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Die Farbe der Macht

Im antiken Byzanz, also in Istanbul, durfte nur der Kaiser lila-violette Gewänder tragen. Eine Symbolfarbe, die bis heute umstritten ist.

Es ist ein verbreiteter Irrglaube, dass  in Istanbul orientalisch-schönes Wetter vorherrscht.  Das Gegenteil ist der Fall: eiskalte Winter mit dem Nordwind Peyraz, der über das Schwarze Meer und den Bosporus direkt aus Russland bläst wechseln direkt in heissfeuchte Sommer, mit afrikanischer Hitze, die über das Marmara-Meer Istanbul überzieht.

Deshalb explodiert hier der Frühling ziemlich spät : mit einem Meer an lilafarbenen Blüten und Pflanzen,die das Ende des Winters besiegeln . Veilchen, Krokusse, Stiefmütterchen, Flieder und Glyzinien blühen alle zusammen auf. Ein Triumph der Farbe Lila, die aus dem arabischen Lilak abgeleitet wird, dem Wort für Flieder.

Meine Freundin Müge zählt auch den rosa-violett-blühenden Judasbaum dazu , der im Türkischen ebenfalls die Zweitbezeichnung "Baum der Liebe" trägt.  Judasbaum deshalb, weil sich der " Verräter" Jesu auf diesem Baum erhängt haben soll, der sich daraufhin violett färbte.  Müge muss es wissen, denn sie ist eine pflanzen- und blumenbegeisterte Umweltaktivistin, die sich gleich bei unserem Kennenlernen "outete": meinen Namen kannst Du Dir am besten merken, wenn Du an mughetto denkst, also an das Maiglöckchen  , stellte sie sich vor.   

Sie erklärte mir, dass die Farbe lila- violett im antiken Byzanz ausschliesslich dem Kaiser vorbehalten war. Das lag daran, dass diese Farbe so schwer herzustellen war. Um einen Stoff lila einzufärben, bedurfte es grossen Geschicks und noch grösseren Glücks.  Erst 1856 gelang es dem Chemiker William Henry Perkin - allerdings rein zufällig , beim Versuch , Chinin zu synthetisieren - den Farbstoff Mauvein herzustellen : ein schönes, kräftiges Lila.  Daraus entstanden dann sämtliche Schattierungen bis dunkelviolett und purpur.

Die imperiale Farbe violett wurde von der katholischen Kirche übernommen. Im Christentum symbolisiert sie  Busse und Besinnung.  Im  Advent und in der Fastzeit ist die Farbe violett vorherrschend.  Weil  Schauspieler und Komödianten, Hofnarren und Clowns während dieser Zeiten Spielverbot hatten ( die Gläubigen mussten ja fasten und beten) gilt die Farbe violett seitdem im Theater- und Film-Milieu als  unheilbringend.

Als ich im Oktober 1980 die RAI-Zentrale in der Via Teulada in Rom betrat, wurde mir - von italienischen Kollegen - nahegelegt, die Farbe violett möglichst zu meiden.    Sie bringe auch Medienleuten Unglück und wer sie trage ,  werde als Unheilsbringer gemieden. Jedesmal, wenn in der RAI-Betriebsbar ( die derzeit wegen Mafia-Verwicklungen geschlossen ist ) ein ahnungsloser Gast mit einem violetten Kleidungsstück - und sei es nur eine Krawatte - gesichtet wurde, brach Panik aus. 

Umso erstaunter war ich, als kürzlich bei einem Abendessen in der italienischen Botschaft in Istanbul ausgerechnet eine vielversprechende Theater- und Filmschauspielerin ein total violettes Seidenkleid trug.  Ja, sie wisse von diesem Aberglauben, aber das Spielverbot in der Fastzeit sei schon längst überholt,  sagte sie auf meine entsprechend verwunderte Bemerkung .  Außerdem sei sie praktizierende Katholikin. Als solche dürfe sie nicht abergläubisch sein. 

Da muss ich mir ein Beispiel nehmen. Mir persönlich hat die Farbe nämlich Unglück gebracht. Als ich mir im Oktober 1985 zum ersten Mal ein violettes Kleidungsstück kaufte - eine Smokingjacke - wurde zwei Tage später bei meinem Vater Senator Peter Brugger Krebs diagnostiziert.  Der Krebs war unheilbar und sechs Monate später, im April 1986, starb mein Vater.  Sein Tod jährt sich 2016 zum 30. Mal.  Obwohl er nach seinem Tod auch von seinen politischen Gegnern als "Jahrhundertpolitiker" gelobt wurde,  gibt es in Südtirol weder eine Straße, noch einen Platz, noch einen Almweg, der nach ihm benannt wurde.  Ich habe nie verstanden, warum das so ist.