Bärige Aussichten
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Es ist Sonntagabend, die Straßen sind leer, aber beim Pippo brennt noch Licht. Dafür, dass mit Andrei Tarkowskis „Nostalghia“ ein 40 Jahre alter Film auf dem Programm steht, der auf lange Plansequenzen und spärliche Dialoge setzt, ist die Veranstaltung gut besucht. Der Film ist bereits so alt, dass das titelgebende Gefühl, welches im Russischen wie im Italienischen Sehnsucht nach einem Ort bedeutet und nicht wie im Deutschen nach einer vergangenen Zeit, auch etwas vom deutschen Verständnis des Begriffes angenommen hat. Das Russland in das sich Tarkowski heimsehnt, gibt es nicht mehr. Dem Ruf poetischer Bilder bei freiem Eintritt sind wie gesagt einige gefolgt, für Snacks und Getränke wurde gesorgt, der Konzertraum war nach der Drumm and Bass-Fete am Vorabend zum gemütlichen Kinosaal umgestaltet worden.
Amedeo Sartori und Giordano Di Stasio, die am vergangenen Sonntag bei der 3. von 7 Vorführungen angekommen sind (am 26. November, wieder Sonntag, steht „L'eternità e un giorno - Mia aiōniotīta kai mia mera“ von Theo Angelopoulos am Programm, Beginn 20.30 Uhr), haben für diesen Freitag (Beginn 20 Uhr) noch einmal etwas Besonderes vor: Auf die Leinwand des Pippo trifft eine Kurzfilmvorführung, die neun lokale Autor:innen und ihre Werke in den Mittelpunkt stellen wird. KinaPix ist seit drei Jahren aktiv (und damit zu Pandemiezeiten gestartet).
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Für Sartori geht es in „Vision dell’Orso“ darum, „Orte der Segnung zu schaffen“ und um „Propaganda für das Autoren- und Nischenkino“. Roter Faden der diesjährigen Filmreihe sei „das Kino der Poesie, weil wir uns in einer Situation befinden in welcher wir konstant von aggressiven Bildern und solchen Bildern bombardiert werden, die für Unbehagen sorgen“. Das habe seinen Platz und sei natürlich wichtig und richtig, man versuche aber einen Moment weit zu kompensieren. Bereits im Programm gezeigt wurden „Lo spirito dell’alveare“ (El espíritu de la colmena, 1973) von Víctor Erice, ein Nationalheiligtum des spanischen Kinos, sowie dem verhältnismäßig jungen „The Lighthouse“ (2019) von Robert Eggers.
Um das Publikum auf Tarkowskis „Nostalghia“ einzustimmen, verlas Sartori ein Gedicht Tonino Guerras, das hier gehört werden kann. Auf diesen folgte nur mehr Trailer zu den gewesenen und noch kommenden „bärigen Aussichten“, sowie zu den Kurzfilmen (hier geht es zum Trailer auf Facebook) und das obligatorische: „Buona visione.“
(c) pasuneimagejuste auf YouTubeDa mit diesen Zeilen ein zwischen Tarkowski und Guerra gemeinsames Gefühl gut zum Ausdruck kommt, haben wir mit Amedeo Sartori über die „Vision dell’orso“ als solche, sowie über die Kurzfilmvorführung am Freitag gesprochen.
SALTO: Herr Sartori, es stehen am Freitag Kurzfilme auf dem Programm. Woher kommen diese Filme und wie wurden sie ausgewählt?
Amedeo Sartori: Das ist eine Idee, die wir schon länger umsetzen wollten, es gab nur nie Gelegenheit dazu. Als KinaPix sind wir gut, mit jungen Filmschaffenden, sowie mit Studenten und Absolventen der Filmschule Zelig vernetzt. Es sollte ein Abend werden, an dem es einmal um sie geht. Wir wollen nicht beim bekannten Kino stehen bleiben, sondern diesen Raum für junge Filmschaffende öffnen. Über diese Bekanntschaften haben wir versucht eine ausgewogene Mischung zu finden, die etwa Drama und Dokumentarisches, aber auch einen Film beinhaltet, der in Richtung Horror schielt, sowie einen Animationsfilm. Diesen jungen Regisseurinnen und Regisseuren wollen wir die Gelegenheit bieten, ihre Filme vorzustellen und dem Publikum die Möglichkeit, ihnen zu begegnen.
Wer sind die jungen Kurzfilmer:innen in der Region? Ist das eine heterogene oder eher homogene Gruppe?
Was unsere Bekanntschaften anbelangt, so ist das etwas, das spontan und ungezwungen zustande kommt: Man trifft sich um einen Film zu sehen und kommt ins Gespräch. Das sind zum Teil recht zufällige Bekanntschaften, die auch bei einschlägigen Wettbewerben entstehen. Vor einigen Jahren gab es in Bozen etwa einen Workshop unter dem Namen „Effetto Notte“, an dem vor allem meine Generation und andere Menschen der 90er teilgenommen haben. Dort wurden viele Kontakte hergestellt.
