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Demonstrative Unnahbarkeit

Letzten Samstag, 06. Juli 2024, war die deutsche Elektronik-Institution Kraftwerk vor der Kulisse von Schloss Schönbrunn in Wien live zu sehen. Der Erlebnisbericht eines Fans, der auch für ein kleines lokales Medium fotografieren wollte.
Kraftwerk (Wien, 6. Juli 2024)
Foto: rhd
  • Kraftwerk sind so etwas wie das Überwesen der elektronischen Musik. Mit einer Hand voll Alben, erschienen zwischen 1974 („Autobahn“) und 1986 („Electric Café“), haben sie die Musikwelt derart nachhaltig geprägt, dass sie zu den einflussreichsten Bands überhaupt gezählt werden. Wer die Musik von Kraftwerk verinnerlicht hat, der wird diesen Einfluss, diese Spuren, überall wahrnehmen (auch dort, wo sie vielleicht gar nicht sind ... zu diesen Zeitgenossen würden wir uns auch zählen).

    Kraftwerk sind eigentlich ständig auf Tour, aber ihr Termin am Samstag, 06. Juli 2024, in Wien, passte in den Terminkalender und das Ticket von nicht ganz 80 Euro war noch unterhalb der selbst gesetzten Schmerzgrenze. Da die Camera natürlich Teil des Gepäcks war, fragten wir zur Sicherheit um einen Foto-Pass an, den wir auch prompt bekommen haben.

    Die Organisation war einwandfrei. Das Konzert war für 20.30 Uhr angesetzt, aber am Nachmittag trudelte ein Mail ein, das die Verlegung des Konzertbeginns auf 21.30 Uhr verlegte, die visuelle Show würde erst nach Einbruch der Dunkelheit seine wahre Wirkung entfalten. Perfekt, unnötiges (weil unerwartetes) Warten auf dem Gelände kann damit vermieden werden.

  • Distanziert, kühl und unnahbar: Kraftwerk haben ihren Auftritt in Wien am letzten Samstag perfekt inszeniert. Foto: rhd
  • Der weite Platz vor der ausladenden Fassade von Schloss Schönbrunn hatte sich mit mehreren Tausenden Menschen gefüllt. Ebenso die Tribünen. Erstaunlich viel Publikum. Und erstaunlich divers: Französisch war zu hören, es gab immer wieder Fans, die sich mit tiefrotem Hemd und schwarzer Krawatte deutlich als Fans deklarierten, alle Altersgruppen waren zu sehen, und von Techno-Anhängern bis hin zu Darks, Punks und Hippies war alles da.

    Die Fotografen mit Pass, es waren so an die zehn, sollten sich im 21 Uhr vor dem FOH, dem Mischer, zusammenfinden, um die Instruktionen zu erhalten, und die waren – für einen kleinen Lokalreporter – erst einmal „erstaunlich“: Es durfte nur während der ersten drei Songs fotografiert werde, das Areal vor dem FOH durfte nicht verlassen werden und danach musste die Camera abgegeben werden.

    Das mit den ersten drei Songs ist gängige Praxis, aber ein Konzert zu fotografieren, bei dem sich die Band hundert, zweihundert Meter weit weg befindet, mit einem Publikum dazwischen, das ständig seine Smartphones nach oben hielt, war eine „schwierige Situation“ und nicht wirklich nachvollziehbar, auch wenn die Band selbst auf einem hoch gestellten Podest war. Die Vorfreude hatte einem gewissen Unmut Platz gemacht. Dass am Merchandise-Stand dann auch nur mehr zwei T-Shirt-Motive zur Auswahl standen, war gut für Kraftwerk, schlecht aber für das emotionale Gegensteuern.

  • Die Fassade von Schloss Schönbrunn in Wien als Leinwand für die Visuals: Kraftwerk haben die visuellen Möglichkeiten voll ausgeschöpft und dem Publikum einige überraschende Momente geschenkt. Foto: rhd
  • Die Entscheidung, Rücksicht auf das Licht zunehmen und den Konzertbeginn zu verschieben, war gut. Die Projektionen und Visuals, die sich durch das gesamte Konzert zogen und die einzelnen Songs illustrierten oder kommentierten, waren gut bis beeindruckend. Die gesamte Fassade von Schloss Schönbrunn wurde bespielt, wurde als Leinwand genutzt und verlieh dem Konzert und der Musik eine beeindruckende Weite und Größe.

