Society | salto Gespräch

“Stärker als jede Mauer”

Kiddy Citny bekämpfte die Berliner Mauer mit Farbe und Herz. 30 Jahre nach dem Fall erinnert der “Streetart-Dinosaurier” die Achtziger – und sehnt sich nach Freiheit.
Kiddy Citny
Foto: Facebook/Kiddy Citny

Als es ihn nach Berlin zog, war Kiddy Citny 18 Jahre alt. Seit eineinhalb Jahrzehnten trennte die Mauer die Stadt damals schon in Ost und West. 1961 wurde sie errichtet, in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 fiel sie. Dazwischen hat sich Kiddy Citny auf dem Beton verewigt.
1985 machte sich der gebürtige Stuttgarter Künstler daran, heimlich – und illegal – 100 Meter der Mauer von West-Berlin aus zu bemalen. Er riskierte sein Leben – und wurde weltberühmt. Nun, 30 Jahre später, kommt Citny nach Bozen. Es ist nicht das erste Mal, doch ein besonderes Mal. Auf Initiative seines Freundes Jakob de Chirico hin – der Innsbrucker Aktions- und Performancekünstler hat lange schon Meran als Wahlheimat erkoren – wird Citny die kommenden Tage im Innenhof des Bozner Stadtmuseums das Projekt “Gegen alle Mauern” vollziehen.

Was hat Kiddy Citny damals angetrieben, wovon träumte er – und wo sieht er 30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer noch Mauern?

 

salto.bz: Herr Citny, als Sie Mitte der 1980er Jahre begonnen haben, heimlich die Berliner Mauer zu bemalen, setzten Sie damit Ihr Leben aufs Spiel. Warum haben Sie es trotzdem gemacht?

Kiddy Citny: Berlin war die Stadt des Kalten Krieges, es gab Kapitalismus und Kommunismus, die Todesmauer trennte Deutsche von Deutschen. Die Mauer und drei Meter im Westen gehörten zu DDR-Territorium – ich malte also im Osten. Ich wollte Ost-Berlin, die Hauptstadt der DDR mit Kunst einschließen, quasi per absurdum darstellen, da die Mauer menschenverachtend war. Als Mauermaler mussten wir uns anschleichen, da uns die Grenzsicherungstruppen der DDR nicht entdecken sollten. Das kam mitunter vor – dann bin ich fünf Meter zurück in den Westen gelaufen und war sicher.

 

Welche Botschaft wollten Sie mit Ihren Herzgesichtern und gekrönten Häuptern vermitteln? Für wen waren sie gedacht?

Die Bilder an der Mauer waren für die Menschheit gedacht. Kunst als höchste Form der Kommunikation hat den Auftrag, möglichst viele Menschen zu erreichen. Und vor allem waren die Bilder für Berliner gedacht – die Tristesse der Teilung mit positiven Bildern für eine hoffnungsvolle Zukunft zu erreichen. Eine Zukunft, die für Freiheit gedacht war. Die Herzen stehen für Liebe, auf dass sich Ost und West, getrennte Familien, getrennte Lieben eine Hoffnung auf Wiedervereinigung machen konnten. Ein Herz ist allein und einsam – für Liebe braucht es zwei Herzen. Die Königinnen und Könige stehen für Würde: Jeder Mensch soll sich wie eine Königin, ein König fühlen.

Wer Mauern baut, um seinem Volk die Freiheit zu nehmen, wird scheitern.

Haben Sie, als Sie zu Pinsel und Farbe griffen, damit gerechnet, dass die Mauer, die damals seit über 20 Jahren Berlin in Ost und West teilte, nur wenige Jahre später fällt?

Zu Zeiten der Bemalungen der West-Berliner Mauer hab ich nicht – und wahrscheinlich auch kein anderer – damit gerechnet, dass die Mauer fällt.  

Von was für einem Deutschland, was für einer Welt haben Sie damals geträumt?

Ich habe damals, Mitte der Achtziger Jahre, von einer freien Welt, einer Welt ohne Repressionen geträumt.

 

Wo und wie haben Sie den Mauerfall erlebt?

Im Sommer 1989 war ich etwas müde vom Leben auf der West-Berliner politisch-künstlichen Insel. Ich war seit 1975 in West-Berlin und hatte es über, wollte einen “Tapeten-Stadt-Wechsel”. Den Mauerfall habe ich in Bern erlebt, wo ich im November ’89 in einer Künstlerkolonie wohnte und arbeitete. Ein Kollege kam ins Zimmer gestürmt: “Die Mauer ist offen!” Zwei Tage später setzte ich mich in den Zug und kehrte nach Berlin zurück – das einen Freuden-Traum erlebte.

