Politics | TTIP und EU

Für ein paar Dollars mehr....

Der Ausschuss des EU-Parlaments (EP) für Umwelt, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit teilt viele Besorgnisse der Anti-TTIP-Front zum geplanten Abkommen.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Auch Herbert Dorfmann hat an diesem Bericht mitgearbeitet und ihm zugestimmt. Dieser Bericht ist in einen weiteren Bericht (Ausschuss für Handel INTA) eingeflossen, über den das EP gestern befunden hat. Anscheinend sind nur sehr wenige Bedenken des EP-Umweltausschusses vom Plenum aufgenommen worden, weshalb über 240 MEPs gegen den INTA-Text gestimmt haben. Die große Koalition im EP treibt das TTIP weiter. Hier einige der Einwände des Umweltausschusses.

Handelsaustausch nicht als Zweck, sondern als Mittel betrachten.

Das TTIP habe den Zweck, Handelsvolumen und Investitionen im Wirtschaftsraum USA-EU zu steigern, Wachstum und Beschäftigung zu fördern, Handelshemmnisse zu beseitigen, meint der Umweltausschuss. Die EU-Kommission habe versichert, dass sie bestehende EU-Standards nicht senken wird, worauf der EP-Umweltausschuss besteht: außer Wachstum müsse ein solches Abkommen auch andere Bedingungen erfüllen. Sie teilt die Befürchtungen, dass der Gesundheitsschutz, die Lebensmittelsicherheit, die Umwelt und der Tierschutz in der EU durch TTIP gefährdet werden. Zwischen der EU und den USA gebe es tiefgreifende Unterschiede in diesen Bereichen, so der Bericht. Die im TTIP angelegte Nivellierung nach unten, also auf das Niveau der USA, werde sich stark auf die Gesetzgebung der Kommission auswirken, sie behindern.

Der EP-Umweltausschuss stellt auch fest, dass man jene Bereiche genau unterscheiden sollte, wo es Ähnlichkeiten beim Niveau der Lebensmittelsicherheit und Umweltschutz mit den USA gibt, wo Unterschiede. Dort, wo die USA der EU hinterher hinkt, sollte sie sich der EU angleichen, nicht umgekehrt.

Besonders besorgt ist man darüber, dass das EU-Parlament bei der Erarbeitung und Verabschiedung der Ausführungsbestimmungen nicht mitzureden haben wird. Sind im TTIP die Standards einmal festgelegt, wird das Parlament sie nicht mehr eigenständig revidieren können. Sie halten fest, dass die heutige wie die zukünftige Gesetzgebung unter der Kontrolle demokratisch gewählter Organe bleiben muss. Man kann den MEPs zu dieser Einsicht nur gratulieren.

TTIP und Chemie in der Nahrung: zwei verschiedene Ansätze

Sie erinnert daran, dass die USA – im Unterschied zu 150 anderen Ländern – wichtige internationale Konventionen zu chemischen Substanzen nicht ratifiziert haben. Allein schon in der Etikettierung und Klassifizierung chemischer Produkte gibt es grundsätzliche Unterschiede  zwischen den USA und der EU. Es gibt z.B. 82 Pestizide, die in den USA erlaubt, in der EU verboten sind. „Es besteht ein allgemeines Modell, gemäß welchem im Unterschied zu den USA in der EU weniger Pestizid-Rückstände in Lebensmittel enthalten sein dürfen,“ schreibt der EP-Umweltausschuss. Die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit würde durch das TTIP ihren Wirkungsgrad wesentlich einschränken müssen.

Der EP-Umweltausschuss geht auch auf den Zusammenhang zwischen der Lebensmittelproduktion und den Ernährungsgewohnheiten ein. Neue ungesunde, aggressiv vermarktete Lebensmittel würden sich negativ auf die allgemeine Gesundheit auswirken. Wenn die vier in den USA am stärksten präsenten nicht-infektiösen Krankheiten auch in der EU so stark wären, wäre dies ein Schaden für Gesundheit, Produktivität und die Kosten des Gesundheitswesens in allen Ländern. Im Klartext: für ein paar Dollars mehr aus dem transatlantischen Handel riskiert man bewusst die Gesundheit von Millionen von Europäern.

