Culture | Salto Weekend

Was wirklich auf dem Land passiert

Der ländliche Raum erfuhr und erfährt epochale landschaftliche und sozioökonomische Veränderungen. Ein bibliophiler Kulturelemente-Gastbeitrag von Thomas Streifeneder.
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Foto: Arne König Unsplash

Die heutigen Herausforderungen sind groß, insbesondere für die peripher liegenden Dörfer Europas. Viele sind bereits verlassen oder unattraktiv: Fehlende Arbeitsplätze, das letzte Gasthaus hat geschlossen. Der Agrarstrukturwandel mit Monokulturen, Hochtechnisierung, Investitionsdruck und globalen Abhängigkeiten schreitet fort, während die Familienlandwirtschaft zerbröselt. Aber was passiert mit den Menschen? Wie geht es ihnen? Und wer kann von ihnen erzählen? 
Seit ein paar Jahren erfahren Dorf- und Landgeschichten auf dem Büchermarkt eine Renaissance. Oft werden diese Bücher zu Bestsellern. Manche werden erfolgreich verfilmt. Bekanntes Beispiel ist Julie Zehs Roman „Unterleuten“ (2016) über ein Dorf, das in Anbetracht eines geplanten Windparks implodiert. Einer der wenigen Erneuerbare-Energien-Romane. Der Dorfroman ist ein realistisches Genre, das auf eine lange und erfolgreiche Tradition mit bekannten Autoren (u.a. Ignazio Silone, Knut Hamsun, Giovanni Verga) zurückblickt.
 

Was würden eigentlich die beschriebenen Landbewohner und Landwirte dazu sagen?


Vom Einbruch des Neuen in traditionelle Strukturen erzählen die meisten der seit 2000 veröffentlichten Dorfgeschichten. Sie, er, das Paar oder die Familie zieht von der Stadt aufs Land. Der Showdown der Werte, der Ansichten und Überzeugungen ist absehbar. Der große Enthusiasmus der „Néoruraux“ für eine auf dem Land – wenn nicht da, wo sonst? – sehnlichst erhofften Nachbarschaftshilfe, Gemeinschaft und hohen Lebensqualität prallt auf die harte Realität einer eingeschworenen Clique. Deren traditionelle Lebens- und Wirtschaftsweisen haben mit ihren meist alternativen Sichtweisen wenig zu tun. Für die Neuen bedeutet das: Aus Landlust wird Landfrust. Es ist ein wiederkehrender und konfliktreicher Topos in der heutigen Gegenwartsliteratur: Das Dorf- und Landleben erzählt als ein „Kampf der urbanen und ruralen Kulturen“. Ein eingespielter Plot der teilweise millionenfach verkauften Romane. Das liest sich unterhaltend und amüsant. Hat aber mit der Realität dieses dem Realismus verschriebenen Genres nur teilweise, oft nur wenig oder gar nichts gemein. Zu oft vermitteln diese Romane ein konstruiertes, klischeeartiges Land- und Dorfbild, das meist nur das Bild des Städters (oder vor kurzem Hingezogenen) widerspiegelt (der Buchmarkt ist ja ein urbaner). Was würden eigentlich die beschriebenen Landbewohner und Landwirte dazu sagen?
Aufschlussreich sind deshalb Bücher, die über konfliktreiche Ereignisse und Situationen abseits ausgetretener Pfade erzählen. Neue, herausfordernde Perspektiven bieten Werke, die sich zum Beispiel der seelischen Verfassung und Einsamkeit der bäuerlichen Bevölkerung widmen („Geographien der Einsamkeit“, Streifeneder und Piatti, 2022). Jean-Pierre Rochat (2019), Jean-Baptiste del Amo (2019), Monika Helfer (2020), Alina Herbig (2017) und Reinhard Kaiser-Mühlecker (2019, 2022) (siehe auch: unter diesem Link) bieten ungeschminkte Einblicke in unbekannte Bereiche heutiger ruraler Lebensrealitäten. Fernab von Gemeinplätzen sensibilisieren sie erkenntnisreich und überzeugend für das, was sich in Anbetracht der tiefgreifenden Umwälzungen und Herausforderungen „wirklich“ auf dem Land abspielt. Ihre Erzählungen berichten über menschliche, zwischenmenschliche und innermenschliche Facetten der Gegenwart, die zentral für das Verständnis dessen sind, was außerhalb der Städte passiert (Barbara Piatti und Thomas Streifender, 2021: Rural Criticism). 
 

Verkommen immer mehr schneearme Skigebiete zu skurrilen Kulissen menschlicher Tragödien?


