Das amerikanische Epos lebt
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Wird dieser Tage über den Film The Brutalist gesprochen, geht es häufig um dessen enorme Lauflänge. 215 Minuten dauert das Werk von Regisseur Brady Cobert, so lange im Kino zu sitzen wäre eine Zumutung, finde manche, andere hingegen glauben, die Lauflänge wäre gerechtfertigt. Dass sich ein Film diese Dauer verdienen muss, heißt es auch immer wieder. Dabei sollte die Diskussion doch weg von Zahlen und Zeiteinheiten gehen, und hin zum Erzählten. Es stellt sich vor, es zeigt sich, es benötigt Zeit. Im Fall von The Brutalist ist jede Minute wertvoll. Der Film ist die Rückkehr zum amerikanischen Epos, zoomt aber nie sonderlich weit raus, sondern bleibt eng bei seinem titelgebenden Protagonisten. Dennoch erhält man einen guten Eindruck von der erzählten Epoche, oder besser: den Jahrzehnten. Denn Corbet schickt Hauptdarsteller Adrien Brody als fiktiven Architekten László Tóth von Europa in die USA des Jahres 1947 und erzählt bis 1980. Der gebürtige Ungar und Jude erreicht New York wie viele andere, glücklich, dem Holocaust entkommen zu sein. Sie sind Überlebende, die nun, im vermeintlichen Paradies USA neu anfangen können. Der amerikanische Traum wartet darauf, beansprucht zu werden. Im Fall von László Tóth gibt es jedoch einen schweren Wermutstropfen. Seine Frau Erzsébet und seine Nichte Zsófia sind in Europa zurückblieben. Und so arbeitet László hart. Er muss Geld verdienen, um zu überleben, und hoffen, dass seine Frau noch lebt. Die seltenen Briefe halten die Hoffnung am Leben. Bald wird László einen Job finden, bei seinem Cousin Attila in Pennsylvania. In dem Zuge lernt er die wohlhabende Familie Van Buren kennen, deren Kinder einen ersten Auftrag für den Architekten haben. Eine Bibliothek für den Vater soll es werden, und daraus wird bald viel mehr. Besagter Vater, Harrison, möchte László engagieren, um ein ambitioniertes Kulturzentrum zu errichten. Es wird Lászlós erstes großes Werk in Amerika. Und pochendes Herz der Erzählung.
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The Brutalist ist als Epos konzipiert. Der Film gliedert sich in eine Ouvertüre, einen ersten Teil, eine Pause, einen zweiten Teil und einen Epilog. Auf diese Weise macht Corbet klar, dass sich hier Zeit gelassen wird. Obwohl das Figurenpersonal überschaubar ist und es im Grunde nur einen Handlungsstrang gibt, benötigt der Film seine Laufzeit. Das Drehbuch beschäftigt sich viel mit seinem Protagonisten und weniger mit den Ereignissen um ihn herum. Nur selten wird Kontext zur erzählten Epoche gegeben, durch eingefügte Nachrichtenfetzen oder Radiosendungen etwa. Durch das Weglassen von Massenszenen und dem Verzicht auf große Sets erklärt sich das vergleichsweise geringe Budget des Films von etwa 10 Millionen US-Dollar. Dennoch ist beeindruckend, mit wie wenig Geld es Corbet schafft, einen derart stilsicheren und fabelhaft aussehenden Film zu erschaffen. Die Bilder, die im Kino im besten Fall auf analogen 70mm gesehen werden, leuchten förmlich, wie Farben sind satt und doch geerdet, die Kamera verhält sich mal formal streng, dann wieder entfesselt. Immer jedoch monumental, egal ob Architektur, die namensgebenden brutalistischen Bauten, oder Gesichter in Großaufnahme gezeigt werden. Schön ist auch zu sehen, wie lange Corbet Einstellungen verweilen lässt. Schnittgewitter sind hier selten. Insgesamt verweigert sich The Brutalist weitestgehend modernen Trends, sondern orientiert sich eher an vergangene Zeiten, als das große Erzählkino noch in Mode war. Erinnerungen an Es war einmal in Amerika und Der Pate blitzen auf, und natürlich, völlig unvermeidbar, Der Pianist, in dem auch schon Adrien Brody als jüdischer Klavierspieler brillierte. Nun ist er 23 Jahre älter, besitzt mehr Gravitas, und füllt das Bild immer dann, wenn die Kamera auf ihn gerichtet ist, voll aus. Die Mischung aus Glücksgefühl angesichts der Ankunft in Amerika, dem Neuanfang und den Schicksalsschlägen, bei denen das jüdische Dasein in der Nachkriegszeit mit all ihren Hürden subtil, aber eindringlich aufgezeigt wird, all das spielt Brody gekonnt. Corbets Inszenierung geht höchst respektvoll mit dem Sujet um, und ist ein wahrer Genuss.
Am Ende des Films weiß der Traum selbst nicht so recht, ob er in Erfüllung gegangen ist. Amerika nimmt jene, die aufstreben, an die Hand, doch lässt sie ebenso schnell wieder fallen. The Brutalist ist auch deshalb besonders, weil er sehr nüchtern und nahezu realistisch mit dem Leben eines Menschen umgeht. Weder gibt es das große Happy End, noch geht die Geschichte schlimm aus. László erfährt das Leben, und das Kino hat ein Meisterwerk mehr, einen Film, wie es ihn nur alle paar Jahre gibt.
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