Politics | Vertrauensvotum

Das schräge Karussell der Politik

Matteo Renzi stellt zur Arbeitsmarkreform die Vertrauensfrage, ohne dass der Gesetzestext vorliegt. Italiens Politik wird immer verrückter.

In 17 Wahlgängen war das Parlament außerstande, zwei Verfassungsrichter zu wählen. Ein Skandal. Seit dem 12. Juni treten Kammer und Senat fast wöchentlich zu gemeinsamen Sitzungen zusammen, um  zwei Mitglieder des Höchstgerichts zu küren. Vergeblich appellierte der Staatspräsident an die fast 1000 Parlamentarier, ihrer verfassungsmäßigen Pflicht nachzukommen.

Was im Parlament passiert, ist ein untrügliches Zeichen für die wachsende Balkanisierung der italienischen Politik: bröckelnde Parteien, denen die Kontrolle über die eigenen Parlamentarier entgleitet, Abstimmungen, die zu Abrechnungen verkommen, Heckenschützen, die jedes geheime Votum nützen, um der eigenen Partei in den Rücken zu fallen. Und das uralte Spiel der veti incrociati. Das größte, ineffizienteste und teuerste Parlament Europas ist längst zum Tollhaus verkommen: Schreiduelle und hysterische Auftritte sind an der Tagesordnung, Senatoren inszenieren einen Protestmarsch zum Quirinal, Parlamentier der Fünfsterne-Bewegung klettern aufs Dach der Abgeordnetenkammer, die zehnköpfige SEL-Truppe will die Verfassungsreform im Senat mit 7000 Abänderungsanträgen stoppen. In sieben Monaten sah sich Premier Renzi gezwungen, 25 Mal die Vertrauensfrage zu stellen - ein Schritt, der in anderen Ländern Seltenheitswert hat.

Das jüngste Vertrauenvotum wirkt besonders bizarr, weil es ein Ermächtigungsgesetz betrifft und weil es angekündigt wurde, ohne dass der Text vorliegt, über den am Mittwochabend abgestimmt werden soll.  Der soll erst wenige Stunden vor dem Votum präsentiert werden.

Ob einige Dissidenten des linken PD-Flügels den Mut haben werden, dagegenzustimmen, bleibt abzuwarten. Für Ersatz dürfte Berlusconis Forza Italia sorgen. Unter den Senatoren, die sich heute krank melden, dürften sich auch jene befinden, die der Sitzung fernbleiben, um Renzis Reform nicht zu gefährden.  Berlusconi, in dessen Partei seit Wochen die Fetzen fliegen, hat an einer Regierungskrise kein Interesse. Am Dienstag war der Senat vier Mal nicht beschlussfähig - ein neues, ausbaufähiges Spiel von SEL, M5S und Dissidenten aus Forza Italia und Lega. Delegitimierung ist angesagt. Von frustrierten Parlamentariern, die für zwei wöchentliche Sitzungstage in Rom ein Monatsgehalt von 13.000 Euro beziehen. Die nächste Runde wird das schräge Karussell am kommenden Mittwoch drehen - bei der 18. Sitzung zur Wahl von zwei Verfassungsrichtern.