Manaslu - Berg der Seelen
Hans Kammerlander ist neben Reinhold Messner der wahrscheinlich bekannteste Extrembergsteiger Südtirols und als solcher in der ganzen Welt populär. Doch was treibt den Mann an, was bringt ihn dazu, immer und immer wieder sein Leben zu riskieren? Er steigt auf die höchsten Gipfel dieser Erde, er begeht Routen teils zum ersten Mal und fährt mit den Skiern waghalsige Abfahrten ins Tal. Eine Mischung aus Biopic und Dokumentation soll den Mann hinter den Expeditionen beleuchten. Der Film stammt von Regisseur Gerald Salmina, der bereits vermehrt Erfahrung im Genre der Bergsteigerfilme gesammelt hat. Das Leben und Wirken Kammerlanders inszeniert er zweigeteilt: Während wir dem Bergsteiger selbst über weite Strecken des Films selbst zuhören, spricht er auch mit verschiedenen anderen Persönlichkeiten, etwa mit der deutschen Regie-Legende Werner Herzog, der bereits in den 80er Jahren eine Dokumentation über die Doppelüberschreitung der Berge Gasherbrum I und II gemeinsam mit Messner gedreht hat. Was Kammerlander erzählt, regt zum Nachdenken an. Er ist ein Mensch, der viel gesehen hat, dem Tod häufig sehr nahe gekommen ist und so, wie er selbst sagt, erst dadurch den Wert des Lebens erkannt hat. Er ist dankbar für diese Erfahrungen und möchte sie nicht missen. Auch war er stets auf der Suche nach einer neuen Herausforderung, so wollte er der erste sein, der den Mount Everest mit Skiern hinabfährt. Eine ganz besondere Expedition war hingegen nicht von Erfolg gekrönt. Als Kammerlander 1991 mit einer Gruppe Südtiroler Bergsteiger zum Manaslu (8163 m) aufbrach, musste er einen herben Rückschlag erleben. Zwei seiner Freunde starben im Verlauf der Expedition. Kammerlander ist sichtlich mitgenommen, er weist auf den kurzen Moment hin, der zwischen Leben und Tod entscheiden kann. Erst im Jahr 2017 kehrt er zum Manaslu zurück und stellt sich der sowohl bergsteigerischen als auch emotionalen Herausforderung erneut. Doch Kammerlander ist älter geworden, und womöglich auch schlauer. Die Wetterbedingungen sind erneut suboptimal, fast kommen Erinnerungen an jene schreckliche Nacht im Jahr 1991 auf. Er gibt sich geschlagen und bricht die Expedition ab. Der Berg hat ihn besiegt, doch es ist die vernünftigere Entscheidung. Mittlerweile trägt er größere Verantwortung, er hat Frau und Tochter, die ihm am Herzen liegen.
All dies klingt wie eine spannende Geschichte, die noch dazu wahr ist. Der Film nutzt neben beeindruckenden Panoramaaufnahmen und Interviewsituationen zu großen Teilen auch neu gedrehte, fiktionale Szenen, die das Leben Kammerlanders nachstellen. Begonnen wird dabei in seiner Kindheit, wir sehen, wie er seine ersten Ski bekommt, wie er mit Freunden waghalsige Klettertouren unternimmt. Wir sehen ihn älter werden und beobachten, wie er sich vom abenteuerlustigen Jungen zum Bergsteiger entwickelt, den wir heute kennen. Auch Reinhold Messner tritt in der Fiktionalisierung auf. Doch so interessant Kammerlanders Geschichte auch sein mag, der szenische Teil des Films weiß zu keinem Zeitpunkt mit dem dokumentarischen mitzuhalten. Zu fahrig sind die Szenen inszeniert, zu unsicher und aus dem Rahmen gefallen wirken die Schauspieler. Einzig in den Szenen, die die verschiedenen Expeditionen zeigen, kommt etwas Stimmung und ein Gefühl für die Situation auf. Positiv hervorzuheben ist das Gespräch zwischen Kammerlander und dem Regisseur Werner Herzog. Letzterer gilt als der Extrembergsteiger unter den Filmemachern und hat für seine Werke die ein oder andere Expedition auf sich genommen. Er glaubt zu wissen, wovon Kammerlander spricht, wenn er über den Wert des Lebens sinniert. Aber Herzog ist nicht unkritisch, und so spricht er gegen Ende des Films Kammerlanders letzten Schicksalsschlag an. 2013 starb ein junger Mann bei einem Verkehrsunfall, der von Kammerlander im alkoholisierten Zustand verursacht wurde. Herzog ist in diesem Moment des Interviews unbarmherzig und stellt Hans vor vollendete Tatsachen. Das ist für einen Film wie „Manaslu“ überraschend. Nach rund 90 Minuten an heroischen Abhandlungen folgt die Desillusionierung. Der Film macht so vor einer Glorifizierung seines Hauptdarstellers Halt und holt ihn auf den Boden zurück. So erleben wir am Ende einen geläuterten, aber reumütigen Mann, einen, der sein Leben lang große Risiken am Berg eingegangen ist, dessen Schicksal aber in seiner Heimat, abseits vom Gipfel entschieden wurde. Es ist ein schweres Kreuz, das Kammerlander zu tragen hat, und es zeigt, dass selbst ein Mann wie er tief fallen kann. „Manaslu“ ist ein Film, der zwischen den Stühlen steht. Er weiß in seinen dokumentarischen Momenten zu überzeugen, offenbart aber deutliche Schwächen im überlangen fiktionalen Teil. Etwas mehr Fokus hätte an dieser Stelle nicht geschadet. „Warum lebe ich noch und warum sind die meisten meiner Freunde tot?“ fragt Kammerlander immer wieder. Auch der Zuschauer wird dazu eingeladen, über den Wert des Lebens nachzudenken. Immerhin etwas.