Stage | Corpi Eretici

Tanz dein Problem

So schwierig ist die Lebensgeschichte des Ciccio Speranza gar nicht. Aber komisch, traurig, herzerfüllt und herzerfüllend. Von einem, der zum Tanzen in sich selbst geht, erzählt das Gastspiel bei Corpi Eritici der Kompanie Les Moustaches aus Bergamo.
La difficilissima storia della vita di Ciccio Speranza
Foto: Serena Pea
  • Ciccio Speranza wächst im Ländlichen auf, „in campagnia“, wo er auch bleiben soll, wenn es nach Vater und Bruder geht. Das Herren- und Familienstück kommt mit den drei Schauspielern, Damiano Spitaleri (Ciccio Speranza), Alberto Gandolfo (sein Vater) und Federico Bizzarri (sein Bruder) aus. Eine Lücke mit viel Raum tritt immer dann auf die Bühne, wenn, insbesondere Bizzaris Rolle wenn insbesondere Bizzaris Rolle sich laut denkend an die Mutter erinnert. Ein Schweigen tritt auf die Bühne, das für ihr Fehlen und insbesondere auf Ciccios Einsamkeit zeigt. Seine Tagträume davon, die harte und staubige Landarbeit hinter sich zu lassen und in der Stadt sein Glück als Tänzer zu versuchen, stoßen besonders beim oft harschen Vater auf wenig Gegenliebe.

    Dafür, dass Ciccio anders ist, reicht ein Blick auf seinen „häretischen Körper“ (in Anlehnung an den Namen der Aufführungsreihe), der im Rosa Tutu samt Schulterbehaarung als nicht konformer Körper heraussticht. Sein Erscheinungsbild würde eher zur körperpositiven Schwulenbewegung der „Bären“ (engl. „Bears“) passen und auf einer Pride nicht weiter auffallen. Um (sexuelle) Anziehung soll es nur für seinem Bruder im Stück gehen, der unmögliche Traum vom Tanzen reicht im Falle Ciccio Speranzas aus. Seinen Körper nutzen die Regisseure Ludovica D’Auria und Alberto Fumagalli (auch: Originaltext) als Metapher für das innere anders sein, die Kleidung sehen Vater und Bruder auf der Bühne nicht. Die Vorurteile, die dem Tanz anhängen, sind nicht zuletzt auch gender-spezifisch, also Zuschreibungen zum Geschlecht. Ciccio würde durch die Träumerei „verweiblichen“, so die Sorge des Vaters.

  • Bruder und Vater: Federico Bizzarri (links) und Alberto Gandolfo (rechts) haben auch ihre Konflikte, jener zwischen dem Vater und seinem Sohn Ciccio gehen allerdings an die Essenz dessen, was er sein will, im Inneren auch ist aber gleichzeitig nicht zeigen darf. Foto: Serena Pea

    Jeder weiß, dass vom Ballett oder von Lyriklesungen nicht weit ist, bis zur Homophobie und diese schlägt dem unschuldigen Ciccio entgegen. Er versteht dabei die Beweggründe aus denen der Vater ihn bei der Feldarbeit hält und ist hin und her gerissen zwischen der Familie und einem Traum der zu ersticken droht, zwischen Saat und Ernte, zwischen Schweinestall und Kuhmelken. Der Vater findet, dass sein Sohn, der zartere der beiden, sich voll und ganz der Arbeit widmen muss, aber dieser stolpert dabei immer wieder in eineJeder weiß, dass es vom Ballett oder von Lyriklesungen nicht weit ist, bis zur Homophobie und diese schlägt dem unschuldigen Ciccio entgegen. Er versteht dabei die Beweggründe, aus denen der Vater ihn bei der Feldarbeit hält und ist hin und her gerissen zwischen der Familie und einem Traum, der zu ersticken droht, zwischen Saat und Ernte, zwischen Schweinestall und Kuhmelken. Das ländliche Setting lernen wir als angedeuteten Rhythmus kennen, der tägliche Aufgaben und sich abwechselnde Jahreszeiten andeutet. Der Vater findet, dass sein Sohn, der zartere der beiden, sich voll und ganz der Arbeit widmen muss, aber dieser stolpert dabei immer wieder aus dem zermürbenden Rhythmus heraus in einen Tagtraum.

    Wenn es zu viel wird, geht Ciccio Speranza in sich selbst und tanzt zwischen einsamem Bühnenlichtkegel und Mehlstaub. Er tanzt, als gäbe es die Außenwelt nicht mehr und als würde niemand ihm zusehen. Bei aller Traurigkeit und Aussichtslosigkeit des Stücks ist es wunderschön zu sehen, wiees dem naiven Träumer immer wieder kurz gelingt, auszubrechen. Dass dieser Körper nicht konventionell schön ist, sondern mit Selbstbewusstsein und Körpergefühl im rosa Tutu über Konventionen hinaus geht, das hat etwas Befreiendes.

    Der Widerstand gegen eine Realität erstickt dabei an letzterer: Das Ende ist kein aussichtsreiches, sondern ein resigniertes, das sich nur über die Schönheit der Bilder rettet. Dass es auch zwischen Dreck und Schweiß eine große Schönheit gibt, die vielleicht wie Perlen vor die Säue geworfen wird. Fürs Publikum glänzen sie noch nach, der Dreck kann in Erinnerung auch hinten bleiben, auch wenn es schade ist, dass Ciccio nach wie vor träumen muss.

  • Mit der Rassegna Corpi Eretici geht es am 8. November abermals im Grieser Stadttheater weiter mit „Étoile & Star“, einem Gastspiel der Kompanie Essere umani molto da viccino, die ab 20.30 Uhr zu Gast ist.