Politics | Gemeindewahlen

Moroders Traum

Welche Lektionen hält die Mission Impossibile in St. Ulrich bereit? Ex-Gemeindepolitiker Leander Moroder über Politikmüdigkeit, das richtige Maß und eine schwierige Wahl.

Herr Moroder, Mission Impossible in St. Ulrich, das bedeutet auch, erstmals seit 25 Jahren, keine Bürgerliste mehr in St. Ulrich. Schwer zu akzeptieren für eines ihrer Urgesteine?
Leander Moroder: Ja, ich konnte es fast nicht glauben, als ich es vor einigen Tagen gehört habe. Natürlich weiß man, dass sich alle schwer getan haben. Wenn nicht einmal die SVP 18 Leute zusammenbekommt, ist es schließlich auch nicht gerade rühmlich. Doch ich denke, wenn man vielleicht bereits vor einem Monat Bescheid gewusst hätte, dass sie keine KandidatInnen finden, hätte vielleicht noch eine Alternative aufgestellt werden können. Also, für jemanden, der doch einige Zeit und Energie in die Gemeindepolitik gesteckt hat, tut das schon weh.

In Ihrem Fall waren es ganze 20 Jahre. Doch auch Sie haben bereits 2010 nicht mehr kandidiert. Warum?
Die Frage ist eher, warum ich so spät aufgehört habe. 20 Jahre Gemeinderat, das war mindestens fünf, wenn nicht zehn Jahre zu lang. Ich denke, zehn Jahre sind in jedem politischen Gremium, für jede politische Position genug.

Warum?
Nach zehn Jahren beginnt man den Bezug zur Realität zu verlieren. Man weiß, wie es läuft, versteht vieles, und ab dem Moment wird fast jeder ein wenig selbstherrlich und beginnt sich für nicht austauschbar zu halten. Das gilt übrigens für die Mehrheit wie für die Opposition, das ist einfach menschlich. Außerdem opfert man auch persönlich sehr viel, Politik raubt viel Zeit, Energie und Kräfte. Wenn man das zehn Jahre lang macht, ist es ein schöner Dienst an der Allgemeinheit. Aber das sollte dann eigentlich reichen.

In St. Ulrich scheint den meisten BürgerInnen dagegen auch schon die Aussicht auf fünf Jahre Politik zu viel zu sein. Lokales Problem oder besonders prägnantes Beispiel für ein allgemeines Phänomen?
Es spielt sicher beides mit. In St. Ulrich hat es seit dem zweiten Weltkrieg immer mehrere Listen gegeben, meist drei und manchmal auch vier. Dass es nun nur noch eine ist, schreibe ich auch der Politikverdrossenheit zu, die vor allem in Folge des Politrenten-Skandals stark zugenommen hat. Und zwar ganz besonders bei Wählern und potentiellen Kandidaten von alternativen Listen, die demokratische Werte und Kontrolle hoch halten. Das gilt auch für mich persönlich: Zu erleben, dass beim Thema Geld letztendlich alle gleich sind, war extrem ernüchternd. Und hat die Lust, Politik zu machen, ganz sicher nicht gesteigert. Doch dazu kommen natürlich auch lokale Aspekte.

Wie zum Beispiel?
Da gibt es vieles. Die Menschen, die aktuellen Themen, die vielleicht gerade nicht so mobilisieren, die Art wie die Oppositionsarbeit betrieben wurde, wie befriedigend es für die GemeinderätInnen selbst war...

"Schon vor 20 Jahren habe ich dem damaligen SVP-Obmann vorgeschlagen: Lassen wir die Listen, machen wir Vorwahlen, und die ersten 30 KandidatInnen sind es dann. Damals hat es geheißen: Bist du narret, wir haben schließlich schon 100 Eingeschriebene."

Gemeinderätin Claudia Schrott nennt in Medien als Grund für die schwierige Kandidatensuche unter anderem die Übermacht der SVP: Die BürgerInnen würden auch aus Angst, es sich mit der SVP zu verscherzen, nicht für eine Bürgerliste antreten.
Wenn es so wäre, müsste die SVP 30 KandidatInnen haben. Die hat sie aber nicht. Also, ich würde das nicht der Volkspartei ankreiden. Es hat schließlich immer Leute in St. Ulrich gegeben, die für die Bürgerliste antreten, doch jetzt sind es offenbar weniger.

Nicht nur Schrott, sondern auch Bürgerlisten-Urgesteine wie Hans Peter Stauder in Sexten stellen jedoch in Frage, wie viel Sinn Opposition macht, wenn die eigene Arbeit konsequent von den Regierenden ignoriert wird. Ist Bürgerlisten-Arbeit heute einfach ein zu hartes Geschäft geworden?
Es ist ein sehr hartes Geschäft und wahrscheinlich sind auch nicht alle dafür gebaut. Einfacher hat man es in der Politik sicher in der großen Mehrheit. Doch ich kann es aufgrund meiner Erfahrungen auch nicht teilen, wenn gesagt wird, dass man in der Opposition nichts erreichen kann.

Sie waren aber auch zwei Mal Teil der Mehrheit...
Ja, in meiner Zeit hatte die SVP zwei Mal weniger als 50 Prozent der Stimmen und dann haben wir mitregiert...

Tatsächlich mitregiert oder einen Posten im Ausschuss erhalten?
Absolut mitregiert. Ich war zum Beispiel als Bürgerlisten-Vertreter zwei Mal für die Erarbeitung des Bauleitplans verantwortlich; und wir haben auch den Vize-Bürgermeister gestellt. Ich möchte weder die Erfahrungen in der Opposition noch in der Mehrheit missen, und beides hat es gebraucht.

Und was braucht St. Ulrich jetzt?
Jetzt wird es schwierig, allem voran bei der Wahl.

Wenn sich daran weniger als 50 Prozent beteiligen, wird die Wahl annulliert. Könnte das eine zweite Chance sein?
Ich habe immer dafür gekämpft, dass die Leute wählen gehen und daran ändert sich auch diesmal nichts. Es bleibt schließlich immer noch die Option, weiß zu wählen, wenn es keine Alternativen gibt. Und wenn sich jetzt niemand anderer gefunden hat, wird man hoffentlich aus der Erfahrung lernen und in fünf Jahren wieder was aufstellen. Oder man lässt dann die Parteipolitik endgültig hinter sich und erstellt mit Hilfe von Vorwahlen eine allgemeine Liste, auf der jeder kandidieren kann, der Lust darauf hat. Und zwar am besten für einen gemeinsamen Gemeinderat für ganz Gröden.

Der Wunsch die Parteipolitik hinter sich zu lassen, ist vor diesen Gemeinderatswahlen in aller Munde...
Das ist ein Traum, den ich schon vor 20 Jahre hatte. Schon damals habe ich dem damaligen SVP-Obmann vorgeschlagen: Lassen wir die Listen, machen wir Vorwahlen, und die ersten 30 KandidatInnen sind es dann. Damals hat es geheißen: Bist du narret, wir haben schließlich schon 100 Eingeschriebene.

Und was steht diesem Traum heute entgegen?
Eigentlich nichts aus meiner Sicht. Vielleicht arbeitet gerade der Fakt, dass auch die Volkspartei nur mehr 17 KandidatInnen gefunden hat, endlich für diese Idee. 

Leander Moroder saß 20 Jahre lang für die Bürgerliste St. Ulrich im Gemeinderat und teils im Ausschuss der Grödner Gemeinde und war 1998 und 2003 erster Nicht-Gewählter auf der Landtagsliste der Grünen. Heute ist er Direktor des ladinischen Kulturinstituts "Micurà de Rü".