Von Hitze und Feuer in der Literatur
Drei Frauen sitzen in Melbourne in einem deutlich heruntergekühlten, dunklen Theater. Ausserhalb des Theaters ist es heiss, in den Bergen vor der Stadt wütet ein Buschfeuer. Im Roman «Die Feuer» verbindet die australische Autorin Claire Thomas geschickt den hitzigen Gedankenfluss der Frauen mit den wunderlichen Dialogen des parallel auf der Bühne laufenden Theaterstücks «Glückliche Tage» von Samuel Beckett. Eine Frau, die sich mit dem Alltäglichen und Existenziellen auf einer unbarmherzigen Erde auseinandersetzt – für jede der drei Zuschauerinnen ist dieses Bühnenstück auf andere Weise ein Anknüpfungspunkt für assoziative Gedanken. Anstelle einer Handlung im klassischen Sinne folgen wir den inneren Monologen der drei Zuschauerinnen, die ihre Ängste, Hoffnungen und Vorurteile ausbreiten. Die individuellen Sorgen stehen hierbei diametral der weit grausameren Katastrophe vor dem Theatergebäude gegenüber.
«cli fi» ist kein Epochenstil, keine Gattung und kein Genre. Und es ist auch kein literarisches Randphänomen. Ob Krimi, Thriller, Science Fiction, Lyrik oder Gesellschaftsroman: «cli fi» bezieht literarisch Stellung – vielschichtig und relevant.
«Die Klimakrise schwebt über allem in unserer heutigen Welt, und ich fand es unerlässlich, sie zum Thema zu machen», sagt die Autorin im Interview mit ihrem Verlag. «Es fasziniert mich, wie unterschiedlich Menschen mit der Bedrohung umgehen. Wie sehr schützt uns der Kokon aus Privilegien und Kunst (versinnbildlicht durch den Theatersaal)? Wie sehr nimmt jede einzelne Person die furchterregenden Auswirkungen des Klimawandels wahr (versinnbildlicht durch die Buschbrände)?»
Ein ebenso packendes wie brennendes Debüt ist das Buch «Ewig Sommer» der deutschen Autorin Franziska Gänsler: Eine Mutter und ihre Tochter kommen in ein Hotel, in dem schon lange keine Gäste mehr übernachtet haben. Der Kurort hat seinen Reiz verloren, in unmittelbarer Umgebung brennen die Wälder. Es sind konstant über 40 Grad. Für die Hotelbesitzerin Iris ist der unerwartete Besuch eine willkommene Abwechslung – und doch: Irgendetwas scheint mit der Mutter nicht zu stimmen. Ist die Fremde auf der Flucht? Braucht sie Hilfe? Oder müsste Iris gar das Kind vor der Mutter schützen? Es ist unklar, aus welcher Richtung nun wirklich die Gefahr droht.
Wie schreibt man heute über die Klimakrise? Welche Chancen und Grenzen hat das Erzählen? Die Gegenwartsliteratur kennt darauf sehr verschiedene Antworten. «Der Klimawandel ist nicht einfach ein ‚Thema‘ in der fiktionalen Literatur», sagt Adam Trexler in einer Studie über das Konzept «cli fi». Der Klimawandel verändert elementare erzählerische Vorgänge. Er unterläuft die Passivität des Ortes, erhebt ihn zu einem Akteur. Er verändert die Beziehungen zwischen Charakteren und führt ganz und gar neue Dinge in die Literatur ein.» Trexler erstellte 2015 die erste analytische Veröffentlichung zu «cli fi» und untersuchte dazu über 150 Titel verschiedener Genres und Gattungen.
Buchtipps
Samuel Beckett: «Glückliche Tage». 103 Seiten. 2000.
Franziska Gänsler: «Ewig Sommer». 208 Seiten. Roman. 2022.
Claire Thomas: «Die Feuer». 256 Seiten. Roman. Aus dem Englischen von Eva Bonné. 2022.
Adam Trexler: «Anthropocene Fictions. The Novel in a Time of Climate Change». 272 Seiten. 2015.
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