Europas “Green Deal”
Gastbeitrag des Institut für Gestaltung | Gestaltung 1 (vollständigen Artikel)
Fakultät für Architektur |Universität Innsbruck
Text: Peter Volgger
»Der Green Deal muss auch ein neues kulturelles Projekt für Europa sein!«, forderte EU- Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie liebäugelt mit der Idee eines neuen »Europäischen Bauhauses«, das zugleich Motor für das Ergrünen Europas sein woll wie auch Modell für seine demokratische Umsetzung. Selten zuvor hat die Kommission so viel Beifall erhalten, auch von den Architekt*innen. Ein Vergleich des neuen »Europäischen Bauhauses« mit der »Roadmap 2050« von OMA/AMO auf der Basis der Diskurs- und Hegemonietheorie von Laclau/Mouffe zeigt allerdings, dass hier vieles im Copy-Paste-Modus verläuft. Im Kern beider Projekte wirkt der leere Signifikant »ökologische Modernisierung«, der die jüngst plausible These von der Notwendigkeit einer Postwachstumsökonomie außer Kraft setzt. Europa manifestiert sich in keinem fixen Territorium, sondern in Verfahren und Infrastrukturen der „Externalisierung“, mit denen es ökologischen Probleme weit über die eigenen Grenzen hinaus verlegt, um nicht den eigenen Energiebedarf drastisch reduzieren zu müssen. Ist das Europäische Bauhaus die neue Zauberformel, um die versprochene Umweltpolitik einzuleiten? Wird damit lediglich das Ökologische de-politisiert und das Politische kulturalisiert? Ist der versprochene Deal die große Chance für Architekt*innen oder drängt er sie lediglich in die Rolle, das Notwendige schön zu färben? Jedenfalls sollte man bei ihrer Liaison mit der Politik das Kleingedruckte lesen, bevor man den Ehevertrag unterschreibt ...
Ursula von der Leyen übernahm ihr Amt in einer Zeit großer Herausforderungen. In den vergangenen Jahren sind Finanz-, Migrations-, Ukraine- und Brexitkrise über die Europäische Union hereingebrochen, zuletzt noch die Pandemie. Begonnen hatte die neue Kommissionspräsidentin mit großen Plänen zu Klimaschutz und internationaler Politik, denen sie den Namen “European Green Deal” gab.i Vom “This is Europe’s Man on the Moon Moment” war gar die Rede. Für große Visionen braucht es starke Bilder und dafür finden sich Beispiele in der Geschichte: Jacques Delors prägte die Metapher des „Fahrrads“ für den Einigungsprozess („Hält man es an, fällt es um“). Die „Baustelle Europa“ stand für den Umbau des Kontinents nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Bilder von Fenstern, Dächern und Brücken schmücken die Euro-Banknoten.ii
„Das Europäische Bauhaus sucht und gibt praktische Antworten auf die gesellschaftliche Frage, wie modernes Leben der Europäerinnen und Europäer im Einklang mit der Natur aussehen kann. Und es wird helfen, das 21. Jahrhundert schöner und humaner zu machen.“ (Ursula von der Leyen, 2021)iii
Die Präsidentin der EU-Kommission lancierte als kollektives Bild für ihr ambitioniertes Vorhaben das neue „Europäische Bauhaus” (NEB), ein ökologisches, wirtschaftliches und kulturelles Projekt zur Umsetzung des Green Deals. Architekten, Designer, Kunstschaffende, Wissenschaftler und Studierende sind dazu aufgerufen, sich in den nächsten Jahren daran zu beteiligen, “um den ökologischen Wandel durch eine Kombination von Nachhaltigkeit und Ästhetik zu unterstützen”.iv Europa braucht in Zukunft beides, die ökologische Wende und - als Voraussetzung dafür - seine Einheit. Von der Leyen hat dafür einen Trumpf in der Hand: Das Europäische Bauhaus beinhaltet eine ökologisch motivierte Wachstumsstrategie wie auch eine symbolische Geste in Richtung ihrer Demokratisierung. Am Beginn der Bewegung sollen fünf Europäische Bauhaus-Projekte in verschiedenen Ländern der Union entstehen. Jedes einzelne soll einen eigenen Schwerpunkt haben, alle sollen dem Thema Nachhaltigkeit verpflichtet und ein demokratisches Forum sein. In einer letzten Phase sollen die Ideen auf dem ganzen Globus verbreitet werden.v
Wie kapert man die Ökologie?
