Culture | Salto Afternoon
„Die Angst bleibt“
Foto: Florian Kametz
„Die Kinder“ hat am 7. Mai in der Dekadenz Brixen Premiere gefeiert, musste durch einen Krankheitsfall nach der ersten Vorstellung aus dem Programm genommen werden. Sieben Monat später die Wiederaufnahme. Dem Redakteur gefiel die Inszenierung des Ökothrillers gekreuzt mit einer Beziehungskomödie gut, siehe dazu auch die unten verlinkte Rezension im Salto Archiv. Es spielen wieder Eleonore Bürcher, Verena Plangger und Jörg Stelling, für Bühne und Kostüm zeichnet Sara Burchia verantwortlich, die Regieassistenz für Kametz' besorgte Laura Masten.
Zur Erinnerung: Wir befinden uns in England, im Haus zweier pensionierter Atomphysiker, Hazel und Robin, unweit ihres alten Arbeitsplatzes in einem Atomkraftwerk in welchem es nach einem Erdbeben mit Flutwelle zum Supergau kam. Ein Besuch von Rose, einstige Freundin und Kollegin der beiden, weckt Erinnerungen an die gemeinsame Arbeit und stellt mit einem Vorschlag das Lebensmodel von Hazel und Robin in Frage.
Herr Kametz, „Die Kinder“ ist inspiriert durch den Super-GAU in Fukushima 2011 und wurde 2016 uraufgeführt. Derzeit sind wir einer potentiellen nuklearen Bedrohung so nahe, wie seit den 80er Jahren nicht mehr. Was macht das mit dem Stück?
Fabian Kametz: Das ist natürlich eine Lage, die da entstanden ist, die für mich nicht neu ist. Ich bin in den 70er, 80er Jahren aufs Gymnasium gegangen und da war das im Geschichtsunterricht wahnsinnig relevant, die nukleare Bedrohung, gerade in Deutschland, mit einer innerdeutschen Grenze zum verfeindeten Block. Der Mythos vom Fulda Gap, dass die Amerikaner Deutschland atomar verseuchen werden, wenn die russischen Panzer vordringen, das war für uns alltäglich. Auch der Nato-Doppelbeschluss mit dem Rücktritt von Bundeskanzler Helmut Schmidt, das waren Dinge, die uns unglaublich bewegt haben und die, glaube ich, aus der atomaren Bedrohung in den Umweltschutz hinein gewirkt haben. Ich glaube jetzt erfahren wir das etwas umgekehrt: Die nukleare Bedrohung war jene der Kernenergie und die Atomkraftwerke sollten heruntergefahren werden, das war alles vorbereitet und jetzt werden sie wieder verlängert. Plötzlich ist auch wieder das Schreckgespenst der nuklearen Katastrophe durch Atomwaffen am Tisch und das macht, glaube ich, meiner Generation große Angst, weil wir die Erfahrung noch lebhaft abgespeichert haben. Wie das bei einer jüngeren Generation ist, kann ich nicht beurteilen, aber angenehm ist das sicher nicht. Die Hoffnung, dass die Menschen wissen, dass es nach einer nuklearen Auseinandersetzung keine Zukunft mehr für diese Erde gibt, die besteht natürlich. Sie ist aber eine trügerische, da der Mensch auch weiß, dass nach der Klimaerwärmung keine Zukunft mehr bestehen wird; nur auf etwas längere Sicht und nicht so abrupt wie bei einer nuklearen Auseinandersetzung. Auch da passiert, wie wir wissen, nichts oder zu wenig. Auf die Vernunft des Menschen zu setzen ist also trügerisch. Die Angst bleibt. Ich glaube, das schwingt alles im Stück mit, diese unterschwelligen Ängste und die Furcht vor einer nuklearen Katastrophe, sei sie durch Energiegewinnung, wie durch einen Konflikt.
Lässt sich Lucy Kirkwoods Text für Sie auch als Klimametapher lesen?
Ja, absolut. Das Stück ist in seiner Ambivalenz großartig geschrieben. Es ist einerseits eine Beziehungs- und Trashkomödie mit einem bisschen Rosamund Pilcher, und auf der anderen Seite eine extrem harte Auseinandersetzung mit dem Generationenvertrag und der Bedrohung durch die Klimaerwärmung, das lese ich auf jeden Fall auch in diesem Stück.
In Diskussionen im Kontext mit der Protestbewegung Last Generation ging es in letzter Zeit meistens um Verhältnismäßigkeit und nur am Rande um den Generationenvertrag. Welche Verantwortung haben für Sie derzeit politisch mündige Personen, wie sollten sie sich gegenüber solchen Protesten positionieren?