Welche Bedeutung haben 30 Jahre Mauerfall für Sie ganz persönlich?

Wer Mauern baut, um seinem Volk die Freiheit zu nehmen, wird scheitern. Der Wille zur Freiheit ist stärker als jede Mauer. Aber heute gibt es mehr politische Mauern als in den Achtzigern. Die Menschheit wird scheitern bei dem Versuch sich einzumauern.

Im Trubel und in der Euphorie über den Fall der Mauer ist Ostdeutschland unter die Räder gekommen.

Würden Sie heute, Jahrzehnte später, noch einmal eine Mauer bemalen?

Damals – Mitte der Achtziger – gab es keine “Streetart”. Mit unseren Bildern waren Thierry Noir, Christophe Bouchet und ich die ersten, die Kunst öffentlich zeigten. Wir sind sozusagen “Dinosaurier der Streetart”. Mit eigenen Mitteln, ohne jegliche finanzielle Unterstützung, schufen wir die Werke an der Mauer, dann entdeckte 1986 Wim Wenders die Motive und setze die Malerei an der Mauer für seinen Film “Himmel über Berlin” ein .
Heutzutage ist Streetart ein Teil der Kunstmaschine und vielfach in jeder Metropole zu finden. Als Protest würde ich heute nicht mehr an Mauern malen – da es als Verschönerung gesehen würde. Proteste gegen Mauern brauchen heutzutage neue Ideen und Aktionen.

 

Physisch ist die Berliner Mauer verschwunden. Doch Deutschland bleibt, zumindest wenn man die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen betrachtet – zuletzt ist in Thüringen die AfD zweitstärksten Partei geworden, nach Linken und vor der CDU –, ein gespaltenes Land. Wo sehen Sie heute die Mauern in der Gesellschaft?

Die Mauer in der Gesellschaft ist die Angst in den Köpfen der Menschen, die Angst vor der Zukunft – ökonomisch, ökologisch. Die Menschheit geht zurück in starre nationale Grenzen, anstatt sich global, kontinental zusammenzutun und die Welt zu einer besseren zu gestalten.  

Auch das Denken in Himmelsrichtungen ist in Deutschland bis heute nicht überwunden. Warum?

Im Trubel und in der Euphorie über den Fall der Mauer ist Ostdeutschland unter die Räder gekommen. Innerhalb von elf Monaten wurde die DDR vereinnahmt und hatte keine Chancen, sich an dem Veränderungsprozess maßgeblich zu beteiligen. Das schaffte Frust, der heute noch in den Knochen sitzt.

Die Herzen stehen für Liebe, auf dass sich Ost und West, getrennte Familien, getrennte Lieben eine Hoffnung auf Wiedervereinigung machen konnten. Die Königinnen und Könige stehen für Würde: Jeder Mensch soll sich wie eine Königin, ein König fühlen.

Sie sind mit Pinsel und Farbe friedlich gegen eine sichtbare Mauer angegangen. Was braucht es, um die unsichtbaren Mauern in den Köpfen vieler Menschen einzureißen?

Es braucht Toleranz, Respekt, Empathie, Verantwortung.

Was kann, soll, muss Kunst beitragen?

Kunst kann auf die Missstände hinweisen, sie sichtbar machen. Jede Kunst ist auch politisch und trägt Verantwortung für das Zusammenleben.

 

Wo sind die von Ihnen und Ihren Freunden bemalten Mauerreste heute?

Die Mauerreste wurden in alle Welt verteilt, Segmente von mir stehen im La Défense-Viertel in Paris, im Märkischen Museum in Berlin, auf dem UNO-Gelände in New York, auf dem USS Intrepid-Flugzeugträger in New York, in Privatsammlungen.

Und was werden Sie in den kommenden Tagen in Bozen machen?

Ich werde “die Welt im Arm”, ein klassisches Motiv von mir, als zentrales Motiv auf die Bozner Mauer malen, das die Menschheit auffordert, sich verantwortungsbewusst für die Zukunft unseres Planeten einzusetzen. “Die Welt im Arm” braucht natürlich auch Protagonisten – da dürfen die Königinnen und Könige und die Herzen der Liebe nicht fehlen.