Das historische Bauhaus ist als Vorlage attraktiv, weil es die Idee des Wandels enthält. Seine Nachhaltigkeit und Funktionalität sind aber zu wenig. Die groß angelegte Vision würde folgenlos bleiben, ließe sie sich nicht mit den Lebens(t)räumen der Menschen verknüpfen, erfahrbar und begreifbar sein im “guten Wohnen” oder dem “besseren Zusammenleben”.vi Also soll die Bauwirtschaft grün werden. Immerhin werden 40 Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses durch die Erstellung, den Betrieb und den Abriss von Gebäuden verursacht. Zwar freut sich die Bauwirtschaft auf die großen Fördertöpfe, doch gerade darin liegt ein Problem. Im Hintergrund des Green Deals stehen Transformationen, die sich mit einer Reihe von Diskursen rund um den schwammigen Begriff der “Ökologie” verbinden, der sich leicht kapern lässt. Seit der “Green Economy”- Debatte der 1980er Jahre ist immer wieder die Rede vom “Wirtschaftswachstum mit grünem Anstrich” oder der “grünen Modernisierung”. Hinter diesem “neuen Oxymoron” steckt das Konzept der “ökologischen Modernisierung”.vii Ist die “Ökologie” überhaupt das geeignete Instrument für den Wandel oder trägt sie selbst nur zur Maskierung und Reproduktion bei? Wird mit dem Wandel auch das bislang Undenkbare möglich gemacht oder lediglich die bestehende Welt buchstabiert?
Ein Vorläuferprojekt des Europäischen Bauhauses ist die “Roadmap 2050” (2010)viii - eine Auftragsarbeit der European Climate Foundation (ECF) an das niederländische Office for Metropolitan Architecture (OMA) und dessen Zwillingsbüro und Thinktank AMO. Beide Projekte teilen sich das Vorhaben stetiger Modernisierung, in beiden Fällen werden innovative Technologien mit den Komponenten Wohlstand, Sicherheit, Gesundheit und Nachhaltigkeit zu einem »ökomodernen Projekt« erweitert. Die “grüne Modernisierung” setzt auf innovativen Strukturwandel, ohne dabei das Prinzip des Wettbewerbs und der Produktion opfern zu müssen. Die Roadmap 2050 war nur eine von vielen „Roadmaps“, die von den EU-Institutionen in Auftrag gegeben wurden. Das OMA teilt den Kontinent in eine Reihe von Energie-Regionen auf und visualisiert seine Vision als “Eneropa” mit einer physischen Karte, die ganz ohne politische Grenzziehungen auskommt: Die Nordsee kommt als “Insel des Windes” vor, Teile Mitteleuropas werden zu “Geothermalia” und das Mittelmeer erscheint auf der Karte als “Solaria”. Damit werden die Karten sprichwörtlich neu gemischt. Die zentrale Botschaft lautet: Energie ist die einzige Quelle der Einigung (Energy Union), sie wird auf der Grundlage einer “Super-Infrastruktur” getauscht, die den Einigungsprozess beschleunigen soll. Der Ansatz, dass sich eine Gemeinschaft bauen lasse, sollte dem Projekt eine zweifellos positive Identität verleihen, doch die Kritik ließ nicht lange auf sich warten:
„Die Roadmap weist einen verhängnisvollen Schwachpunkt auf: Sie entwickelt keinerlei Strategien zur sozialen und kulturellen Transformation. Stattdessen geht sie davon aus, dass dieselbe globale Wirtschaft, die Wachstum um jeden Preis forciert und die heutige Umweltkrise verursacht hat, auch der Motor für die Lösung des Problems sein kann..“ (Thackara, 2005)ix
Zurecht hat John Tackahara darauf hingewiesen, dass die “Roadmap 2050” das Bild Europas als technologisches Monster bekräftige. Heute spricht die offizielle EU-Politik zwar nicht mehr von „ökologischer Modernisierung“, sondern von „nachhaltiger Entwicklung“, ohne damit eine Antwort zu geben auf die Frage, wie eine zukünftige politische Ökologie aussehen könnte.
