Politics | Sanität
Römisches Skalpell
Foto: upi
Es ist eine verbreitete Taktik.
Rom ist weit weg und wer macht sich schon die Mühe Urteile wirklich zu lesen. Vor diesem Hintergrund kann man aus Schwarz, Weiß machen und aus einem Nein ein Ja. Merken tut es eh (fast) niemand.
Genau das ist die Taktik des Südtiroler Sanitätsbetriebes.
Am Dienstagabend verschickt die Generaldirektion eine Pressemitteilung zu einem Urteil des Verfassungsgerichtes. Das italienische Höchstgericht hat an diesem Tag, ein Urteil zum Südtiroler Modell für die Ernennung der Primare gefällt.
„Daher ist das Urteil im Hinblick auf die Ernennungsfreiheit des Generaldirektors absolut positiv“, steht in der offiziellen Aussendung. Der Satz steht da bewusst fettgedruckt.
Man muss hoffen, dass der Präsident des Verfassungsgerichtshofes und der Mitunterzeichner des Urteils, Giuliano Amato, diesen Satz niemals zu Gesicht bekommt. Denn im Urteil 139/22 steht genau das Gegenteil davon.
Der Spruch der Verfassungsrichter ist eine Bankrotterklärung für einen Südtiroler Sonderweg bei der Ernennung der Primarinnen und Primare. Das Verfassungsgericht hat dem Modell der „politischen Ernennung“ eine mehr als klare Absage erteilt. Das Urteil macht einem System ein Ende, das es der Sanitätsspitze erlaubt hat, Spitzenpositionen nach Gutdünken zu vergeben.
Der römische Richterspruch ist in allen Punkten eine klare Niederlage für das Land Südtirol und den Sanitätsbetrieb. Vor allem aber wird der Richterspruch direkte Folgen haben. Der Sanitätsbetrieb wird sich mit Dutzenden Schadenersatzklage konfrontiert sehen, die er - nach diesem Urteil - bereits verloren hat.
Es ist ein Waterloo für Südtirols Sanität.
Der Anlassfall
Ausgangspunkt ist die Ausschreibung des Primariats für Neonatologie am Bozner Krankenhaus im Jahr 2019. Eine Ärztin nimmt an diesem Auswahlverfahren teil und wird von der zuständigen Expertenkommission unter die drei Geeigneten gereiht. Nachdem aber ein anderer Kandidat zum Primar ernannt wird, klagt die Medizinerin im Jänner 2020 vor dem Arbeitsgericht Bozen.
16 Monate später kommt es in diesem Prozess zum Paukenschlag. Der zuständige Arbeitsrichter Giulio Scaramuzzino leitet am 14. Mai 2021 das Verfahren an das Verfassungsgericht weiter. Das Anliegen des Arbeitsrichters: Das italienische Höchstgericht soll klären, ob die Südtiroler Landesgesetze, die die Ernennung der Primare regeln, verfassungswidrig sind.
Obwohl das Land Südtirol primäre Gesetzeskompetenz in diesem Bereich hat, bestehen seit langem berechtigte Zweifel an der Südtiroler Regelung.
Die Kommission
Zentraler Punkt in der Verfassungsklage ist die Expertenkommission, die die Eignung der Bewerber feststellt. Im Staatsgesetz ist vorgesehen, dass das Auswahlverfahren von einer vierköpfigen Kommission durchgeführt wird, der der Sanitätsdirektor der betroffenen Struktur angehört, sowie drei Direktoren von komplexen Strukturen aus demselben Bereich, in dem der Primar ernannt wird. Diese drei Kommissionsmitglieder werden aus dem nationalen Verzeichnis der Direktoren ausgelost. Sollten zufälligerweise alle drei Ausgelosten aus derselben Region stammen, wird so lange weitergelost, bis zumindest einer der drei Experten aus einer anderen Gegend kommt.
Nach dem Südtiroler Landesgesetz hingegen wird diese Expertenkommission vom Generaldirektor ernannt und ihr gehören neben dem Sanitätsdirektor, zwei weitere Experten aus dem Fachbereich, in dem die Stelle vergeben wird, an. Einer davon wird vom Sanitätsrat ernannt. Damit werden zwei von den drei Mitgliedern de facto von der Landesregierung ernannt.
