Society | Gastkommentar

Die DNA des SSB

Die Schützen erheben Anspruch auf die Definition von Begriffen wie Südtirol, Heimat, Wir. Diese Sprecherposition muss in Frage gestellt werden.
Schützen
Foto: Othmar Seehauser

Der Südtiroler Schützenbund hat mit seinem „außergewöhnlichen Projekt“, dem Musikvideo  „Mamma Tirol“ in den letzten Tagen viel Aufsehen erregt. Nun ist es offline. Problem gelöst? Wohl kaum. Denn das Musikvideo – dessen Liedtext ist nach wie vor in voller Lände in der Stellungnahme auf  der Homepage der Schützen zu lesen – handelt sehr anschaulich von der „DNA“, also der Weltsicht des Südtiroler Schützenbundes. Und die kann man nicht so leicht aus der Welt nehmen, wie das Video aus dem Netz.

Wie eh und je inszeniert sich der Südtiroler Schützenbund auch in diesem Projekt als letzter Kulturverteidiger einer bedrohten und unterdrückten Heimat, benennt die vermeintlichen Probleme und „Feinde“ (Homosexuelle, Neofaschisten, Studierende, Linksradikale, Heimatverräter, Ja-Sager usw.) und weiß natürlich die Lösung: Sie heißt Schützen-Identität. Denn der „Freiheitskampf“ für die Heimat und gegen alles Marode der Gesellschaft, das liegt in der DNA des SSB. Die Schaffung der kollektiven Identität der Schützen aus der Verknüpfung von Opferrolle und Heldentum wird in dieser Selbstinszenierung wieder unmissverständlich deutlich und ist absolut nichts Neues. 

Auch in ihrer Reaktion auf die laute Kritik, die das Video in der Öffentlichkeit erfährt, fällt den Schützen nichts Neues ein und sie ziehen ihren üblichen Trumpf aus der Tasche: Meinungsfreiheit. Da es sich beim Video um eine „Privatinitiative“ von Anderlan handle, seien auch die darin getätigten Aussagen seine „private Meinung“ und die müsse man ihm im Zeichen von Toleranz und Demokratie doch lassen. So inszenieren sich die Schützen anhand der Kritik an ihnen als Förderer des demokratischen Diskurses und seiner Werte.

Ohne die öffentlichen Geldmittel und die damit zusammenhängende, unhinterfragte Legitimation als Südtiroler Kulturträger, wäre der Verein Südtiroler Schützenbund samt seinem Weltbild nur ein Haufen Männer mit selbstbezahlten Hüten

Tatsächlich geht es ihnen aber nicht um den demokratischen Diskurs, auch wenn sie sich das Wort „Demokraten“ (neben „Christen“) auch schon im Video stolz an die Brust heften. Es geht ihnen auch nicht darum, etwas Neues zu sagen, sondern es geht ihnen um das immer Gleiche: Die Verbreitung ihrer reaktionären Weltsicht und damit das Bild des Südtirol, wie sie es sehen wollen (,aber wie es  zum Glück nicht ist). Sie wollen Unmut und Gegenwind erzeugen, um dadurch ihren vermeintlichen Opferstatus wieder glaubhaft zu machen, ihre eigene Position zu legitimieren und den inneren Zusammenhalt ihrer Gruppe zu stärken. 

Es geht den Schützen auch darum, den Anspruch, den sie auf die Definition der Begriffe Südtirol, Heimat, Wir, usw. erheben, erneut deutlich zu machen. Sie demonstrieren ihre Deutungs- und Definitionshoheit über kollektive Begriffe und sichern ihre gesellschaftliche Macht ab. Sie erheben sich selbst in eine Position, von der aus sie für das „wahre“ und „echte“ Südtirol sprechen. Sie entscheiden, wer da dazugehört. Sie entscheiden, welche Regeln hier gelten. Damit prägen sie das allgemeine Verständnis von Heimat, Tradition und Kultur in Südtirol. Und in diesem Bild haben viele Menschen keinen oder nur einen abgewerteten Platz.

Der Schützenbund ist sich dieser Machtposition sicherlich bewusst und die Schützen wissen auch, dass zwar ihre Aussagen inhaltlich kritisiert werden, aber dass ihre Sprecherposition kaum einer in Frage stellt. Doch genau das ist nötig. 

Die Schützen inszenieren sich anhand der Kritik an ihnen als Förderer des demokratischen Diskurses und seiner Werte

Neben einer inhaltlichen Debatte über die Aussagen im Video, bräuchte es eine Diskussion über die „DNA“ dieses Vereins und seiner Position in unserer Gesellschaft. Denn wer hier für die Südtiroler Gesellschaft zu sprechen beansprucht, ist ein Männerbund mit einem völkisch-nationalistischen, rassistischen, homophoben und sexistischen Weltbild, dessen gesellschaftliche Position, Bedeutung und Rolle durch öffentliche Finanzierung gestärkt wird.
Soweit, so bekannt und ich bin weder die Erste noch die Einzige, die über diese Zusammenhänge schreibt. Wichtig wäre also, eine gesellschaftliche Debatte darüber zu führen und konsequente Schlüsse aus den gewonnenen Erkenntnissen zu ziehen.

Inhaltliche Kritik und Forderungen zum Umdenken sind wichtig, aber leider oft von geringem Erfolg gekennzeichnet. Wenngleich der Gegenwind dazu geführt hat, dass das Video nun offline ist und sich Anderlan bei den Schützen der Vertrauensfrage stellen muss, hat sich an der Weltsicht des Schützenbundes und ihren gesellschaftspolitischen Interessen dadurch nichts geändert. Das Musikvideo war Ausdruck eines Problems, das weiter besteht. Ein wirksames Mittel, um dem Südtiroler Schützenbund seine  Bedeutung zu entziehen ist, ihm die öffentlichen Beiträge zu streichen. Ohne die öffentlichen Geldmittel und ohne die damit zusammenhängende, unhinterfragte öffentliche und gesellschaftliche Legitimation als Südtiroler Kulturträger, wäre der Verein Südtiroler Schützenbund samt seinem Weltbild nur ein Haufen Männer mit selbstbezahlten Hüten.