Society | Bildungskonferenz
Sprachenmix im Klassenzimmer
Foto: unibz
Global gesehen ist Vielsprachigkeit normal. Die meisten Menschen gebrauchen im täglichen Leben mehr als eine Sprache. Für Südtirol kein neues Thema, es wird allerdings zunehmend komplexer. Globalisierung und Migration haben der Vielsprachigkeit der Region eine neue Facette gegeben. Wie aber soll die Schule damit umgehen? Bei der ECER Konferenz in Bozen stellten BildungsforscherInnen Praxisbeispiele aus Schulen in Deutschland, Südafrika, den Niederlanden und Frankreich vor.
Brot backen auf Polnisch
In den Niederlanden gibt es eine Region, die, was die Sprache angeht, ein bisschen an Südtirol erinnert. Neben Niederländisch spricht man Friesisch, zusätzlich wird von klein auf Englisch unterrichtet, dazu kommen die Sprachen der Menschen mit Migrationshintergrund. 18 Prozent der Kinder besuchen eine dreisprachige Schule, in der auf Friesisch, Niederländisch und Englisch unterrichtet wird, und hier führt die Bildungsforscherin Joana Duarte ihre Experimente durch: Sie testet mit LehrerInnen Unterrichtsmethoden, die auch die Migrationssprachen einbeziehen: Die Kinder lernen zuerst, welche gemeinsamen Strukturen hinter verschiedenen Sprachen stecken. Dann werden sie angeregt, die Verwendung der Sprachen in ihrem Umfeld zu beobachten. „Den Kindern fiel zum Beispiel auf, dass es kaum Friesische Ortstafeln gibt.“, sagt Duarte.
Im nächsten Schritt hören Kinder Sprachen zu, die sie nicht gelernt haben, die sie aber, wie sich herausstellte, doch gar nicht so schlecht verstehen. Dazu laden die LehrerInnen Leute von außen ein:„Wir haben unter polnischer Anleitung Brot gebacken, das war ein großer Erfolg. Die Eltern waren zuerst skeptisch, aber jetzt sind alle ganz begeistert und haben schon nach der nächsten Aktivität gefragt, wahrscheinlich machen wir was auf Arabisch.“ Die drei Hauptsprachen werden mit traditionelleren Methoden unterrichtet: Durch Immersion, also den „normale“ Fremdsprachunterricht Unterricht und CLIL, wo Fachinhalte in einer Fremdsprache unterrichtet werden.
Für langfristige Ergebnisse dieser Methoden ist es noch zu früh. Aber die Reaktionen der beteiligten Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen sind positiv, berichtet Duarte. Wo man früher noch manchmal Kindern verboten hatte, ihre erste Sprache zu sprechen, wird die Mehrsprachigkeit der Kinder jetzt anerkannt und geschätzt.
Anerkennung ist wichtig
Genau diese explizite Anerkennung braucht es, damit die Kinder sich in ihrer Mehrsprachigkeit gut entwickeln, das bestätigt auch Rita Franceschini in der schriftlichen Einleitung zu dieser Diskussion – ihre persönliche Teilnahme musste sie aus gesundheitlichen Gründen leider absagen. „Den LehrerInnen ist oft gar nicht bewusst, wie viele Sprachen in der Klasse gesprochen werden, weil die Schüler auf die erwünschte Sprache wechseln, sobald die Lehrperson in die Nähe kommt.“, berichtet Erziehungswissenschaftlerin Ingrid Gogolin, Professorin an der Uni Hamburg. Aber unter sich und bei Gruppenarbeiten nutzten die Kinder die Sprachen, die ihnen im Moment gut passten, Kroatisch, Deutsch, Polnisch, Türkisch, Englisch, alles durcheinander. Dieses "Kauderwalsch" ist für die Professorin kein Problem. Wenn es zum Beispiel darum geht, eine Physikaufgabe zu lösen, könnte es Kindern sogar helfen, sich weniger auf die Sprache konzentrieren zu müssen. Eine Versuchsreihe ist geplant, die das klären soll.
Wenn man sich auf die Sprache konzentrieren muss, hat man weniger Kopf für Inhalte frei. Das sollte man auch bedenken, wenn es um CLIL geht, das Lehren von Inhalten in einer fremden Sprache, das jetzt auch in Südtirol ausprobiert wird. Die Methode kann gut funktionieren, aber es geht nicht nebenbei, die LehrerInnen müssen gut geschult sein, meint Gogolin.
Dieses Thema wiederum zieht sich durch alle Beiträge der Runde: Welche innovativen Methoden auch genutzt werden, wenn die LehrerInnen nicht sowohl gut vorbereitet als auch überzeugt sind, dann bringen sie nichts. Bitter war diese Erfahrung für Surette van Staden, die in Südafrika forscht. Dort gibt es 11 offizielle Sprachen. Kinder lernen drei Jahre lang in der lokalen Sprache, dann wechselt man auf Englisch. Die Forscherin wollte neue Methoden des Englischunterrichts testen, die in anderen Ländern erfolgreich erprobt wurden, aber auch wenn die LehrerInnen beteuerten, sie wären an Bord, veränderten sie den Unterricht nicht. „Die Idee kam von oben und wurde von Direktoren und Schulmanagement unterstützt, aber nicht von den LehrerInnen getragen. Ich habe gelernt, dass das so nicht funktionieren kann.“, sagt die Forscherin.
Nicht Vielfalt, sondern Unterschiede
Die ForscherInnen zum Thema mehrsprachiges Klassenzimmer haben auch andere Schwierigkeiten. Denn selbst wenn alle die Experimente mittragen und die Versuche durchgeführt werden können, ist es sehr schwierig und teuer, langfristige Studien und verallgemeinerbare Versuche durchzuführen. Quantitative Resultate zu erbringen, ist fast unmöglich. Aber die Erfahrungen der LehrerInnen und SchülerInnen, und die Beobachtungen der ForscherInnen seien eben auch was wert, ist man sich hier einig. Und die TeilnehmerInnen des Panels sind sich bewusst: Das Thema, das sie beschäftigt, wird in Zukunft immer wichtiger werden – Sprachendiversität ist die neue Realität. Und, so unterstreicht Diskussionsleiter Edwin Keiner von der Uni Bozen: „Diversität bedeutet nicht Vielfalt, sondern Unterschiede.“ Wer „Unterschiede“ sagt, der erkenne auch die Reibung an, das Konfliktpotential. Man muss sich schon etwas Mühe geben, damit das Neben- und Miteinander der Sprachen zum Reichtum wird, dessen muss man sich bewusst sein – ob in Südtirol, Südafrika oder Friesland.
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