Economy | Industrie 4.0

Die Arbeit der Zukunft schon heute?

Die Arbeit 4.0 ist heute noch eine Vision der nächsten Jahrzehnte. Der Generalsekretär der CGIL Alfred Ebner über die neue Arbeitswelt und den Umgang damit.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Industrie 4.0
Foto: CC0

Mit Industrie 4.0. ist die sogenannte 4. Industrielle Revolution gemeint, also die Veränderung der Arbeitswelt durch Digitalisierung, Globalisierung usw.

Wie wird Arbeit in 20 Jahren aussehen?

 

Das ist eine große Frage. Manche sprechen von Massenarbeitslosigkeit, andere sagen, durch die neue Technik werden nur „einfachere“ Berufe wegfallen. Tatsache jedoch ist: es kommt darauf an, wie die Sozialpartner, darunter auch die Gewerkschaften, solche neuen Entwicklungen aufgreifen und planen. Man darf diese Prozesse nicht den großen Playern überlassen, die die Situation nur für sich nutzen um Profit daraus zu schlagen. Technik ist nicht neutral. Mit Technik kann man negative aber auch positive Dinge erreichen. Das ist das große Thema der Industrie 4.0.

 

Die Sorge, dass bestimmte Arbeitsplätze durch den Einsatz von digitalen Technologien überflüssig werden, hört man oft. Man nehme z.B. die Selbstbedienungskassen im Supermarkt. Für welche weiteren Jobs ist diese Sorge berechtigt? Wie wird sichergestellt, dass die entsprechenden Arbeitnehmer/innen eine alternative Arbeit finden?

 

Es gibt Jobs, die menschlicher Eigenschaften bedürfen. Ein Verkäufer oder eine Vertreterin etwa wird man nicht so leicht durch einen Computer ersetzen können. Dasselbe gilt für den Pflegebereich.  Hier spalten sich die Meinungen, ob Berufe, die als „niedrig“ eingestuft sind, wegrationalisiert werden. Ich persönlich gehe davon aus, dass die Dienstleistungen sich ausweiten, während spezialisierte technische Berufe, wie etwa der Beruf des Schweißers, leichter ersetzt werden können. Das ist aber keine Entwicklung von Heute auf Morgen, sondern ein Prozess, der lange dauern wird. Wir haben heute meists noch nicht die technischen Voraussetzungen. Wir sprechen hier von einer Vision. Außerdem hängt diese Entwicklung von den Entscheidungen der Betriebe ab. Um auf diese Entwicklungen zu reagieren stellt sich dann die Frage nach der Arbeitszeit und der gerechten Umverteilung des erwirtschafteten Reichtums.

 

Was ist Ihre Meinung zum bedingungslosen Grundeinkommen?

 

Ich würde nicht ausschließen, dass es in Zukunft so etwas in der Art geben könnte. Man muss natürlich gewährleisten, dass in einer Gesellschaft jeder Bürger mit seinem Einkommen auskommt. Ohne Käufer bringt auch jegliche Produktion nichts. Es bleibt also eine Frage der Umverteilung.

 

Welche Herausforderungen bringt die "neue" Arbeitswelt im Privaten mit sich?

 

Durch die Arbeit 4.0 wird es neue Regeln brauchen, die es heute nur zum Teil gibt. Erstens geht es um Datenschutz. Es ist abzuklären, wie weit die Kontrolle des Betriebs über den Arbeitgeber durch neue Technologien gehen kann. Dann muss die Arbeitszeit konkret geregelt werden: Wo fängt sie an und wo hört sie auf? Arbeit- und Privatleben verschwimmen zunehmend miteinander, sowohl räumlich als auch zeitlich. Man sieht zum Beispiel immer öfter wie jemand in den Zug steigt und den Laptop anmacht. Es kommt soweit, dass Menschen de facto 24 Stunden am Tag arbeiten.

 

Wird Crowdworking auch ein Begriff in Italien sein? Hat diese neue Form positive Seiten oder nur negative?