Weitere Transformationen unserer Umwelt sind auch in Zukunft vorhersehbar. Nur, was wird auf uns zukommen? In diesem Kontext ist das Thema der Klimawandel mit den damit verbundenen Folgen einer „kippenden Welt“ (Heiko von Tschischwitz 2022) und notwendigen „Zukunftsministerien“ (Kim Stanley Robinson 2021). Climate-Fiction-Romane liefern aufschlussreiche Imaginationen einer möglichen zukünftigen Welt. Wird Urs Augstburgers Science-Fiction-Roman „Wässerwasser“ (2009), der einen unversöhnlichen Kampf um Wasserressourcen schildert, Wirklichkeit? Werden in Flammen stehende Wälder Städte bedrohen (Seraina Kobler „Regenschatten“, 2020)? Verkommen immer mehr schneearme Skigebiete zu skurrilen Kulissen menschlicher Tragödien (Arno Camenisch „Der letzte Schnee“, 2018)?
Bei erkenntnisreichen Lektüren über Land und Natur kann ein nicht-fiktionales Genre nicht genug hervorgehoben werden: Nature Writing. Parallel zur neuen Welle der Dorfgeschichten hat sich damit ein hoch interessantes und spannendes literarisches Genre etabliert. Es wird seit 2017 mit dem Deutschen Preis für Nature Writing konkret gewürdigt. Nature Writing entwickelt sich seit rund zweihundert Jahren im englischsprachigen Raum und hat dort eine große Anhängerschaft. Berühmte Vertreter wie Henry David Thoreau, John Muir, Edward Abbey, Annie Dillard und Nan Shepherd gehören heute zum Kanon der Literatur. Robert MacFarlane, Roger Deakin, Helen MacDonald sind Ikonen einer zeitgenössischen Literatur, die sich dem subtilen, subjektiven, aber immer sehr exakten Beobachten und Protokollieren von Natur- und Landschaftswahrnehmungen verschrieben hat. Auch im deutschsprachigen Raum veröffentlichten Esther Kinsky, Marion Poschmann, Ulrike Draesner, Werner Herzog und Levin Westermann bemerkenswerte Werke. In diesen geht es aber auch immer darum, wie Natur durch den Menschen angeeignet wird. Zentral ist das „Spannungsverhältnis von Natur und moderner Zivilisation“, dem wir nicht sprachlos gegenüberstehen dürfen (Jürgen Goldstein 2019). Charakteristisch ist eine gelungene Symbiose aus erkenntnisreicher Schilderung und virtuoser Sprachkunst. Atmosphärisches, Räumliches und Mentales verschmelzen zu eindrucksvollen und suggestiven Berichten über Naturerlebnisse. Wie in James Rebanks „Mein Leben als Schäfer“ (2016) spricht aus diesen Werken eine überzeugende Stimme, die uns verdeutlicht, wie wichtig unsere Umwelt für uns ist und wie sehr wir ihr zugehören. Und nebenbei sind sie voller natur- und kulturwissenschaftlichen Informationen und Erkenntnisse, die uns komplexe biologische und historische Entwicklungen auf stilistisch ansprechende Art und Weise vermitteln.

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Josef Fulterer Sun, 04/09/2023 - 06:58

Die sonntäglichedn Predigten und die monatliche Gewissens-Erforschung zur Beichte der lässlichen und schweren Sünden, in minimaler Form die vom Familien-Oberhaupt zu kontrollierende Beichte Beichte zu Ostern, waren die Leitplanken / Richtlinien für das Verhalten der Menschen, die auch von Seuchen-Zügem und sporadischen Witterungs-Ausreißern geplagt wurden.
Das Fegfeuer auf Zeit konnte mit den Ablässen abgekürzt werden und für die schweren Sünden wurde das ewige Höllenfeuer angedroht.
Den Menschen die am Sinn ihres Daseins verzweifelt waren, wurde das ewige Höllen-Feuer angedroht, die kirchliche Beerdigung nur in der nicht-gweihten Ecke des Friedhofs gestattet, wenn sie nicht wie noch früher auf ihrem Selbstmord-Platz verscharrt wurden.

Sun, 04/09/2023 - 06:58 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Sun, 04/09/2023 - 21:06

In Zeiten des Internet wachsen Stadt und Land zusammen; in Südtirol sehe ich nicht die großen Gräben. Es ist eher zu schauen, wie sich die normalen Menschen gegen den Einfluss der großen Konzerne wehren können.

Sun, 04/09/2023 - 21:06 Permalink