Obwohl der Debatte über das Europäische Bauhaus und allgemeiner dem Green Deal gesellschaftliche Naturverhältnisse zugrunde liegen, bzw. deren Ausgangspunkt sind, werden sie so gut wie nie explizit genannt. Warum ist das so? Die Inszenierung der Natur als Katastrophe (steigender Meeresspiegel, Verlust der Artenvielfalt usw.) wird in der Post-Politik durch die Angst zusammengehalten und ist von der Sorge getrieben, die Dinge so zu handhaben, dass wir an dem, was wir haben, festhalten können. Slavoj Žižek spricht der “Ökologie” die Kraft zur Veränderung ab. Die Ökologie selbst scheue den großen Wandel und ziele darauf ab, “alle Veränderungen auf dem Erdball zu verhindern, damit dessen Ökosystem mehr oder weniger unverändert bleibe [...] Aus diesem Grund fordern die Ökologen zwar die ganze Zeit, wir sollten unsere Lebensweise radikal ändern, doch dieser Forderung liegt etwas anderes zugrunde: [... das] post-politische Misstrauen gegenüber großen, kollektiven Taten.”x Das eigentlich Politische wird aus dem Politischen extrahiert.xi Bezeichnend für die Post-Politik ist die Forderung, das neue Bauhaus von einem “Expertenkomitee” begleiten zu lassen, das Ideen sammelt, um die “Bewegung zu gestalten”.xii
Die Post-Politik arbeitet mit dem Schlüsselbegriff “Nachhaltigkeit”, um mit der „Natur“ zurechtkommen, weil sich der so gefasste Begriff auf alles und nichts bezieht. Das erklärt auch das explosionsartige Hinzufügen anderer Begriffe, zB. nachhaltige Planung, nachhaltiger Verkehr, nachhaltige Entwicklung usw. Das Konzept der „nachhaltigen Entwicklung“ macht den Ernst der Sache klar, vermeidet aber die politisch sensible Frage, welche sozio-ökologischen Strukturen eingerichtet bzw. umgebaut werden müssten, um sie zu erreichen. Nachhaltiges Wachstum bleibt ein Widerspruch in sich, wie der berühmte „schwarze Schimmel“. In beiden Projekten – der Roadmap 2050 wie dem neuen Bauhaus – fehlen Überlegungen zu alternativen Wirtschafts- und Gesellschaftsformen. Das von EZB-Chef Mario Draghi formulierte Prinzip „Whatever it takes“ und Angela Merkels Variante „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ bedeuten laut Thomas Schmid eine „Entmachtung der Politik“, zumindest soweit es sich bei Politik um die Entscheidung zwischen Alternativen handelt.xiii Weder gibt es Alternativen zur „Rhetorik der Alternativlosigkeit“, noch werden die Thesen der Postwachstumsökonomie reflektiert. Mit solchen Projekten lässt sich lediglich die Ökologie kapernxiv, die laut Žižek das neue „Opium für das Volk“ geworden sei. Für den europäischen Green Deal gilt folglich, dass mit ihm nicht die versprochene Umweltpolitik eingeleitet, sondern das Ökologische de-politisiert wird:
“The sequence of the depolitization of Nature placed under the banner of ‘the environmental crisis’, and re-assembled postpolitically under the sign of ‘sustainability’ corrals a series of interconnected processes.” (Swyngedouw 2011)xv
Die EU-Kommission setzt mit dem neuen Europäischen Bauhaus also auf eine bewährte Narrativkette und ist damit nicht allein. Weltweit operieren Weltbank, UNEP und FAO mit dieser Strategie. Einige Autoren gehen davon aus, dass man damit alternative Lösungen ausblende. Die Ökologieproblematik transformiere die Gesellschaft nicht, sondern das Ökologische weiche der Idee, “that one can maintain a welfare state within the system.”xvi Diskursiv erfolgreiche Narrative können einen weitreichenden politischen Effekt sogar verhindern. Dank seines reflexiven (kritischen) Charakters hat das ökomoderne Hegemonieprojekt das ehemals hegemoniale Projekt der Modernisierung bereits abgelöst. Statt “fortschreitend” ist die Entwicklung seither “nachhaltig”. Damit lässt sich die immanente Sprache des Fortschritts in ein “Green Revovery” - Programm für Europa recyclen. Susan Baker vermutet, dass die EU faktisch zwar eine “ökologische Modernisierung” betreibe, sich aber auf den Begriff der “nachhaltigen Entwicklung” festgelegt habe, weil sich Akteure sehr schnell von der Rahmung der “ökologischen Modernisierung” verabschieden, sobald negative Effekte in die politische Debatte getragen werden.xvii Einerseits wird damit die Ökologie de-politisiert, andererseits die “andauernde ökonomische Krise” (hegemonial) naturalisiert.xviii
Die Kulturalisierung des Politischen
Was bringt die Reaktivierung des historischen Mythos „Bauhaus“? Für das Bauhaus spricht, dass es in der kollektiven Imagination für Veränderung und Wandel steht. Die Idee des Wandels ist so attraktiv, weil das Vorhaben auf der These gründet, dass kulturelle Repräsentationen nicht nur den Verhältnissen nachlaufen, sondern zu Orten gehören, an denen sich der Wandel vollzieht. Europa braucht den Wandel in zwei Bereichen unbedingt - in der Frage der Einigung und des Klimaschutzes -, um als erster Kontinent bis 2050 klimaneutral zu werden. „Das neue Europäische Bauhaus wird zeigen, dass auch das Notwendige schön sein kann“xix, steht in einer Pressemitteilung der EU-Kommission dazu. Diese Formulierung spricht für die Überzeugung, dass Gestaltung politisch sein könne. Damit wird die Architektur aber auch in die Rolle gedrängt, das Notwendige schön zu färben.
