Autobomben gegen die Polizei und die Zivilbevölkerung in herrenlosen Krisenregionen kennzeichnen die erste Phase der Machtübernahme des Daesh. Dann werden die von der Dorf- oder Stadtgemeinde respektierten einheimischen Führungspersonen nacheinander ermordet. An ihre Stelle treten die Terroristen, die ihre Regeln verkünden und mit Brutalität durchsetzen. Schließlich: der tägliche Terror durch den Raub heiratsfähiger Frauen und heranwachsender Jugendlicher, die zu Jihadisten und Kamikaze ausgebildet werden.
Wie in Irak und Syrien gehen die IS-Kriminellen auch in Libyen vor. Sie haben in Sirte, der Heimatstadt des Ex-Diktators Gadaffi, ihren Kampf um die Vorherrschaft begonnen. Die dort überlebenden Gadaffi-Clans sind empfänglich für jeden, der Rache übt an den Verantwortlichen für ihren eigenen Machtverlust: also am "Westen" und seinen nordafrikanischen Kollaborateuren. Genauso war es in Mossul geschehen, der Heimatstadt von Saddam Hussein.
Nächster Schritt: die Eroberung der Erdölquellen durch den Daesh. Am Donnerstag explodierte nicht nur eine Autobombe vor einem Polizeiquartier in Zliten, 60 Kilometer östlich von Misurata und riss 74 Menschen in den Tod. Am selben Tag raste auch ein Kamikaze in einen Check-Point in Ras Lanouf, den großen Erdölhafen. Sieben Menschen kamen ums Leben, darunter ein 16 Monate altes Baby.
Das libysche Erdöl gehört zu den besten weltweit. Es ist so gehaltvoll, dass ohne große Verarbeitung Flugzeuge betankt werden könnten. In Zeiten des Erdölüberflusses ist Qualitäts-Petroleum besonders wichtig. Deshalb ist Libyen für den IS so interessant.
Außerdem ist der nordafrikanische Staat sehr dünn besiedelt. 1,3 Einwohner pro Quadratkilometer machen die Eroberung Libyens zu einem Kinderspiel. Begünstigt wird sie von der Unfähigkeit der NATO, der UNO und der EU, den Vormarsch des IS in Libyien zu stoppen.
Zwei gegnerische Parlamente gibt es in Libyen: Jenes in Tobruk ist unter Kontrolle der islamistischen Terroristen. Das Parlament in Tripolis ist Ausdruck der übrigen libyschen Bevölkerung, die sich von Ägypten beschützen lässt.
Unter Vermittlung der UNO sollten diese beiden Parlamente "versöhnt" werden. Chefvermittler war bis zum Herbst der spanische Diplomat Bernardino Leon. Kurz vor der Einigung: der Paukenschlag. Leon gab bekannt, dass er ab sofort in die Dienste des saudiarabischen Herrscherhauses trete, für ein Monatssalär von 50.000 Dollar.
Saudiarabien aber mischt im Libyen-Konflikt heftig mit: aufseiten der Jihadisten. Die offensichtliche Bestechung des UNO-Vermittlers wurde zunächst streng geheimgehalten. An seine Stelle trat als neuer Vermittler der Deutsche Martin Kobler. Immer wieder glaubt er, kurz vor einer Einigung zwischen den beiden Kriegsparteien zu stehen. Immer wieder platzt die Vermittlung im letzten Moment.
Mittlerweile befinden sich zwischen zwei- und dreitausend IS-Terroristen in Libyen. Sie werden unterstützt von weiteren 10.000 Jihadisten aus den angrenzenden nordafrikanischen Staaten. Der Ober-Kriminelle Al Baghdadi soll sich bereits in Libyen befinden, weil er dort sicherer lebt als im syrisch-irakischen Daesh, der seit der Pariser Blutnacht am vergangenen 13. November heftig bombardiert wird.
Nun hat der Terrorchef die Losung ausgegeben, dass sich seine kriminellen Anhänger übers Meer nach Libyien absetzen sollen, um dort einen neuen Islamischen Staat aufzubauen.
Libyen ist knapp 300 Kilometer von Italiens südlichster Insel Lampedusa entfernt. Sie zu erreichen/erobern ist kein Kunststück - auch wenn im Mittelmeer zig Kriegsschiffe unterwegs sind. Wenn Rom Brüssel und Washington weiterhin wegschauen, könnte der Alptraum Realität werden.