Aber auch bei der eigentlichen Ernennung gibt es zwischen dem Staats- und Landesgesetz grundlegende Unterschiede.
Nach den staatlichen Vorgaben erstellt die Expertenkommission eine klare Rangordnung. Der Generaldirektor muss diese Rangordnung nicht einhalten. Ernennt er aber nicht den oder die Erstgereihte, muss er dieses Entscheidung begründen.
In Südtirol hingegen legt die Auswahlkommission nur eine Liste der Geeigneten fest und erstellt einen Dreiervorschlag, aus dem der Generaldirektor des Sanitätsbetriebes völlig freihändig auswählen kann. Ohne Begründung.
Das Urteil
Das Verfassungsgericht hat mir dem Urteil 139/22 diese Südtiroler Art der Primarernennung als verfassungswidrig erklärt.
Sowohl das Land Südtirol als auch der Sanitätsbetrieb haben sich in dieses Verfahren eingelassen. Dabei brachte man über ein halbes Dutzend Anträge ein. Das Verfassungsgericht hat alle diese Anträge abgewiesen.
Zentral dabei: Land und Sanitätsbetrieb pochten darauf, dass Südtirol als autonome Provinz primäre Gesetzgebungskompetenzen in diesen Bereichen habe. Das Verfassungsgericht kommt im Urteil aber zum Schluss, dass sich auch der Südtiroler Sanitätsbetrieb an die Rahmengesetze und Grundprinzipien des Staates halten müsse.
Dass Florian Zerzer & Co jetzt aus einer Niederlage eine Sieg zu machen versuchen, liegt an einer juridischen Spitzfindigkeit.
Das Bozner Arbeitsgericht hat die Verfassungsfrage zu zwei Artikel des Landesgesetzes aufgeworfen (siehe untenstehenden Kasten). Das Verfassungsgericht hat in seinem Urteil nur einen dieses Artikel für verfassungswidrig erklärt. Es handelt sich um Artikel 6 des Landesgesetz vom 21. April 2017, Nr. 41. Er regelt den Südtiroler Sonderweg bei der Primarernennung.
Das Rahmengesetz vom 5. März 2001, Nr. 7 - Art. 48, das die Vergabe der Fachaufträge und Führungsaufträge in der Südtiroler Sanität regelt, wurde hingegen als verfassungsmäßig erklärt. Dort wird aber festgelegt, dass die Modalitäten der Kandidatenauswahl und die Ernennung der Kommission durch eine Durchführungsbestimmung festgelegt werden.
Diese Durchführungsbestimmung muss ab sofort, aber den staatlichen Vorgaben Rechnung tragen.
Diese Durchführungsbestimmung muss ab sofort, aber den staatlichen Vorgaben Rechnung tragen.
Die Folgen
Nach der Anrufung des Verfassungsgerichtes hat man im Frühjahr 2021 im Südtiroler Sanitätsbetrieb die Ernennungen von Primaren aussetzen. „Mit einem Gesetz sub judice werden alle neuen Ernennungen eingefroren“, erklärte der Leiter der zuständigen Rechtsabteilung des Südtiroler Sanitätsbetriebes, Marco Cappello, damals. Es war - wie sich jetzt zeigt - die richtige Entscheidung.
„Was die für rechtswidrig erklärte Bestimmung anbelangt, so bedeutet dies jedoch nicht, dass die Ernennungen der Primare, die im Vierjahreszeitraum 2017-2021 vorgenommen wurden, automatisch für ungültig erklärt werden“, heißt es in der Presseaussendung des Sanitätsbetriebes. Und weiter: „Diese Ernennungen könnten theoretisch zum Gegenstand einer spezifischen gerichtlichen Beschwerde gemacht werden.“
Einige Prozesse sind bereits im Gang. Nach dem Urteil der Verfassungsgerichtes werden aber noch eine ganze Reihe von weiteren Verfahren folgen. Die Klägerinnen und Kläger werden dabei kaum nachträglich zu Primaren werden.
Aber die Aussicht für eine konsistente Schadenersatzzahlung ist für sie nach diesem römischen Richterspruch mehr als nur gut.
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