TTIP und Klimaschutz

Nicht nur bei der Lebensmittelsicherheit und dem Tierschutz ist der EP-Umweltausschuss sehr skeptisch gegenüber dem TTIP. Auch beim Klimaschutz werden die MEPs deutlich. Sie gehen von grundsätzlich unterschiedlichen Ansätzen der EU und der USA hinsichtlich der Treibhausgasemissionen aus und halten fest: der Klimaschutz muss Vorrang vor der Förderung des Handels haben. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Man sollte auch beim künftigen TTIP die externen Kosten der Expansion des Handelsaustauschs für Klima, Umwelt und Gesundheit internalisieren, also die durch Produktion und Transport entstehenden Verbrauch von fossilem Treibstoff einberechnen, um die Nachhaltigkeit des globalen Güteraustauschs zu gewährleisten. Wiederum ein Kompliment an den Umweltausschuss, denn dies bedeutet nichts anderes: echter Klimaschutz steht in Widerspruch zur Forcierung des freien Handels. Wenn man die Erderwärmung wirklich bremsen will, muss man mit den USA ein Klimaschutzabkommen, kein TTIP schließen.

In vielen Sektoren hätten die USA beim Klimaschutz geringere Standards als die EU, was die europäischen Produzenten im Handelswettbewerb mit den USA benachteiligt. Vor allem die Kosten fossiler Energie sind in den USA geringer, weshalb durch mehr US-Import direkt der CO2-Ausstoß und Energieverbrauch gefördert würde. Auch bei den Pharmazeutika (1,5% des EU-BIP) würde ein zusätzlicher Patentschutz durch das TTIP zu einer Verteuerung der Produkte in der EU führen.

Das ISDS (Investor-Staat-Schlichtungsverfahren) sehen die Parlamentarier sehr kritisch. Normen zum Umwelt- und Gesundheitsschutz befinden sich am häufigsten unter den Streitgegenständen dieser vom TTIP angepeilten Parallel-Justiz für Konzerne, wo immer sie infolge von Handelsabkommen schon existieren. Das EP hat die Abänderungsanträge zum ISDS gestern nicht akzeptiert.

Die Empfehlungen des EP-Umweltausschusses

In nicht weniger als 22 Punkten fasst der EP-Umweltausschuss seine Empfehlungen an die EU-Kommission zur weiteren Verhandlungsführung beim TTIP zusammen, dessen heutige Entwürfe gegen eine Reihe ganz grundlegender Werte verstoßen würden. Er fordert z.B.:

  • mehr Transparenz bei den Verhandlungen
  • Priorität für den Umweltschutz, Tierschutz und die Lebensmittelsicherheit
  • Die Einhaltung der Zuständigkeiten der demokratischen Organe und der demokratischen Verfahren
  • den generellen Verzicht auf die Absenkung von Umweltstandards
  • die Beschränkung auf Regelungen, wo sich die USA und EU näher liegen
  • den Verzicht auf Kompromisse zwischen Wirtschaftsinteressen, Tierschutz und allgemeiner Gesundheit
  • Bei der Normenkooperation in jedem Verhandlungsorgan sollen die demokratisch gewählten Gesetzgeber das letzte Wort haben (also nein zur im TTIP-Entwurf vorgesehenen Regulatorischen Kooperation).