    Die ersten Songs – „Nummern“, „Heimcomputer“ und „Die Mensch-Maschine“  waren gut und zeigten, dass die Band um Ralf Hütter, dem einzigen verbliebenen Original-Mitglied der Band, ihr Erbe hüten wollten, aber durchaus das eine oder andere musikalische Update nicht ausschließen. Der Sound war gut, die Band selbst sehr statisch und konzentriert auf ihrem Podest. Nach der der Begrüßung gab es bis zur Verabschiedung keinerlei Zwischenansagen, keine Kontaktaufnahme zum Publikum. Alles wirkte sehr distanziert und die Band schien auch nicht wirklich Spaß zu haben an der Performance.

    Mit „Autobahn“ wurde nicht nur einer unserer Wünsche erfüllt, der Song war auch ungewollt Beweis dafür, dass die Band live spielte. Zu Beginn wackelte es im Gebälk und – sofern wir das richtig nachvollziehen konnten – war Ralf Hütter die Quelle. Es war nicht schlimm, aber ein Beweis dafür, dass es Perfektion nicht gibt, auch nicht im Hause Kraftwerk.

    Überraschend schön „Radioaktivität“, das wirkungsvoll inszenierte und nah am Original gehaltene „Trans-Europa Express“, ebenso „Spacelab“ und, mit „Radioaktivität“ vielleicht das Highlight des Abends: „Die Roboter“, das im angenehm aktuellen Soundgewand auf die Bühne gebracht wurde und die Musik von Kraftwerk in all ihrer Schönheit zeigte.

    Einige Songs später verließen die Musiker – während „Music Non Stop“ lief – einzeln das Podest. Hütter als Letzter.

  • Die Anzüge der vier Musiker wurden als Teil des Konzeptes in das visuelle Spektakel fest eingebunden: Ralf Hütter, ganz links, ist das letzte verbliebene Gründungs-Mitglied von Kraftwerk. Foto: rhd
  • Der Applaus war gut, aber nicht überschwänglich. Das könnte am Publikum selbst liegen, das könnte aber auch daran liegen, dass Kraftwerk mit dem Konzertprogramm keinen Bogen gespannt haben, sondern „nur“ eine Art „Best of“-Programm. Natürlich: Kraftwerk-Fans wollen Songs wie „Trans-Europa Express“ oder „Die Roboter“ – und wenn es nach uns ginge, auch „Das Model“ – hören. Kraftwerk haben einen großartigen Nachlass aus dem sie schöpfen können und die Fans zufriedenzustellen, ist ja eines der obersten Gebote und nachvollziehbar.

    Aber dennoch, neues Material wäre wünschenswert gewesen. Das Konzert war ein Blick in die Vergangenheit, als von dort aus in die Zukunft geschaut wurde. Kraftwerk haben den Anschluss an die Gegenwart zwar nicht verloren, aber am Puls der Zeit zu sein klingt anders. Bei „Die Roboter“ wurden die ikonischen Roboter vom „Die Mensch-Maschine“-Album projiziert, nur mit den Gesichtern der aktuellen Kraftwerk-Musiker. Wer heute an Roboter denkt, denkt eher an KI oder an die „laufenden Hunde“. So hatte das alles einen etwas musealen Anstrich.

    Die demonstrative Distanziertheit der Band hat das nur noch klarer dargestellt. Nebenbei bemerkt: Es war im Publikum – auch direkt vor der Bühne/dem Podest – keine wirkliche Party-Stimmung wahrnehmbar. Getanzt wurde aber eher wenig. Vielleicht ist das so, bei Kraftwerk-Konzerten, das wissen wir nicht.

    Wie auch immer, unser Resümee: Kraftwerk waren gut und Songs wie „Die Roboter“ und „Autobahn“ überragend, aber das sind sie auch auf Tonträgern. Als Live-Erfahrung sind die kleinen, lokalen Konzerte für uns besser. Zwar gibt es auch dort Enttäuschungen und Fehleinschätzungen, aber es gibt auch sehr oft Überraschungen und die Energie, die von der Bühne kommt, ist nicht nur deutlich spürbar, sondern der direkte Kontakt und die Kommunikation zwischen Band und Publikum unausweichlich.

  • Mit dem (überholten) Handy vor der Bühne: Strenge Vorgaben für Fotografen, freie Bahn für Smartphones. Foto: rhd