt sich dabei um ein Arbeitsverhältnis, bei dem es – anders als bei dem klassischen Arbeitsvertrag – drei Beteiligte gibt: der/die ArbeitnehmerIn, die Agentur, bei der die Person angestellt ist und die Firma wo sie effektiv arbeitet. Leiharbeit ist mittlerweile in allen Sparten und für alle Qualifikationen mit nur wenigen Einschränkungen möglich.  Geregelt ist die maximale Anzahl der Leiharbeiter im Verhältnis zu den direkt Angestellten und die Dauer des Leihvertrages, der zwischen Erneuerungen und Verlängerungen in der Regel die 24 Monate nicht überschreiten darf.

Welche Vorteile bringt die Anstellung über Arbeitsagenturen ?

Für viele Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bedeutet die Anstellung durch eine Agentur eine konkrete Chance für den Eintritt in die Arbeitswelt, immer mit der Hoffnung auf eine direkte und unbefristete Anstellung. Die direkte Anstellung der LeiharbeiterInnen von Seiten des Unternehmens hat eigentlich Ausnahmecharakter. Häufiger passiert es, dass die Agentur die Person unbefristet anstellt und diese dann an unterschiedliche Unternehmen verleiht. Der Leiharbeiter oder Leiharbeiterin hat im Betrieb immer eine „Sonderstellung“: er oder sie verrichtet dieselbe Arbeit wie die direkt Angestellten, gehört aber trotzdem nicht zur Belegschaft. Per Gesetz darf es keine Diskriminierung geben, die wirtschaftliche und normative Behandlung bei der Ausübung der selben Arbeiten darf nicht unterschiedlich sein. Vielerorts wird die Leiharbeit als „Polster“ benützt, in Krisensituationen sind es die ersten, die zu Hause bleiben.Auch im öffentlichen Dienst bedient man sich der Leiharbeit. Dort besteht jedoch keine Aussicht auf Stabilisierung, der Zugang zu den Stammrollen ist nur über die Teilnahme an einen Wettbewerb möglich.

Wie verbreitet ist die Leiharbeit in Südtirol?

In Südtirol gibt es ungefähr 2000 Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen. Nur ein Drittel davon sind Frauen und die Mehrheit arbeitet im verarbeitenden Gewerbe, aber auch im Bau, Transport und in Reinigungsfirmen. Ein großes Manko in der Gesetzgebung ist die Tatsache, dass bei Leiharbeit kein Anspruch auf Vorrang bei Wiedereinstellung oder Fixanstellung anreift. 

Glauben Sie, das Problem der Leiharbeiter in den Einwanderungsbehörden wird auf lange Sicht gelöst?

Wir werden italienweit daran arbeiten und vernünftige Lösungen verlangen, auch in Südtriol wird man sich mit diesem Problem befassen müssen.