Culture | Salto Afternoon

40 Jahre Vielfalt und Zufall

Zum 40-jährigen Arunda-Bestehen erscheinen zwei neue Ausgaben, die Sondernummer „Arunda-vierzig" und ein Internetportal.
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Foto: Salto.bz

96 Ausgaben und 850 Autoren

Der Arundakopf ist ein wenig bekannter Berg zwischen Taufers und Schlinig, ganz in der Nähe zur Schweizer Grenze, 2879 m hoch. „Arunda, die Wahl dieses rätoromanischen Wortes ist eine Liebeserklärung an Rätien und zugleich die Aufforderung, den gewohnten Horizont zu erweitern. Offenheit und Freude am Experiment werden sowohl den Inhalt als auch die Aufmachung der Zeitschrift bestimmen…Frei und unabhängig, keiner Ideologie verpflichtet, berichten wir über Kunst, Literatur, Musik, über bedeutende Persönlichkeiten, kulturelle Einrichtungen und Ereignisse. Wir versuchen die Dinge nicht nur rot oder schwarz, sondern in allen Farben zu sehen.“ Dies schreibt Hans Wielander, der Vater der Kulturzeitschrift, in der ersten Ausgabe. Die Arundaleute haben in den 40 Jahren, wie bei einer Bergtour, Ausschau gehalten nach neuen Horizonten und Vergessenes aufgespürt. Sie haben Grenzen überwunden, neue Wege gesucht und neue Aussichtspunkte zugänglich gemacht. So sind in den vier Jahrzehnten 96 Zeitschriften (5 Ausgaben sind ohne Nummerierung), ganze Bücher, Anthologien, Monografien, Fachbücher, Kunstbücher, Kunstkataloge und Bildbände entstanden. Jede Nummer hat ein anderes Gesicht und eine andere Geschichte. Qualität, Individualität und Originalität sind die Markenzeichen. Bodenständig und weltoffen, außergewöhnlich in der Form, mit vielen schönen Bildern und teilweise sehr persönlichen Texten, das ist die Kulturzeitschrift Arunda.

Wir versuchen die Dinge nicht nur rot oder schwarz, sondern in allen Farben zu sehen.
Hans Wielander

Rund 850 Personen haben Textbeiträge und Fotos geliefert. Einige Ausgaben haben viele Autoren, welche verschiedene Gesichtspunkte über ein ausgewähltes Thema beleuchten, andere Nummern werden von Einzelpersonen geschrieben und gestaltet. Das führt zu einer bunte Vielfalt und einer breiten Themenwahl. Es geht von den Menschenkindern, dem Titel der ersten Ausgabe, über Zerstörung, den Vinschgauer Sonnenberg weiter mit Themen über die Architektur, Literatur und Musik in Südtirol. Brisante Themen wie das „Kreuz mit der Identität“, „Aus der Norm“ werden genauso aufgearbeitet, wie die  Arbeiten von bekannten und weniger bekannten Künstlern wie Peter Fellin, Alois Kuperion, Gottfried Marsoner, Karin Welponer und Franz Pichler. Steine, Obst, Heu und Stroh, Sand und Schnee, Kastanien, Marmor und Holz sind weitere Themennummern. Die Hutterer, Sinti und Roma, das Trentino und die Via Claudia Augusta haben genauso Platz, wie die Sonnenuhren, Kinder, die Märchen aus der Churburg, die Sagen aus dem Vinschgau und Berührungen Russland Tirol. Die vorletzte Nummer ist den Heiligen gewidmet. Reiner Schiestl schreibt über Heiligenlegenden in Schrift und Bild. Die letzte Ausgabe ist dem Thema „Schneid“ gewidmet. Herausgegeben in der Schriftenreihe des Landwirtschaftsmuseums Brunnenburg von Siegfried de Rachewiltz in Zusammenarbeit mit der Kulturzeitschrift Arunda geht es um die Kulturgeschichte der Schärfe. „Am Anfang war die Schneid“, meint Rachewiltz und begründet es folgendermaßen: „Wir Menschen wären nicht das, was wir heute sind, hätten unsere Vorfahren vor ca. 1,5 Millionen Jahre nicht die Herstellung und Handhabung scharfer Klingen entdeckt.“ In der Ausgabe geht es aber nicht nur um scharfe Messer, Sensen und Scheren, um Wunderärzte, Chirurgen und Metzger, welche schneidige Messer und scharfe Scheren verwenden, es geht auch um schneidige Lieder, schneidige Burschen, scharfe Speisen und scharfe Schriften.

