Culture | Ausstellung

„Heaven is an artwork“

Korakrit Arunanondchai im Museion in Bozen.

Im Erdgeschoss in der Passage hängen zwei riesenformatige Leinwände („History Paintings (Poetry Floor)“, 2016), auf denen Mal- und Materialschichten, Kleiderstücke und Textbanner von hinten wie von Feuer zerfressen werden. Ein Moment in der Zeit gefroren, auf ewig zwischen dem schon angesengt und noch nicht in Asche aufgelöst – diese Spannungsillusion gelingt durch die lebensechten Feuerprints im Hintergrund. Die Ästhetik von Tankstellen und Grillkiosks (Feuer, Banner) trifft auf abstrakten Expressionismus. Hier wird augenzwinkernd versucht, die Malerei von innen heraus mit Mitteln des Digitaldruckes und Photoshop zu zerstören, ihr eine im Jetzt bereits vorweggenommene Geschichte zu verleihen. „Painting with history 3 or two thousand five hundred and fifty nine years to figure stuff out“, so lautet der Titel der Ausstellung des Thailänders Korakrit Arunanondchai (*1986).


 

Bevor ich den Raum im vierten Stock erfasse, sind schon die Beats da. Jetzig klingt es, frische Sounds, Elektronik, Bässe und Hip Hop.
Das großformatig projiezierte Video „Painting with History in a Room Filled with People with Funny Names 3“ (2015) ist das Zentrum des Universums, von dem die Musik ausgeht. Gebatikte Jeanspölster laden zum entspannten Zuschauen ein. Apropos Jeans: ein wiederkehrendes Motiv in dieser Ausstellung – im Video als zerfledderter Look der Hood, in den Installationen und Objekten als verkohlte Übrigbleibsel einer imaginären Apokalypse. „Poetry with second-hand jeans“, so eine Zeile im Video. Mode ist auch in den schwarzen, mit Flammen bedruckten Turnanzügen im Video präsent. Sie ist hier wie selbstverständlich Teil eines kulturellen Ausdruckes. Arunanondchai ist sich bewusst, dass sie eine transformierende Kraft hat, Zugehörigkeiten und Abgrenzungen schafft - vorausgesetzt, sie wird demokratisch hergestellt und verteilt.

Wir fliegen über Wälder, Meere, Städte. Chantri, die den Künstler begleitende Drone, liefert die schwebenden Bilder. Mythische Tiere, Affen, Schlangen und Adler tauchen auf, religiöse Zeremonien, Geister. Fernsehmitschnitte, Internet-Funde, Feuer, und immer wieder der Künstler selber. Er malt Bilder, indem er seinen Körper auf die Leinwand presst. Er suhlt sich im Farbschlamm. Er geht mit Chantri spazieren. Er imaginiert sich als Rapper im Musikvideo-Stil inmitten eines Häusermeeres, von tanzenden und posierenden StatistInnen umgeben. Er tanzt über Müllhalden. Bilder von verdreckten Gewässern. Ein Elefantenrüssel, der ein Bild malt. Gruppenumarmungen. „There is no such thing as purity“.


 

Die verzweifelte Bewahrung von Erinnerung, unsortierte, überquellende Festplatten, die Möglichkeit des totalen Erinnerns durch die HD-Video-Qualität unserer Smartphones, Leben nach dem Tod, Verbrennen als Befreien, die (Erinnerungs)Spuren, die die Umweltverschmutzung hinterlässt, Projektion vs. Realität... Affirmativ, philosophisch, melancholisch und poppig kommen die Messages rüber. Einerseits mit den großen Fragezeichen der Menschheit beschäftigt, die seit jeher und immer bestehen, setzt sich Arunanondchai andererseits mit relativ neuen Themen auseinander: wie beeinflusst die Technik unsere Körper, unsere Erinnerungen, unser Denken und unsere Kunst. Zu der Drone Chantri: „Looking at you reaffirms my humanity.“ Und: „Chantri fills the void.“

Das Video strahlt thematisch in die umliegenden Objekte hinein, einzelne Stills sind gedruckt und freistehend als Art Schaukästen im Raum montiert. Auf ihrer Hinterseite sind allerlei Dinge versammelt: Organisches und Anorganisches in Verbindung, Klamotten, Autoteile, Körperteile, Pilze, elektronische Komponenten, Trockenblumen und Glasbehälter mit Loch, in denen eine Flüssigkeit gefüllt ist. Das Ganze gibt es auch als Horizontalversionen, Schuttinseln, Anhäufungen. Hier regiert das Chaos. Ich denke an die Schauplätze von Terroranschlägen. Im Video fragt jemand, ob Abstraktion der Vergangenheit angehört.
Vorzeitig eingetretene Vergangenheit. Staub. Verbrannte Erde. Das Szenario ist melancholisch. Etwas ist vorüber. Jemand (der Künstler) hat Gott gespielt, den Zeitpunkt vom Ende bestimmt und das Nachher eingefroren.




 

Blau, Rot, Gelb, die Grundfarben, tauchen in der Ausstellung immer wieder auf. Auch die Glasfassaden und Lichter des Ausstellungsraumes hat der Künstler in diesen Farben verklebt. Damit wird nicht nur die Stimmung im Raum in Richtung Immersion verändert, sondern auch unser Blick nach außen: die Stadt wirkt plötzlich anders, fremd, mit einem seltsamen 3D-Effekt überzogen.

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Kara Oke Sun, 07/10/2016 - 18:04

Wer es in diesen Tagen nicht ins Museion schafft, kann derzeit Arunanondchais Video "Painting with history in a room filled with people with funny names 3" online sehen (bis zum 23.7.), und zwar auf der kostenlosen und immer wieder spannend kuratierten Kunst- und Experimentalvideoplattform Vdrome: http://www.vdrome.org/. Enjoy!

Sun, 07/10/2016 - 18:04 Permalink