 

Während wir von Arbeit 4.0 sprechen, haben wir vergessen, dass es bereits jetzt das Arbeiten auf Plattformen gibt. Weder in Südtirol noch in Italien gibt es ausreichend Diskussion darüber. In Österreich hat der Ögb eine Organisation ins Leben gerufen, die Arbeitern solcher Plattformen eine Beratung anbieten. Für die Freizeit, z.B. wenn ich gelegentlich noch Etwas dazuzuverdienen will, ist so eine Plattform ok. Aber wenn junge Menschen den größten Teil ihres Einkommens aus solchen Plattformen beziehen, dann ist es ein Problem. Erstens, ist die Plattform physisch schwer greifbar. Zweitens steht der Crowdworker in Konkurrenz mit Menschen aus Ländern, in denen ein ganz anderer Lebensstandard herrscht und diese somit viel billigere Arbeitskräfte bieten können. Außerdem bezahlen viele Plattformen mit Gutscheinen statt mit richtigem Gehalt, wie es z.B. bei Amazon der Fall ist. Außerdem stellt sich die Frage: Welches Arbeitsrecht wird hier angewandt, wenn die Plattform sich z.B. in Indien befindet? Wo werden die Steuern einbezogen und gibt es Sozialbeiträge?

 

Gibt es bereits konkrete Zahlen, wie groß dieser Markt in Italien ist?

 

In Italien müssten zwischen 3 und 5 Millionen Menschen auf solchen Plattformen eingeschrieben sein. Das heißt nicht, dass 3 bis 5 Millionen auch darauf arbeiten. Viele werden z.B. auf mehreren Plattformen gleichzeitig eingeschrieben sein. Allerdings ist das Phänomen nicht so klein, dass es unter den Tisch gekehrt werden sollte. Dennoch fällt es im öffentlichen Diskurs in Italien nicht sehr auf und die Betroffenen kommen auch nicht zu uns. Die EU hat die Mitgliedstaaten allerdings aufgefordert, ein Regelwerk für das Crowdworking zu erstellen. In Deutschland, Österreich und Schweden gibt es schon erste Ansätze.

 

Was muss getan werden, um Crowdworking  und andere Phänomene der Arbeit 4.0 sozial verträglicher zu gestalten?

 

Es muss eine internationale Organisation eingreifen, denn einzelne Staaten können das nicht bewältigen. Die europäische Gemeinschaft könnte z.B. bestimmte Richtlinien erlassen. Natürlich ist immer das Problem unterschiedlicher Interessen der einzelnen Mitglieder präsent. Man müsste hier eine gemeinsame Lösung entgegen aller Konkurrenz finden. Vor allem muss man auch die Gesellschaft besser darüber aufklären. Es ist nicht so, dass Arbeit per se alles gut macht. Diese Einstellung muss geändert werden, denn Arbeit muss auch sozial gerecht gestaltet werden.

 

Wie fortgeschritten sind die Themen Digitalisierung und Industrie 4.0 in Italien im Vergleich zu anderen europäischen Ländern? In Deutschland etwa gibt es das Dialogforum Arbeit 4.0 an dem Gewerkschaften, Wissenschaftler und Unternehmerverbände teilnehmen. Wie geht die italienische/Südtiroler Politik damit um?

 

Das Arbeitsministerium hat das Thema teilweise aufgegriffen. Insbesondere geht es um das Thema Infrastrukturen wie z.B. Breitband, das im Moment in Italien und auch in Südtirol noch nicht abgedeckt ist. Dafür braucht es aber Investitionen, wofür Italien nicht viel Geld zur Verfügung hat. Es variiert auch von Unternehmen zu Unternehmen. Das Thema ist also nicht so fortgeschritten wie in Deutschland. Sollte Italien bei dem Thema im europäischen Vergleich zurückbleiben, haben wir ein Problem. Das Bewusstsein ist zwar bei den Unternehmen und den Gewerkschaften da. Allerdings habe ich das Gefühl, die Diskussion ist noch nicht richtig losgetreten. Wieso? Italien hat eine riesige Arbeitslosigkeit und  diese ist ein zentrales Thema. Die muss man in den Griff bekommen. Danach erst wird  man verstärkt über das Thema Arbeitszeiten und Arbeit 4.0 sprechen. Deutschland steht wirtschaftlich besser da, aus diesem Grund ist der Diskurs dort weiter, wie bei uns.

 

Können Sie zwei Post-Wahlszenarien aufstellen: Was wäre das Worst-Case, was das Best-Case-Szenario für die Entwicklung der Arbeit?