Das ist eine schwierige Frage, die moralische Implikationen besitzt. Darf ich Kunst zerstören, um auf die Klimabewegung aufmerksam zu machen? Darf ich, wie diese Protestbewegung Last Generation, radikale Mittel anwenden? Da glaube ich, in der Situation in welcher wir uns befinden, ist ein friedlicher Protest, der sich radikaler Mittel bedient im Endeffekt leider als legitim zu bezeichnen. Das meine ich insofern, als dass die Zivilgesellschaft so zu irritieren, das Aufmerksamkeit im höchsten Ausmaß generiert wird, darum kommen wir, glaube ich, nicht mehr herum. Ich glaube, dass die junge Generation diese Verantwortung auch übernimmt. Im Endeffekt geht es ja um sie: Wie lang werden wir noch leben und wie lang wird mein Sohn noch leben? Dass sich diese Generation mit unkonventionellen und teilweise radikalen Mitteln wehrt, ist tatsächlich aus dem Blickwinkel der jungen Generation legitim.
Gibt es eine liebens- und lebenswerte Umwelt, wie wir sie kennen auch noch in 70 Jahren?
Beide - Last Generation und Die Kinder - setzen sich kritisch mit ethischen Aspekten des Kinderkriegens auseinander, was bei älteren Generationen oft zu Spott führt. Wie geht es Ihnen als Vater mit dieser Frage? Können Sie die Entscheidung aus ethischen Gründen keine Kinder in die Welt zu setzen nachvollziehen?
Die Diskussion ist mir nicht unbekannt, die haben wir auch geführt. Zu allen Zeiten sind Kinder auf die Welt gekommen, auch während Kriegen. Das Problem ist nur, dass diese Diskussion eine neue Dimension bekommen hat, nämlich das durch den Klimawandel auch die Existenz der Menschheit, der Zivilisation wie wir sie kennen in Frage gestellt wird. Das heißt, man muss sich fragen: Gibt es eine liebens- und lebenswerte Umwelt, wie wir sie kennen auch noch in 70 Jahren? Oder wird dieser lebens- und liebenswerte Zustand in dem wir uns befinden, den wir auch genießen und uns erfreuen können an Natur und Umwelt und in dem, zumindest wir, als Europäer, uns keine Sorgen machen müssen, woher wir sauberes Wasser bekommen, verschwinden? Dann werden auch andere Zustände eintreten und das ist eine Bedrohung, die in Ländern Afrikas oder Asiens etwa, schon ein tagtägliches Problem sind. Die Frage ist schwierig. Es heißt aber auch, dass man ab dem Moment, wo man sich für eine Zukunft und auch für Kinder entscheidet, als ältere Generation auch einen Auftrag hat mit und für die jüngere Generation zu kämpfen und diesen Auftrag haben wir angenommen.
Das Stück ist als Kammerspiel im mit Sicherheit assoziierten Eigenheim inszeniert, aber am Rande der nuklearen Gefahrenzone angesiedelt. Wie schwierig war es, eine Durchlässigkeit dieses Raumes auszuarbeiten?
Das ist eine Aufgabe, die man mit den Schauspielern immer wieder besprochen hat und die man in der Darstellung immer wieder versucht hat präzise umzusetzen. Wir darauf geachtet, dass die Schauspieler in ihrer Art, wie sie ihre Figur gestalten und wie sie mit der Situation umgehen, sich dieser Durchlässigkeit immer bewusst sind.
... wir haben nicht für sechs Wochen acht Stunden am Tag umsonst gearbeitet.
Wie geht es Ihnen als Regisseur, wenn Ihre Produktion durch eine Krankheit abgesagt werden muss?
Das war wirklich ein Schock. Wir kannten das ja alle schon aus anderen Produktionen. Durch Corona war das nichts neues für uns. Wir hatten alle ausgefallene Premieren oder Stücke, die einmal gespielt worden sind und dann nie mehr. In dem Sinn waren wir sehr froh, weil die Entscheidung durch Anna Heiss, dass es eine Wiederaufnahme geben wird, sehr schnell gefallen ist. Wir wussten also, wir haben nicht für sechs Wochen acht Stunden am Tag umsonst gearbeitet. Das Stück wird sein Publikum noch erreichen und das freut mich sehr. Der Schock war daher nicht ganz so groß, als wir beschlossen haben, die Vorstellungen ausfallen zu lassen, da wir wussten, das Stück wird wieder dem Publikum zur Verfügung gestellt.
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