Rotzfreche Dreifaltigkeit
Liebe Leser*innen, ich habe ein Problem. Vor mir liegt ein rotzfreches, originelles, schmerzhaftes Buch und es will mir nicht gelingen, eine diesem Buch angemessene Besprechung zu schreiben. Es ist diese Eva Gruber, die mir das Leben schwer macht. Mit so einer manipulativen Ich-Erzählerin hatte ich es wahrscheinlich noch nie zu tun. Da erzählt sie Sachen und die stimmen dann gar nicht. Plötzlich behauptet sie dann das Gegenteil davon und am Ende stimmte doch das eingangs Behauptete. Oder umgekehrt. Oder es stimmt gar nichts davon. Oder sie lügt sich in die eigene Tasche. Und dass die Handlung in einer Psychiatrie spielt, wo man grundsätzlich allen Figuren misstraut, macht es nicht leichter.
Irgendwie mag ich sie, diese Eva Gruber mit ihrer hochamüsanten Dreistigkeit und mit diesem großen Batzen Selbstironie, mit dem sie die Insass*innen und das Personal in der Psychiatrie aufwirbelt. Ich mag es, wie sie dem Chefpsychiater in der Therapie altklug erklärt: „Schauen Sie: Wenn man jemanden umbringt, tötet man ja nie nur den Menschen selbst. Dieser Mensch ist ein Stellvertreter für eine ganze Reihe von Menschen.“ Dann wieder könnte ich ihr den Kopf abreißen mit ihrer ausufernden Aggressivität und Uneinsichtigkeit und mit ihrer felsenfesten Überzeugung, nur sie könne den magersüchtigen und von Angstzuständen geplagten Bruder retten. Und je mehr diese Eva Gruber aus ihrer Kindheit und Jugend erzählt – vom schwermütigen, ketterauchenden Vater, von der besorgten und gleichzeitig distanzierten Mutter und von der erzkatholischen Dorfidylle –, umso mehr packt einen die Verzweiflung darüber, wie kaputt eine Person und ihre Beziehungen sein können und wie wenig sie eigentlich dafür kann.
Dieses Unbehagen lässt die österreichische Autorin Angela Lehner dann auch in allen Tonarten erklingen. Teil eins dieser unorthodoxen Dreifaltigkeit – „Der Vater“ – ist kreischend komisch, spritzig und wild, Polizisten werden mit Eierbechern, Knöpfe auf Polsterungen mit den Fettaugen einer Wurstscheibe und die überall eindringende, schwere Sommerluft mit einem sich ausbreitenden Germteig verglichen. Dort stehen dann so wunderbare Sätze wie „Manchen Menschen steht Glück nicht, die sollten sich einfach unauffällig verhalten.“ oder „Jetzt wärmt sie ihren Hass auf mich bei jedem Wiedersehen erneut auf wie ein Gulasch.“
Und das, denke ich, ist die größte Strafe: Dass ich jeden Moment meines Lebens mit mir selbst verbringen muss.
Als man sich schon an diesen frechen Ton gewöhnt hat, überrascht Teil zwei – „Der Sohn“ – mit melancholischen Klängen, die Sprache ist leiser und zurückhaltender. Plötzlich gesellt sich eine Art Zärtlichkeit dazu. Lieblingssatz: „Beim Lachen klatschen sie sich auf die Oberschenkel, als wollten sie sich für ihre Freude bestrafen.“
„Der Heilige Geist“ kulminiert schließlich in einem sprachlich wie inhaltlich entrückten Roadtrip, der einen der schönsten Sätze dieses sehr menschelnden Romans enthält: „Und das, denke ich, ist die größte Strafe: Dass ich jeden Moment meines Lebens mit mir selbst verbringen muss.“ Wenn es die Autorin mit ihrer feinen Beobachtungsgabe jetzt noch schafft, das stilistische Niveau einen ganzen Roman hindurch so hoch zu halten, dann, liebe Leser*innen, dürfen wir uns auf die nächste Veröffentlichung von Angela Lehner freuen. Aber inzwischen werfen Sie erst mal alle narrativen Sicherheiten über Bord und lesen Sie „Vater unser“.