 

Das Beste Szenario für die Gewerkschaft ist immer eine Regierung, die in die Zukunft schaut und offen für Europa ist. So, wie sich die Weltwirtschaft entwickelt, können wir nur als Gesamtes auf globaler Ebene mithalten. Natürlich geht auch einiges in Europa schief: Ausländerfeindlichkeit, eine neoliberale Wirtschaft und soziale Kälte sind nur einige Beispiele. Ideal wäre eine Regierung, die versucht, das zu korrigieren. Wichtig wäre auch eine Regierung, die mit allen Partnern redet, inklusive der Gewerkschaften. Mit Renzi fehlte der Dialog. Bei Gentiloni war die Bereitschaft etwas größer. Die Zukunft bereitet uns einige Sorgen.

Ein weiterer Faktor, der sich auf die Arbeitswelt auswirken wird: Der Demographische Wandel. Wie groß ist der Fachkräftemangel in Italien und in welchen Bereichen?

 

Wenn wir in Südtirol alle Bereiche mit einheimischen Arbeitskräften abdecken müssten, hätten wir bereits heute ein Problem. Wenn es so weiter geht, wird es in den kommenden Jahren bestimmt schwerer werden. Der demographische Wandel ist auch eine politische Entscheidung. Tatsache ist, dass wir immer älter werden. Die Politik kann aber Möglichkeiten und Wege schaffen, Fachkräfte von außen herein zu holen. In Südtirol gibt es insbesondere in technischen Berufen erhebliche Mängel. Das liegt auch daran, dass Südtirol nicht immer die nötigen wirtschaftlichen Kapazitäten bietet, weshalb viele Hochqualifizierte auswandern. Wir müssen daher auch versuchen, unseren Akademikern mehr Möglichkeiten zu bieten.

 

Häufiges Argument: Um diesem Arbeitskräfteschwund entgegenzusteuern, brauchen wir Flüchtlinge. Kann Migration eine Lösung sein? Und wird dieses Potential von der Regierung genutzt?

 

Jene, die zu uns kommen sind meist in wenig qualifizierte Berufen tätig, auch wenn sie eine höhere Ausbildung hätten. Ein System wie in Deutschland durch die „Greencard“ gibt es bei uns kaum. In Italien wird nicht gerade gezielt  gesucht.

 

Eine weitere Neuigkeit in der Arbeitswelt: Internet und Laptops erlauben es, Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Begriffe wie Work-Life- Balance und Flexible Arbeitszeiten fallen immer wieder in Zusammenhang mit der neuen Arbeitswelt. Birgt die Digitalisierung und Arbeit 4.0 auch Chancen für Arbeitnehmer?

 

Das hängt stark vom Individuum ab. Nicht jeder kann sich die Arbeitszeiten von zu Hause so gut selbst einteilen. Manche arbeiten sogar mehr. Man muss also aufpassen, sich nicht selbst auszunutzen. Es hat sich herausgestellt, dass diese Arbeitsform nicht die Produktivität mindert, sondern sie erhöht. Es gibt in Italien das Gesetz zum „lavoro agile“, der solche flexible Arbeit regelt. Mal sehen wie sich die Dinge nun entwickeln. Ein weiteres Thema wird in Zukunft auch die sogenannte „Lebensarbeitszeit“ sein. Sie schafft die Möglichkeit, zum Beispiel ein Jahr lang mehr zu arbeiten und dafür eine längere Zeit frei zu bekommen um sich anderen Dingen zu widmen. Das Wichtigste ist jedenfalls, dass nicht nur Betriebe über die Arbeitszeiten ihrer Angestellten entscheiden, sondern auch die Arbeitnehmer selbst. In Deutschland gibt es diesbezüglich bereits Kollektivverträge. Es ist aber ein Prozess, der sich mit der Zeit herauskristallisieren wird.

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alfred frei Mon, 03/12/2018 - 14:55

.... ein grosses Problem besteht darin die Zeiten der Gewerkschaft mit den Zeiten der Zivilgesellschaft zu übereinsteimmen, bzw. die Daseinberechtigung mit konkreten Visionen (Handlungskompetenz) auszustatten.

Mon, 03/12/2018 - 14:55 Permalink