Chronicle | PD-Vorwahlen

Kandidatenkür mit Signalwirkung

Renzi konnte seine Kandidaten zu den Bürgermeisterwahlen fast überall durchsetzen. Doch das politische Instrument der Vorwahlen ist beschädigt.
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Aus den Vorwahlen der PD („primarie“) zur Kür der Bürgermeisterkandidaten für die kommenden Kommunalwahlen gingen am vergangenen Sonntag – mit einer Ausnahme in Bozen – durchweg „Renziani“ als Sieger hervor. In der PD mag man dennoch keine Aufbruchstimmung erkennen.

„Renziani“ auf dem Vormarsch

Mit besonderer Spannung wurden die Ergebnisse in Rom und Neapel erwartet. In der Hauptstadt befindet sich die PD – nach der Affäre um „Mafia capitale“ und dem (erzwungenen) Rücktritt von Bürgermeister Marino – in einer schweren Krise. Was sich in der Beteiligung niederschlug: Es kamen höchstens 50.000, also die Hälfte derer, die 2013 an den letzten Vorwahlen teilnahmen. Ein Vertrauter Renzis, der PD-Abgeordnete Roberto Giachetti, setzte sich mit 64% klar durch. Schon während des Vorwahlkampfs brachte er, die Stirn in Falten legend, mit bemerkenswerter Ehrlichkeit eher Sorge als Kampfeslust zum Ausdruck: „Ich habe Angst vor der Wut der Römer“. Eine Wut, von der die Kandidatin der 5-Sterne-Bewegung profitieren könnte (die allerdings genauso blass und lustlos wirkt). Wie ein strahlender Sieger sah Giachetti trotz seines guten Ergebnisses nicht aus.

Spitzenkandidaten Valente und Giachetti

Spitzenkandidaten Valente und Giachetti

Was man von Valeria Valente in Neapel nicht behaupten kann. Nach der ersten Auszählung scheint es ihr, wenn auch knapp, gelungen zu sein, den alten Löwen“ Bassolino aus dem Rennen zu werfen. Der war schon früher einmal in Neapel ein beliebter Bürgermeister gewesen, dann aber als Präsident der Region Kampanien umstritten. Die junge Valente, die aus Bassolinos Umfeld kommt, hat sich von ihm „emanzipiert“ und gehört nun zu den „Renziani“. Anders als in Rom war die Beteiligung in Neapel etwas höher als bei den letzten Vorwahlen (ca. 30.000). Und anders als Giachetti strahlt Valente die Zuversicht aus, sich gegen den amtierenden Bürgermeister De Magistris und andere Konkurrenten durchsetzen zu können. Sie wird diese Zuversicht brauchen, denn ihre Erfolgsaussichten sind nicht rosig – und die Probleme in Neapel nicht geringer als in Rom. Es liegen zwar inzwischen weniger Müllberge am Wegesrand, dafür werden ganze Stadtviertel von den Jugendbanden der Camorra terrorisiert, die in ihrem Kampf um Vorherrschaft auch mal unbeteiligte Bürger auf offener Straße abknallen.

Das Mailänder Laboratorium

Ein anderes Bild bietet Italiens „heimliche Hauptstadt“ Mailand, wo schon vor einigen Wochen die PD-Vorwahlen stattfanden. Der beliebte amtierende Bürgermeister Pisapia, der sich vor fünf Jahren gegen den offiziellen PD-Kandidaten durchsetzte, tritt nicht mehr an. Ihm ist in Mailand das kleine kommunalpolitische Wunder gelungen, als profilierter Linker dennoch den Konsens von breiten Teilen der aufgeklärten bürgerlichen Schichten zu gewinnen. Er und sein Team schafften es, aus einem Stadtmoloch, der von protzigem Reichtum und sozialer Kälte geprägt war, eine wirtschaftlich und kulturell dynamische, lebens- und liebenswerte „Bürgermetropole“ zu machen.

Dieses Erbe dürfte auf jedem Nachfolger lasten, egal aus welchem Lager er kommt. Für die PD wird es nun der frühere Expo-Manager und Renzi-Favorit Sala versuchen, ein erfahrener „Macher“, der einst ein enger Berater der rechten Bürgermeisterin Moratti (Pisapias Vorgängerin) war und sich nun überraschenderweise als „schon immer links“ outete. Pisapias Hoffnung, mit seiner jetzigen Stellvertreterin und engen Vertrauten Balzani die Kür zu gewinnen, ging nicht in Erfüllung. Was vor allem daran lag, dass ihr ein weiterer Vertreter des linken Flügels einen Teil der Stimmen entzog.