Der Skolast als Vorläufer

1975 wird in Schlanders der Arbeitskreises Vinschgau mit dem Ziel gegründet, dem kulturellen Leben in Südtirol neue Impulse zu geben und neue Publikationen zu fördern. Der Arbeitskreis Vinschgau wird so zum Herausgeber der Arunda und Hans Wielander zum Arundamacher. Dabei ist er alles andere als ein Macher. Er ist Anreger, Förderer, Geburtshelfer, Gesprächspartner, der Ideen aufgreift, Anregungen umgesetzt und Anliegen weiterträgt. Heute bezeichnet man solche Menschen als Netzwerkarbeiter. Von Anfang an gibt es einen breiten Freundeskreis von Helfern, Gleichgesinnten und Mitstreitern. Volker Oberegger, Paul Preims, Norbert Florineth, Michael Höllrigl und Kurt Pircher zählen dazu. Gerhard Mumelter und Gianni Bodini kommen später dazu. Besonders Gianni Bodini wird zum wichtigsten Mitarbeiter von Wielander. Deshalb ist die Arunda eine Südtiroler Kulturzeitschrift mit starken Vinschger Wurzeln. Aus dem In- und Ausland können Förderer gewonnen werden und bald hat die Arunda 1.000 Abonnenten. Das Experiment Arunda wächst und findet immer neue Freunde und Unterstützer. Ursprünglich nur für drei Jahre geplant, ist die Zeitschrift so 40 Jahre alt geworden. Und neue Ideen gibt es noch immer. Ganz leicht war es aber nie. Am Anfang ist die Erfahrung von Hans Wielander beim Skolast, der Zeitschrift der Südtiroler Hochschülerschaft, sehr wichtig. Als Skolastredakteur hat Wielander mehrere Nummern herausgebracht und dabei auch neue Akzente gesetzt. Der Skolast war damals die einzige freie und von der SVP und der Kirche unabhängige Zeitschrift in Südtirol. Die neue Kulturzeitschrift Arunda führt diese Tradition fort, ohne ein Kampfblatt für Oppositionelle zu werden.

Nicht Sturheit und Enge, sondern Offenheit, Neugier, Vertrauen und Gelassenheit sind die Leitlinien, genauso wie Toleranz und Freiheit. 

Menschenkinder und Lebensgrundlagen

Nicht die Politik, sondern die Kultur steht im Vordergrund. Nicht kurzlebige Modeerscheinungen und die neuesten Trends werden aufgegriffen, sondern grundlegende Fragen, zeitlose und lange verdrängte Themen. Menschenkinder, der Titel der ersten Ausgabe, ist unbewusst Programm und Leitthema vieler weiterer Ausgaben. Außergewöhnliche Menschen, Künstler, Außenseiter, die vergessen oder wenig beachtet werden, finden in der Arunda ihren Platz. Arbeiten von Norbert C. Kaser, Joseph Zoderer, Alois Kuperion, Peter Fellin oder Luis Stefan Stecher werden veröffentlicht. Architektur, Kunst und Landschaft, aber auch wichtige Lebensgrundlagen wie Milch und Brot, Holz und Steine werden behandelt, genauso existenzielle Fragen wie Zerstörung und Identität. Viele Ausgaben werden nicht von den Gründungsmitgliedern erstellt, sondern von einzelnen Personen konzipiert und gestaltet. So führt oft der Zufall zu neuen Ausgaben und erweitert sowohl die Themenpalette als auch die Darstellungsweise. Ganz selten werden Angebote abgelehnt. Neues wird zugelassen, man ist experimentierfreudig und offen. Kooperationen mit Verlagen und verschiedenen Institutionen werden eingegangen, um einzelne Ausgaben zu finanzieren. Und immer wird auf die Ästhetik geachtet. Vielleicht ist das die Stärke der Arunda und besonders von Hans Wielander. Nicht Sturheit und Enge, sondern Offenheit, Neugier, Vertrauen und Gelassenheit sind die Leitlinien, genauso wie Toleranz und Freiheit. Es gibt nie einen Zwang, neue Ausgaben zu produzieren. Man kann jederzeit aufhören. Mit dieser Strategie hat die Kulturzeitschrift Arunda viele andere Südtiroler Kulturzeitungen wie „Föhn“, „Distel“ und „Die Sturzflüge“ überlebt.

Arunda.vierzig

Marjan Cescutti erinnert in seiner Ansprache bei der Feier in der Schlandersburg an die schwierige Nachkriegsgeschichte. Das Trauma des Krieges und der beiden Diktaturen müssen erst verarbeitet werden. Südtirol befindet sich in einer Situation der ständigen Verteidigung. Erst nach der Verabschiedung des zweiten Autonomiestatuts kommt es zu einer kulturellen Öffnung, erst in dieser Zeit ist ein Projekt wie die Arunda möglich. Jetzt kann das Kulturmonopol aufgebrochen und Neues entwickelt werden. Im Jahre 2002 schreibt Horst Saller aus Schlanders seine Diplomarbeit über die Arunda. Und zur Geburtstagsfeier präsentieren Christine Riccabona und Erika Wimmer vom Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck eine umfangreiche Publikation mit Innen- und Außenansichten, mit verschiedenen Analysen, Rückblicken und Vergleichen. Irene Zanol, ebenfalls vom Brenner-Archiv, stellt die Internetseite vor. Damit hält die Kulturzeitschrift Arunda Einzug in die virtuelle Welt des Internets. Und 40 Jahre nach ihrer Gründung wird sie zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen. Die einen mag das freuen und mit Stolz erfüllen, andere mag das vielleicht auch abschrecken. Besteht doch die Gefahr der Einordnung, der Zuordnung und Schubladisierung. Die Arunda ist ein Produkt der Freiheit, der Unabhängigkeit, vielleicht ein bisschen sogar ein anarchistisches Projekt und ein Produkt des Zufalls, der zum Glücksfall wird. Und so soll es auch bleiben. Marjan Cescutti wünscht der Arunda für die nächsten Jahre „Schneid“, um neue Gipfel zu erklimmen und neue Horizonte zu öffnen. Wir schließen uns diesen Glückwünschen an.

...vielleicht ein bisschen sogar ein anarchistisches Projekt und ein Produkt des Zufalls, der zum Glücksfall wird.