Society | Gegendarstellung

„Lösung“ ist NICHT eine Paartherapie

Die Sozialgenossenschaft GEA, die Mitgliedsfrauen und Frauenhausmitarbeiterinnen und Donne contro la violenza – Frauen gegen Gewalt sehen in Pychas Kommentar „Fake Facts“
GEA - solidarietà femminile contro la violenza
Foto: Gea
Im Gastkommentar „Heikle Beziehung, systemische Lösung“ vom 6.9.23 analysiert der Psychiater Roger Pycha unter der Überschrift FEMIZID Beziehungen und deren Ende und plädiert für einen systemischen Ansatz, um Femizide vorzubeugen.
Eine solche Sichtweise war vielleicht im letzten Jahrhundert noch gesellschaftlich „annehmbar“, als man ganz allgemein von Beziehungstat sprach und es in Italien noch den „delitto d‘onore“ gab. Heute gibt es mittlerweile Unmengen an fundierter Literatur zum Thema der männlichen Gewalt an Frauen. Der Femizid wird nicht von ungefähr als Gipfel des Eisbergs männlicher Gewalt bezeichnet. In den zahlreichen Fällen, in denen der Femizid durch einen Partner oder Ex-Partner erfolgt, geht ihm oft jahrelange häusliche Gewalt voraus.
Diese häusliche Gewalt (psychisch, physisch, sexuell, wirtschaftlich) darf nicht mit den von Pycha genannten Konflikten oder Veränderungen in der Beziehung banalisiert werden: Paar-Konflikte laufen auf Augenhöhe, Gewalt hingegen basiert auf einem Macht-Ungleichgewicht. Die Gewalt dient dem Mann dazu, Kontrolle über der Frau zu haben (und zu bewahren), und sie wird gewöhnlich zu einer Sucht. Die ultimative Form dieser Art von Kontrolle ist die Auslöschung im Femizid: der Frau ihr Leben zu nehmen. Ein Femizid ist also NICHT, wie Pycha meint, „extremer Ausdruck traumatischer Beziehungsbeendigungen zwischen Paaren“,  und die „Lösung“ ist NICHT eine Paartherapie, sondern der begleitete und sichere Ausstieg aus der Gewaltspirale.
Dieses Phänomen nicht als solches zu benennen, die Verantwortung auf beiden Seiten zu suchen und den Femizid angewachsenen Spannungen innerhalb der Beziehung zuzuschreiben oder gar zur Paartherapie aufzufordern … das sind Ansätze, die dem Ausstieg aus einer Gewaltbeziehung nicht dienlich sind und sogar lebensgefährlich für die Frau sein können, ja einen Femizid im Prinzip legitimieren. Wir fordern Doktor Pycha auf, sich mit der Materie näher zu befassen und verweisen auf die zahlreichen Fortbildungsangebote in diesem Bereich, die gerade für Psycholog:innen und Psychiater:innen sinnvoll wären.
 
Die Mitgliedsfrauen und die Frauenhausmitarbeiterinnen, Sozialgenossenschaft GEA
Sozialgenossenschaft GEA für die Solidarität unter Frauen gegen Gewalt (Bozen)
Donne contro la violenza – Frauen gegen Gewalt (Meran)