Wenn Renzi, wie viele Beobachter vermuten, das Projekt verfolgt, aus der PD eine neue große liberal-reformerische Partei („partito della nazione“) zu machen, welche die gemäßigten Stimmen aus dem halblinken wie aus dem bürgerlichen Lager auf sich vereinigt, dann könnte dafür der Manager Sala eine Art lokale Vorhut sein.

Kritik am Ablauf

Salas Sieg begleiteten Auseinandersetzungen um die korrekte Durchführung der Vorwahlen, die besonders die Teilnahme chinesischstämmiger Einwanderer betrafen. Vertreter dieser Community hatten ihre Landsleute dazu aufgerufen, für Sala zu stimmen. Die Konkurrenten und andere Kritiker meinten, „die Chinesen“, die an den Vorwahlen teilnahmen, seien kaum der italienischen Sprache mächtig und wüssten nicht, worum es ging. Das mag zwar bei manchen zutreffen (Präzedenzfälle dafür gab es), aber wahr ist auch, dass viele chinesische Einwanderer – meist Geschäftsleute – schon seit Jahrzehnten in Mailand ansässig sind, sehr wohl Italienisch sprechen und wissen, was bzw. wer ihren Interessen besser dient. Ein Sprecher der Community erklärte, die Entscheidung für Sala sei schlicht darin begründet, dass man von ihm als Geschäftsmann mehr erwarte als von anderen. Das mag nicht jedem passen, wäre aber – solange die Vorwahlen für nicht Parteimitglieder offen sind – legitim. Es zeigt, wie leichtfertig (und mit einer Prise Rassismus) bisher das „Chinesen“-Argument gegen die Vorwahlen oft in Stellung gebracht wurde.

In Rom und Neapel, wo es früher ähnliche Probleme zu geben schien, wurden die Hürden für Einwanderer jetzt höher gesetzt: Diese mussten nicht nur – wie alle – vor Stimmenabgabe eine „Unterstützungserklärung“ für Mittelinks unterschreiben, sondern sich schon vor dem Wahltag anmelden. Schon lobte die Parteiführung den korrekten Ablauf. Bis in den sozialen Netzwerken ein Video kursierte, in dem man sah, wie in Neapel PD-Funktionäre vor den Wahllokalen Bürgern einen Euro in die Hand drückten und zeigten, wo sie ihr Kreuz machen sollten (bei Valente). Der unterlegene Bassolino erklärte, er sei „von diesem Handel angewidert“ und fordere von der Kontrollkommission der Partei eine Überprüfung. PD-Funktionäre aus Neapel versuchten sofort, die Vorfälle zu bagatellisieren. Man habe nur ein paar Leuten, die wählen wollten aber den Beteiligungsbeitrag von einem Euro gerade nicht parat hatten, auf die Schnelle helfen wollen.

Doch so einfach ist die Sache nicht. Wer den Beteiligungsbeitrag von nur 1 Euro nicht bezahlen will (oder kann), muss eben auf die Stimmabgabe verzichten. Schon gar nicht geht es, dass – wie auf dem Video deutlich zu hören – den so „ermunterten“ Wählern gesagt wird, wen sie wählen sollen.

Das politische Instrument „Vorwahlen“ ist beschädigt

Insgesamt hat es an Glaubwürdigkeit verloren. Einerseits wegen der vielen Unregelmäßigkeiten und Missbrauchsfälle, andererseits aber auch wegen der Zerfalls der politischen Kultur in der PD. Und schließlich wegen der zunehmenden Entfremdung der Partei von ihren Anhängern, die sich in Renzis Kurs nicht wiederfinden.

Die sinkenden Teilnehmerzahlen sind ein Indikator. Matteo Orfini (den Renzi, der Generalsekretär, zum „Parteivorsitzenden“ gemacht hat) erklärt unter Anspielung auf die römische Korruptionsaffäre, das liege daran, dass „diesmal die Truppen der Lokalbosse nicht zur Stelle waren“. Das ist eine Beschönigung: Viele der Römer, die vor drei Jahren zu den Vorwahlen gingen und diesmal zu Hause blieben, haben mit mafiösen Verbindlichkeiten nichts zu tun. Sie sind aus Enttäuschung, Resignation und Wut nicht zur Wahl gegangen. Nicht zuletzt wegen der Art und Weise, wie die PD ihren eigenen unbequemen Bürgermeister Marino aus dem Amt gedrängt hat.

Renzi hat erreicht, dass „seine“ Kandidaten fast überall die Kür gewonnen haben. Aber die Signale einer politischen und moralischen Identitätskrise der PD sind unübersehbar. Sie wird sich auf die Ergebnisse der Kommunalwahlen, die in einigen Monaten stattfinden, auswirken.