Environment | Film & Diskussion

Arbeiter:innen und Beatles Fans

Wandel ist kein Selbstläufer, und auch der Klimawandel wird durch unser aller Zutun mitgetragen. „Der laute Frühling“, oder: Revolutionsanweisungen in einfacher Sprache.
Der laute Frühling, Ende Gelände
Foto: labournet.tv / Johanna Schellhagen
In den ersten zwanzig Minuten ist der Film Ursachenforschung, in den nächsten Problemanalyse, dann eine mit Minimal-Animation veranschaulichte Vision für das Frühjahr 2024. Und nach einer Stunde ist der „hybride Dokumentarfilm“ auch schon vorbei. Der Film, der in Anwesenheit der Regisseurin Johanna Schellhagen gezeigt wird (Termine in der Infobox) kann globale Zusammenhänge andenken, doch nicht zu Ende verfolgen, hat dabei aber einen nicht zu ignorierenden Blickpunkt, der oft zu kurz kommt: Er richtet sich an Arbeiter:innen, sieht jene am Angelpunkt an welchem ein den Klimawandel systemisch antreibender Kapitalismus ausgehebelt werden kann und imaginiert deshalb einen globalen Arbeiter:innenstreik.
Warum muss für die Filmemacherin genau hier angesetzt werden? Um einem „grünen Kapitalismus“ vorwegzugreifen, der zu langsam und wirkungslos für einen Wandel sorgt, der uns gleichzeitig, durch die für ihn notwendigen Ressourcen auch vor neue Probleme stellt. Zum Hauptteil Recherche gehören Interviews mit Demonstrant:innen auf der Straße und namhafteren Aktivist:innen (wie den in Deutschland im Exil lebenden Anti-Fraking-Aktivist Esteban Servan aus Argentinien), wie auch den Klimawissenschaftler:innen Andreas Malm und Julia Steinberger. Der Blick wird dabei auch auf historische Ursachen gelenkt und mit potentiellen Alternativmodellen auf der Gegenseite konfrontiert.
 
 
Der Filmemacherin und den von ihr interviewten Aktivist:innen ist klar: Der Wechsel auf erneuerbare Energien allein reicht nicht aus, um uns gemeinsam auf den Weg in eine lebenswertere Welt zu machen, es braucht auch den Verzicht jedes Einzelnen, ein Weniger in Produktion und Konsum, welchem das aktuelle System diametral entgegen steht. Ein stagnierender Kapitalismus ist krisenanfällig und daher ungeeignet als Nährboden für eine notwendige, gesamtgesellschaftliche Revolution.
Das R-Wort scheut man dabei nicht, nein, man zeichnet es in einer idealisierten Form nach: Es ist in wenig bewegten Comic-Bildern zu sehen, wie sich Schellhagen diese friedliche und scheinbar gewaltfreie Revolution vorstellt. Dass der Film hier utopistisch wirkt und den Rahmen der Legalität dabei hinter sich lässt, ist angesichts des gesetzten Ziels nicht verwunderlich, sondern eine Notwendigkeit. Nur erhält das einen sehr naiven Touch, auch wenn darauf selbsthingewiesen wird. Ein „bekannter deutscher Klimaaktivist“ verstünde nicht, warum es „ausgerechnet die Arbeiter:innen in der Lage sein sollten die fossile Industrie zu entmachten und nicht zum Beispiel die Beatles Fans dieser Welt“. Dann kann man selbst entscheiden, ob man die Filmerin für das Nachfolgende eine Träumerin nennen will.  Etwas surreales hat dieses Szenario einer Welt die in sehr naher Zukunft endlich einem sinngemäßen „Arbeiter:innen aller Länder vereinigt euch!“ Folge geleistet wird, allemal.
 
 
Faktisch zu bemängeln ist, dass als statistisches Faktum des internationalen Währungsfond zu den Folgekosten (Katastrophenhilfe) für Staaten durch den Klimawandel (2020) im Ton als 5,9 Trillionen Dollar genannt werden. Im Bild sind 5900 Milliarden Dollar (also 5,9 Billionen) grafisch dargestellt und benannt, eine Zahl die sich prüfen lässt. Hier gab es wohl einen Übersetzungsfehler aus dem Englischen.
Trotzdem, den knappen Gedanken kann und sollte man sich aussetzen, allein schon, weil die Diskussion, die folgt, spannend zu werden verspricht. Wo keine Einigkeit in Sicht ist, stehen noch spannende - und wichtige - Diskussionen an. Schon allein, weil russisches Erdgas, bei allem Umbruchs-Willen, in der Vision von 2024 noch bis 2030 genutzt werden soll. Erschienen ist der Film, bevor der Eindruck entstünde, dass der russische Angriffskrieg zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar gewesen sei, am 4. August 2022. Wäre das mit der besseren Welt einfach, wir wären wohl schon einen guten Schritt weiter, Anregungen und neue Wege zu einem für die Menschheit als Ganzes überlebenswichtigem Ziel hin sind daher gern gesehen. Der Film behält Recht wenn es heißt: „Wir müssen die Zeiten, in denen es einfacher war sich das Ende der Welt, als das Ende des Kapitalismus vorzustellen hinter uns lassen."