Politics | Graziano Delrio

Der Untypische

Fußballer, Arzt, engagierter Katholik und Vater von 9 Kindern. Der neue Bautenminister Graziano
Delrio ist eine untypische Erscheinung in Italiens Polit-Szene

"Ich würde ihm bedenkenlos meine Geldtasche anvertrauen", gesteht der rechte Oppositionsvertreter Guido Crosetto. Der ungewohnte Vertrauensbeweis gilt einem politischen Gegner, dessen Einordung in Italiens streitbaren Parteienzirkus schwerfällt: Graziano Delrio.

Zur Arbeit fährt der soeben ernannte Bautenminister mit dem Rad, Leibwächter lehnt er ab. Seine politische Laufbahn hatte der Parteilose eher zufällig begonnen , als er 1999 für ein zurückgetretenes Mitglied in den Gemeinderat seiner Heimatstadt Reggio Emilia nachrückte. 2004 drängte man ihn zur Kandidatur für das Amt des Bürgermeisters, in das er mit plebiszitärer Mehrheit von 63,2 % als erster Nichtkommunist gewählt wurde. Delrio stammt aus bescheidenen Verhältnissen: "Mein Vater war Maurer und überzeugter Kommunist und hat nur drei Volksschulklassen besucht."  Der Sohn entdeckte in der Schule die Religion :"Ero anarco-cristiano".
Seine Leidenschaft war der Fußball. Als Libero kickte er für die Amateurmannschaft Montecavolo, der er wegen des Mannschaftsgeistes auch
dann nicht den Rücken kehrte, als Milan den Inter-Fan  zu einer Spielprobe einlud. In seiner Freizeit arbeitete er mit seiner Freundin Annamaria im freiwilligen Sozialdienst für die Pfarrei.

Alltag mit neun Kindern

Als sie schwanger wurde, heiratete sie der 22-jährige noch während seines Medizinstudiums. Für das Paar war es das erste von neun Kindern in 14 Jahren. "Abbiamo vissuto il nostro amore in modo passionale", lächelt Delrio, der von seiner ungewohnten Familie als "comunitá"  schwärmt. "Natürlich gab es Turnusse für das Kochen, Waschen, Abspülen und Einkaufen.  Meine Frau und ich standen als erste um 6.30 Uhr auf.  Dann die Größeren. Zuletzt die Kleinen. Eine solidarische Gemeinschaft die viel Solidarität erfahren hat. Unsere Freunde unterstützen uns mit gebrauchten Kleidern und nützlichen Geschenken. Unsere Eltern mit ein bißchen Geld. Bei jedem Gang in den Supermarkt wurden zwei Einkaufswagen gefüllt. Alle unsere Kinder haben bügeln und kochen gelernt". Ein Restaurant konnte sich die elfköpfige Familie nur in Ausnahmefällen leisten.

"Wir konnten uns nur eine Woche Urlaub leisten und mußten dafür ein erschwingliches Haus mieten. Die Häfte fuhr mit dem Zug, die andere Hälfte mit dem Auto. Kinder sind das Schönste im Leben", schwärmt Delrio, der eigentlich eine Karriere als Mediziner anvisiert hatte.

Nach Forschungsaufenhalten in Großbritannien und Israel hatte sich der Endokrinologe um eine Professur beworben, die jedoch zu seiner Enttäuschung einem raccomandato zufiel. So mußte er sich mit einem Lehrauftrag  an der Universität Modena begnügen. Und damit, seiner wachsenden Kinderschar täglich Fabeln von Italo Calvino vorzulesen. Bis die Größeren ihn baten: "Non rompere i maroni."

Begegnung mit Matteo Renzi

Was Delrios Leben einschneidend veränderte, war die Begegnung mit Matteo Renzi. Die beiden Bürgermeister lernten sich im Gemeindenverband kennen, wo Renzi dessen Wahl zum Präsidenten förderte. Ungleicher könnte ein Paar kaum sein. Ungeduldig, frenetisch und autoritär der eine,
gelassen und ausgeglichen der andere. Wo Renzi auf Konfrontationskurs geht, setzt Delrio auf seine Fähigkeiten als Mediator. Der neue Bautenminister gesteht sein gespaltenes Verhältnis zur Politik: "Odio un po' la politica, perché mi ha sottratto ai miei figli."
Fußball spielt er in seiner kargen Freizeit noch immer gerne: "Ich habe meine Söhne im Hof immer trainiert."  Der Jüngste, Giovanni, sei ein guter Spieler. Und Michele habe es immerhin zum Schiedsrichter gebracht." Ob er sich an das Geburtsdatum seiner neun Kinder erinnert ?   "Ja, aber ich könnte sie durcheinenderbringen". Die Gemeinschaft ist in der Zwischenzeit geschrumpft. Der älteste Sohn lebt als Fotograf in Mailand, eine Tochter hat geheiratet. Zwei weitere sind ausgezogen. Der jüngste ist gerade 15.

Auf den 55-jährigen kommt mit der Übernahme des Bautenministeriums die bisher schwierigste Aufgabe seiner Karriere zu, die er freilich mit gewohnter Nonchalance angeht - wie alle Herausforderungen, allen voran die Erziehung von neun Kindern.
Neidlos gewährt Graziano Del Rio seiner Frau die Anerkennung, die Großfamilie exzellent gemeistert zu haben. Mit Komplimenten an Annamaria spart er nicht: "Sie hat neun Kinder zur Welt gebracht und aufgezogen.  Wir sind jetzt 31 Jahre verheiratet und ich finde sie  immer schöner."

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Benno Kusstatscher Wed, 04/08/2015 - 18:31

Schade, dass Delrio nicht wieder den Regionenminister gemacht hat, wäre er doch der Einzige, dem sich die Vision, der nach ihm benannten Reform noch erschließt und der auch das Zeug hätte, als buon padre di famiglia die notwendige Korrekturen durchzusetzen. Mit dem jetzigen halbherzigen, in seiner Halbfertigkeit lähmenden Machwerk wird er wohl kaum eine 31-jährige Liebe entflammen.

Wed, 04/08/2015 - 18:31 Permalink