Es gab dann jene, die ins Ausland gehen, wie ein junger Filmer, der uns die Arbeit seines zweiten Studienjahres an der Filmakademie Wien vorstellt. Es wird auch etwas von Zelig-Absolventinnen und Absolventen, sowie von Personen, die ihre Filmbildung in Mailand oder Rom erfahren haben zu sehen geben. Das sind Bekanntschaften, die zufällig entstehen und ich könnte Ihnen nicht sagen, ob es da gewisse Charakteristiken gibt, die sich durchziehen. Das ist besser so: Es handelt sich um verschiedene Künstler, die zum Teil professionell ausgebildet sind und zum Teil nicht, die aber in jedem Fall viel mit ihrer Kunst zu sagen haben.
Was macht für Sie einen gelungenen Kurzfilm aus? Was ist das gewisse Etwas?
Persönlich als Regisseur kann ich sagen, dass das, was ich am meisten schätze, die Ehrlichkeit eines Films ist. Wenn ein Film aus technischer Sicht nicht perfekt ist und das Gezeigte auch etwas amateurhaft, dafür aber ehrlich ist, dann ist das für mich ein Kurzfilm den ich für diese Ehrlichkeit in der Umsetzung schätze. Man ist schnell mal auf dem Stand, dass man eine handwerklich und technisch saubere Arbeit umsetzen kann. Dass dahinter eine Dramaturgie und ein größeres Konzept steht, fällt besonders denen auf, die sich selbst beruflich mit Film befassen, genau wie die Botschaft, welche der oder die Künstlerin vermitteln möchte. Solange ein Kurzfilm ehrlich ist, kann ich mit dem oder der Regisseur:in ins Gespräch kommen und sagen, was ich persönlich beim nächsten Mal anders machen würde.
Wird der Kurzfilm-Abend damit auch zum Begegnungspunkt? Man trifft sich und diskutiert über die eigene Kunst?
Sicherlich hat jede und jeder andere Sensibilitäten, da es sich um neun Kurzfilme aus verschiedenen Genres handelt. Gemeinsam mit anderen Personen etwas umzusetzen und das Endprodukt dann gemeinsam mit anderen Personen zu sehen ist schön. Gemeinsam ist den Filmen der Wunsch, etwas zum Ausdruck zu bringen. Was dann beim Publikum ankommt, ist nochmal eine eigene Frage.
Wir sprechen hier immer von einer gewissen Nische innerhalb des Films und der Kultur. Euer Abend überschneidet sich auch mit dem Festival Analogica für analogen Film. Müsste man darauf in der Region besser achtgeben? Müsste man sich in der Nischenkultur besser absprechen?
Persönlich wusste ich nichts vom Festival Analogica. Es sollte nicht so sehr darum gehen, ob man Mainstream-Filme zeigt oder Nischenkultur anbietet, ich persönlich suche nach einer Filmsprache, die eine Nachricht zu vermitteln hat. Zukünftig würde ich auch Kollaborationen nicht ausschließen, unsere Tür steht immer offen. Uns gefällt es, hier im Kleinen, zusammenzukommen und einen guten Film zu sehen, sowie anschließend, wenn der Wunsch da ist, darüber zu sprechen. Es gibt da immer eine gewisse Hemmschwelle, man ist vielleicht müde. Gute Filme sind oft solche, die erstmal verdaut werden müssen. Gleich darüber zu sprechen kann oft nur einem Selbstzweck dienen. Hingegen tags darauf fällt einem vielleicht eine Szene noch einmal ein, man schaut diese nochmal an und findet dabei ein Detail, das man beim ersten Mal nicht entdeckt hat.
Sie gehören also nicht zu jenen Personen, die nach der Vorführung an der Kinobar zu finden sind?
Hier sind wir ja schon an einer Bar, also müssten wir gar nicht hingehen. Es ist natürlich immer schön mit dem Publikum über einen Film zu sprechen, aber wir setzen niemandem eine Pistole auf die Brust, das nicht. Uns gefällt es, wenn spontan aus dem Publikum die eine oder andere Neugier - oder auch Kritik - kommt. Wenn mir jemand sagt, Tarkowski sei langweilig, dann geht das auch gut. Es geht uns darum, Kino vorzustellen, das man Zuhause vielleicht nicht sehen wollen würde. Deswegen schauen wir heute „Nostalghia“.
TermineFreitag, 10. November ab 20 Uhr: Visioni... corte!
Sonntag, 26. November, Beginn jeweils ab 20.30 Uhr - L’eternità e un giorno von Theo Angelopoulos (1998)
Sonntag, 3. Dezember - Hana-Bi von Takeshi Kitano (1997)
Sonntag, 10. Dezember - La tartaruga rossa von Michael Dudok de Wit (2016)
Sonntag, 17. Dezember - Dov’è la casa del mio amico? von Abbas Kiarostami (1987)Alle Filme werden bei freiem Eintritt in Originalsprache (und bei bedarf) mit italienischen Untertiteln gezeigt. Der Animationsfilm am 10. Dezember kommt gänzlich ohne Dialoge aus.