„Jetzt warten wir einmal die Stichwahl ab“
4562 Stimmen. Das heißt, rund jeder achte Wähler in der Landeshauptstadt hat dem Movimento 5 Stelle seine Stimme geschenkt. Die bisherigen vier Mandate zu halten, wären ein respektables Ergebnis, fünf ein Erfolg, hatte es im Vorfeld geheißen. Nun hat die Bewegung, die nichts von Parteien wissen will, sechs Mandate. Doch statt zu feiern, kündigt eine ihrer Frontfiguren erst einmal den Verzicht auf den frisch errungenen Sitz an. Rudi Rieder, 2015 noch Bürgermeisterkandidat, diesmal mit 399 Stimmen Nummer Zwei nach Caterina Pifano, verabschiedete sich schon am Morgen nach der Wahl von der Gemeindepolitik. „Ich verzichte auf mein Mandat, weil ich persönlich von der Gesellschaft enttäuscht bin“, verkündete er. Wenn Menschen derart desinformiert seien, dass sie erneut Kräften ihr Vertrauen schenken, die für einen Flughafenausbau, für Müllimporte aus dem Trentino oder für die neue Jenesier Seilbahn seien, habe er nichts mehr in der Politik verloren, so der Bozner Blumenhändler. Für ihn hätte Gemeindepolitik nur noch Sinn gemacht, wenn der Movimento 5 Stelle in die Stichwahl gekommen wäre, sagt er. „Wer das System bekämpfen will, muss regieren können“, sagt er. Wenn SVP und PD dagegen erneut die Chance haben, es weiter zu erhalten, wolle er seine Zeit nicht mit Oppositionsarbeit verplempern, so Rieders klare Ansage.
Ein Abgang, der zumindest innerhalb der Bewegung nicht wirklich überrascht – wenn auch nicht jeder über das Timing glücklich war. Doch am Ende ist genau das die libertà, die ihre Bewegung von herkömmlichen Parteien unterscheidet, meint die erfolgreiche Bürgermeisterkandidatin Caterina Pifano. „Rudi è stanco“, sagt sie. Und sie habe vollstes Verständnis dafür. Zwei Wahlkämpfe in einem Jahr, dazu eine Oppositionsarbeit, die beim Movimento 5 Stelle „im Gegensatz zu so manchem Sesselwärmer“ ein hartes Geschäft sei. „Wir hoffen noch immer darauf, dass Rudi Rieder seine Entscheidung noch einmal überdenkt. Sonst wird an seiner Stelle der Arzt und langjährige Umweltaktivist Pierluigi Gaianigo nachrücken, heißt es in einer Presseaussendung der Bewegung. Unterschied sieht Caterina Pifano ohnehin keinen großen. „Bei uns zählt Aktivisten genauso wie die Mandatare, uns geht es nicht um poltrone, sondern um Ideen, die wir alle gemeinsam weitertragen“, sagt sie.
Apettitanregende sechs Mandate
Bleibt die Frage, ob die vielbeschworene neue Art Politik zu machen, nicht auch den anhaltend schwierigen Bozner Koalitionsverhandlungen frischen Wind bringen könnte. Immerhin wären die sechs Sitze des M5S beispielsweise genau die erforderlichen Mandate, die Uniti per Bolzano und Lega Nord fehlen würden, wenn sie die SVP nach dem Beispiel Leifers für eine Mitte-Rechts-Koalition gewinnen könnten. Während Rudi Rieder oder auch M5S-Landtagsabgeordneter Paul Köllensperger solchen Szenarien im Fall Bozen aufgrund fehlender Schnittmengen wenig Spielraum einräumen, schlägt Pifano nicht von vornherein Türen zu. „Jetzt warten wir erst einmal ab, wer aus der Stichwahl als Sieger hervorgeht“, antwortet sie. Ob Mario Tagnin oder Renzo Caramaschi – in jedem Fall werde man sich in einer öffentlich zugänglichen Sitzung mit dem neuen Bürgermeister zusammensetzen und prüfen, ob es gemeinsame Ziele geben kann.
Mehr Chancen oder Präferenzen für den einen oder anderen politischen Flügel sieht bzw. hat Caterina Pifano dabei nicht. „Spätestens seit der letzte Gemeinderat an der Frage Benko zerbrochen ist, muss auch in Bozen klar geworden sein, dass die Unterteilung der Welt in Rechts und Links keine Gültigkeit mehr hat“, sagt sie. Die Themen, die die Gesellschaft von heute bestimmen, seien längst transversal – vom Kampf um das öffentliche Gut Wasser bis hin zu einem Einkaufstempel. „Die Menschen haben das längst verstanden, nur die Politik hinkt wieder einmal hinten nach“, sagt die frisch gewählte Gemeinderätin.
Äußerst besorgt zeigt sich allerdings auch ihre Bewegung über den zweiten großen Wahlsieger des gestrigen Sonntags. „In einer Demokratie muss die Stimme der Wählenden immer respektiert werden“, heißt es in einer Pressemitteilung. Dennoch könnten das weitere Erstarken einer Bewegung, die sich offen zum Faschismus und seinen Werten bekenne, wie auch die weiter rückgängige Wahlbeteiligung nur beunruhigen.