Der EP-Umweltausschuss ruft die Kommission und das EP auf, keine Kompromisse zwischen wirtschaftlichen Zielen einerseits, der allgemeinen Gesundheit und dem Tier- und Umweltschutz andererseits einzugehen. Eine Reihe wesentlicher Punkte werden als unverzichtbar festgeschrieben:

  • keine Aufweichung der EU-Grenzen bei den Pestiziden
  • Regulierungsmaßnahmen bei Substanzen, die das endokrine System beschädigen.
  • kein Eingriffe in die öffentliche Wasserwirtschaft
  • keine Abstriche an der EU-einheitlichen Lebensmittelsicherheit und am Tierschutz
  • Aufrechterhaltung des Standards der EU-Verbraucherinformation
  • weiterhin strenge Verfahren bei der Zulassung neuer Pharmaka
  • keine Änderung bei der nationalen Zuständigkeit im Gesundheitswesen
  • keine Beeinträchtigung bei Umweltschutzstandards für energieintensive Produkte
  • Dekarbonisierung des Transportsystems und Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Treibstoffen.

Der Bericht des EP-Umweltausschusses zum TTIP macht von Neuem bewusst, wie dieses geplante Abkommen auf breiter Front mühevoll erreichte europäische Standards in Frage stellt: was Konzernen, Lobbys und Parteien in vielen Jahren beim Umweltschutz und Lebensmittelsicherheit abgetrotzt worden ist, würde für ein paar Dollars mehr wieder aufgegeben. Selbst der wirtschaftliche Vorteil eines TTIP löst sich in Luft auf, wenn man einrechnet, zu wieviel neuen Schäden und öffentlichen Reparaturausgaben die Umsetzung eines solchen „Umweltstandard-Senkungsprogramms“ führen würde.

Der EP-Umweltausschuss pocht nicht nur auf den europäischen Umweltschutz und Lebensmittelsicherheit, sondern auch auf elementare demokratische und rechtsstaatliche Grundsätze, die man an anderer Stelle der EU aufzugeben bereit ist. Das TTIP ist auch ein echter Prüfstein des demokratischen Stellenwerts des EU-Parlaments. Wie soll es als demokratische Vertretung der EU-Bürger auftreten, wenn es bei einer solch wichtigen Frage wie dem TTIP weder auf parlamentarischer Mitbestimmung bei der Umsetzung des TTIPs beharrt, noch über echte Mitwirkung bei diesem Abkommen selbst verfügt?

Südtirol und das TTIP

Für Südtirol könnte man den Titel abwandeln: das TTIP - ein hoher Preis für ein paar Äpfel und Speckseiten in die USA mehr. Ein Südtiroler Insider kann das bestätigen. MEP Dorfmann, Mitglied des Umweltausschusses und dort ständiger Berichterstatter für das TTIP, hat an diesem Bericht mitgearbeitet und zu seiner Verabschiedung beigetragen. Dieser ist in den INTA-Bericht eingeflossen, den das EP in den nächsten Wochen behandeln wird. Monatelang debattieren die Abgeordneten schon über diesen Bericht.

Es stellt sich auch die Frage: wenn Dorfmann für diesen Bericht gestimmt hat und die lange Liste an Bedenken teilt, warum vertritt er diese Skepsis nicht auch in der Südtiroler Öffentlichkeit? Seine Stellungnahme vom 9. Juni 2015 auf SALTO schließt Dorfmann mit den Worten: „Der Abbau der Zölle und vieler unsinniger Handelsschranken, und derer gibt es viele,  ist aus meiner Sicht auch und vor allem ein Gewinn für die Konsumenten. Was bringt es einem Konsumenten, wenn er für sein iPod Zoll bezahlen muss oder wenn Agenturen in Europa und in den USA Dinge doppelt kontrollieren, nur weil man sich gegenseitig nicht traut und damit doppelte Kosten verursacht werden, die letztlich der Konsument bezahlen muss? Ich bin mir aber auch bewusst, dass wir die Pflicht haben, die legitimen Interessen und Wünsche unserer Bürger zu wahren. Würden wir das nicht tun, würden wir unserem Job schlecht machen.“ Da mag er recht haben: doch sind noch billigere iPods tatsächlich unsere wichtigsten Probleme in Europa? Was bringt es einem Konsumenten, wenn er billigere iPods, Hühnchen und Gen-Mais aus den USA bezieht und dafür die generelle Absenkung der EU-Standards im Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz in Kauf zu nehmen hat?