Society | Flüchtlige

"Wir können nur hoffen"

Der Balkan ist zu, Bayern und Tirol bestärken sich in Grenzschließungen – und Südtirol? Reaktionen und offene Fragen zur aktuellen Flüchtlingssituation.

Wie sieht es aus mit der vielgerühmten regionalen Zusammenarbeit in der Flüchtlingsfrage? Schlecht, konstatieren die Grünen, die am Mittwoch das Treffen von Horst Seehofer und Günther Platter in München kommentierten. Dort standen am Tag davor gegenseitige Schulterklopfer für die weitgehende Abriegelung der Grenzen auf der Tagesordnung. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hob dabei klar hervor, dass der Rückgang der Flüchtlinge in Bayern nur den Balkanländern und Österreichs neuer Flüchtlingspolitik, nicht seiner eigenen Kanzlerin zu verdanken sei. Deutlich wurden beide Regierungschefs aber auch, was die Brenner-Route betrifft: Dort dürfe es nach der faktischen Schließung der Balkan-Route nicht zu einem Massenansturm von Flüchtlingen kommen, forderten die beiden Regierungschefs. Mit Kontrollen deutlich südlich des Brenners müsste "chaotischen Zuständen am Brenner" vorgebeugt werden, meinte der Tiroler Landeshauptmann Platter.

Warum wird Südtirol als Brenner-Anrainer bei einem solchen Treffen nicht miteinbezogen, fragen die Grünen Landtagsabgeordneten Brigitte Foppa, Hans Heiss und Riccardo dello Sbarba. Für sie zeigt der Tiroler-Bayerische Schulterschluss deutlich, wie sehr die jeweils eigenen Länderinteressen letztlich vor den oft bekundeten Gemeinsamkeiten des zentralen Alpenraums und der Euregio Vorrang haben. „Es ist bedauerlich, dass in dieser Frage auf eine Abstimmung zwischen der Euregio und Bayern verzichtet wird“, finden die Grünen. Umso wichtiger sei, dass Landeshauptmann Kompatscher und Landesrätin Stocker künftig an solchen Treffen teilnehmen – um die Interessen Südtirols zu vertreten, aber auch, um als Mittler zwischen Bayern, Tirol, Trentino und der italienischen Position zu wirken.

Hoffnungsanker G 8

Landesrätin Martha Stocker selbst sieht keinen Grund für solche Sorgen. „Es muss legitim sein, dass sich Bayern und Tirol auch einmal allein treffen; genauso wie wir uns auf regionaler Ebene ohne Bayern getroffen haben“, sagt die Soziallandesrätin. Sie selber stünde in regelmäßigem Kontakt mit Bayerns Staatsministerin Emilia Müller; auch darüber hinaus gäbe es einen konstanten Austausch im gesamten Raum. Ob und wie die Forderungen aus Tirol und Bayern hinsichtlich Brenner erfüllt werden, kann laut Stocker nur die Regierung in Rom beantworten. Die Soziallandesrätin geht aber davon aus, dass bereits in verschiedenen italienischen Regionen südlich von Südtirol „überall dort, wo die Möglichkeit besteht, entsprechende Filter eingebaut werden.“ Dies sei Landeshauptmann Kompatscher auch von Premier Renzi und Innenminister Alfano zugesichert worden.

Was die Grenzkontrollen an der Brennergrenze vor allem nach der Schließung der Balkanroute tatsächlich für Südtirol bringen werden, kann auch die Soziallandesrätin nicht vorhersehen. „Wir können nur auf die Erfahrung beim G8-Gipfel zurückgreifen“, sagt sie. Damals habe es nach der vorübergehenden Aufhebung des Schengen-Abkommens in den ersten beiden Tagen noch einen Ansturm von Flüchtlingen gegeben. „Danach kamen aber viel weniger Menschen als sonst“, so Stocker.

Bürgermeistersorgen

Dennoch bleiben auch bei den Bürgermeistern der Südtiroler Grenzgemeinden weiterhin viele Fragezeichen stehen. „Meine Aufgabe wäre ja eigentlich, den Bürgern zu sagen, was auf uns zukommt“, sagt der Grauner Bürgermeister Heinrich Noggler. „Doch da tu’ ich mir schwer, weil ich eigentlich nichts weiß.“ Wird sich der Flüchtlingsstrom auch auf Nebenschauplätze wie Winnebach und Reschen verlagern, und worauf muss man sich in den angrenzenden Gemeinden vorbereiten? Antworten darauf habe man auch bei der gestrigen großen Runde im Bozner Regierungskommissariat nicht bekommen. „Konkretes haben wir dort nicht gehört, wir hätten uns eigentlich alle mehr erwartet“, meint Noggler. Für Innichens Bürgermeisterin Rosmarie Burgmann bleibt eine der großen offenen Fragen, was entlang der halbstündlichen bzw. stündlichen Direkt-Zugverbindung vom Pustertal nach Lienz passieren wird. Franz Kompatscher, Bürgermeister der Gemeinde Brenner, sorgt sich, wo die österreichische Polizei die Grenzkontrollen in den Zügen durchführen wird. Vor dem Schengen-Abkommen sei dies bereits im Zug zwischen Franzensfeste und Brenner passiert. Sollten die österreichischen Behörden dafür erneut die Genehmigung Italiens erhalten, bedeute das für den Brenner eine weitere Belastung. „Statt in Steinach würden die Menschen dann schon am Brenner vom Bahnhof zu einer Registrierungsstelle gebracht werden“, sagt Kompatscher. Bei 50 Flüchtlingen am Tag wäre das kein größeres Problem. „Kommen dagegen viele Hunderte, wäre es für einen Ort mit gerade einmal 250 Einwohnern eine große Herausforderung.“ Allerdings sei am Dienstag erneut zugesichert worden, dass eine Informationskette verhindern soll, dass zu viele Menschen auf einmal am Brenner ankommen. „Sobald eine bestimmte Anzahl erreicht wird, sollen die Menschen schon auf der Strecke abgefangen und vorübergehend in verschiedenen Unterkünften untergebracht werden“, so Franz Kompatscher.

"Südtirol hat hier Nachholbedarf"

Mehr Klarheit hinsichtlich geplanter Notunterkünfte in Kasernen oder Containern innerhalb des Landes erhoffen sich die Bürgermeister auch vom versprochenen Notfallplan des Landes. „Wir haben in Graun zwar leerstehende Kasernen“, sagt Heinrich Noggler. „Doch das sind nur Ruinen.“ „Eigentlich können wir nur alle darauf hoffen, dass das Schlimmste nicht eintritt“, sagt Rosmarie Burgmann. „Denn, wenn die Flüchtlingsströme nicht rechtzeitig in Italien aufgefangen werden, dann kommen wirklich Probleme auf uns zu.“

Doch wie die Grünen schreiben: Die Haltungen in Bayern und Tirol seien auch vor dem Hintergrund einer europaweit einzigartigen Aufnahme von Flüchtlingen zu sehen, die in beiden Ländern geleistet wurden. „Diese humanitären Leistungen sind aller Anerkennung wert. Südtirol hat hier Nachholbedarf und muss demnächst auch neue Verantwortung schultern, falls Italien als neue Ausweichroute dienen wird.“ Umso wichtiger sei eine enge Abstimmung aller Maßnahmen zwischen den beteiligten Regionen. Denn, so die Grünen: „Nur bei steter Abstimmung werden Gräben zwischen unseren Ländern vermieden, nur gemeinsam kann ein humanitärer Kurs zugunsten der Menschen auf der Flucht entwickelt werden, der auch die Interessen der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt.“