“Cultural and creative industries are in a strategic position to promote smart, sustainable and inclusivegrowth in all EU regions and cities, and thus contribute fully to the Europe 2020 Strategy, which is the EU’s growth strategy for the coming decade.” [aus: “European Agenda for Culture” 2012]
Charakteristisch für den Diskurs zur politischen Einheit und der „ökonomisierten“ Sicht des Vorhabens ist, dass sie darauf fokussieren, dass ein (ökonomisch) erfolgreiches politisches System eine Identität verlange. Als »ökomodernes Projekt« hängt der Green Deal unweigerlich mit der Frage der Identität zusammen. Die European Cultural Foundation (ECF) interpretiert deshalb das neue Europäische Bauhaus nicht nur als Vehikel zum Aufbau eines gemeinsamen europäischen Raums, physisch, sondern auch in den Köpfen der Menschen, als eine “mentale Infrastruktur”, mit der ein positives Gefühl des Europäerseins erzeugt werden kann. Das Europäische Bauhaus wiederholt also nicht den Fehler der Roadmap, die allein auf technische Infrastruktur setzte und damit das Bild der EU als technokratisches Monster bestärkte. Die Infrastruktur des NEB ergänzt den Strang der “gebauten Umwelt” mit jenem der “Kultur” und sollte eine lebendige transnationale Sphäre bilden. Die Infrastruktur dafür ist ein Netzwerk aus verschiedenen Foren, die basisdemokratische Plattformen sind und die Prinzipien architektonischer Nachhaltigkeit beispielhaft umsetzen. Das neue Europäische Bauhaus ist in Wirklichkeit nicht neu, sondern steht in einer Linie mit Initiativen des ECF wie dem “Europäischen Pavillon”, dem “Homes of Commons Certificate” und anderen Projekten.
Das Politische wird mit dem neuen Bauhaus kulturalisiert, weil die EU-Politik auf die gegenwärtige Konjunktur der Kultur aufspringt. Der Diskurs um die “Kulturwirtschaft” ist längst schon auf der Ebene internationaler Organisationen angekommen. Beim kulturalisierten Diskurs zur Wirtschaftsstruktur wird deutlich, dass es eigentlich nicht um das historische Bauhaus geht, sondern um die “Cultural and Creative Industries” unserer Tage. Diese sind Träger vielfältiger wirtschafts- und sozialpolitischer Hoffnungen, die von der Schaffung von Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen bis zur Modernisierung sozialer Konflikte und zur Aufwertung ganzer Regionen führen soll. Der Grund für die gesteigerte Aufmerksamkeit für die Kultur liegt darin, dass sie neben der Technologie zu den dynamischsten Feldern moderner Gesellschaften gehört („kulturalisierte Ökonomie“). Ziel ist es, Innovation und Cross-Innovation als Katalysator für die wirtschaftliche Entwicklung und das Wohlergehen der Gesellschaft im weiteren Sinne zu nutzen und die Wirkung von kultur- und kreativwirtschaftlichen Innovationen zu stärken.
Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist der drittgrößte Arbeitgeber in der EU und somit einer der Hauptakteure der EU-Wirtschaft. Das neue Bauhaus will wie sein Vorläufer Avantgarde, dh. „weltweit ein Prototyp“, „führend in der Klimafrage“ usw. sein, diesmal aber im Bereich der neuen, grünen Technologien. Damit entsteht aber auch der Eindruck, hier werde eine innerdeutsche Debatte rund um die Energiewendexx, so wie sie nach Fukushima entstanden war, einfach auf eine europäische Ebene übersetzt, denn auch hier will Europa „Vorreiter“ sein und „erster klimaneutraler Kontinent“. Die Konstruktion einer Story-Line zur Avantgarde, die ausgehend vom historischen Bauhaus zum Europäischen Bauhaus führt, generiert Bedeutungen, die im Spannungsfeld von politischer Souveränität und ästhetischer Repräsention entstehen. Das Europäische Bauhaus lotet aber das Potential der Kultur nicht wirklich aus. Stattdessen reduziert es die Aufgabe der Architektur darauf, das Notwendige schön zu färben. Von Kultur wäre dann zu reden, wenn es gelänge, das Undenkbare zu denken, Möglichkeitsräume zu öffnen jenseits von gesicherter Erfahrung und prognostischem Wert. Das neue Europäische Bauhaus setzt keine neue Realität, es positioniert sich im Panorama der etablierten Werte und Interessen.
Infrastrukturen, Territorium und Kontingenz
„Die Stärke und zugleich Schwäche Europas besteht darin, dass es eine Macht ist, die auf Verfahren aufbaut. Man hat sich sehr bewusst dagegen entschieden, Europa ikonisch oder symbolisch aufzuladen. […] Un-Darstellbarkeit zu akzeptieren, würde bedeuten, die inhärente Pluralität anzuerkennen“.xxi
Mit dieser Aussage der niederländischen Künstlerkollektivs Metahaven wird die Frage aufgeworfen, ob Europa überhaupt eine Identitätspolitik braucht. Man versteht nämlich das Europäische Bauhaus besser als Teil der europäischen Infrastruktur. Tatsächlich war die europäische Einigung immer schon Infrastrukturpolitik („infrastruktureller Europäismus“). Schon bei der Roadmap 2050 ergab sich die „Green Energy Union“ aus dem Zusammenhang zwischen der materiellen Konnektivität der Infrastruktur und der politischen Kollektivität.xxii Ein Europa, das sich lediglich auf den Markt projiziert, widerspricht dieser These. Das neue Bauhaus sollte eine politische Sphäre erzeugen, es sollte mehr sein als eine Infrastruktur von Pipelines und Stromleitungen. Im Spannungsfeld von ikonografischem Defizit und der Wiederkehr der Geo- und Identitätspolitik liegt der Vorteil Europas möglicherweise gerade in der „Un-Darstellbarkeit und Unsichtbarkeit von Europa und seiner Infrastruktur“. Was bringt also die Metapher eines „neuen Europäischen Bauhauses“? Kommen wir ganz ohne politische Symbolik aus?
Man sollte, wenn man von der Infrastruktur Europas spricht, nicht vergessen, dass sie die Grundlage für die „Externalisierung“ schafft. Der deutsche Soziologe Stephan Lessenich meint mit diesem Konzept, dass die europäische „Externalisierungsgesellschaft“ soziale und ökologische Probleme jenseits der Grenzen der EU auslagere.xxiii Vor dem Hintergrund einer gerechteren Verteilung der Ressourcen müsste Europa seinen Energieverbrauch drastisch einschränken. Stattdessen versucht es durch den Ausbau der Elektrizitätsnetzwerke an zusätzliche Ressourcen heranzukommen. Den Hinweis darauf, was mit dem „konstitutiven Außen“ (Mouffe/Laclau) der Europäischen Union gemeint ist, lieferte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit ihrem ersten Besuch eines Landes außerhalb von Europa, der sie nach Addis Abeba führte. Dort legte sie der Afrikanischen Union eine „Strategie für Afrika“ vor. Auf dem kürzlich in Paris abgehaltenen Gipfel war von einem „Deal für Afrika“ die Rede.xxiv Jedenfalls haben die „Deals“ derzeit Konjunktur. Bei aller Euphorie dafür sollte nicht vergessen werden, dass auch die Akteure des New Deals von Franklin D. Roosevelt Konzerne waren. Weder darf man die Zukunft Europas allein dem Markt noch den Konzernen überlassen. Stattdessen sollte man so viele Akteure wie möglich zusammenführen, um Produktions- und Konsumweisen zu ändern und einen handfesten Wandel zu ermöglichen. Ein Projekt wie der „Green Deal“ sollte das Moment der Kontingenz beinhalten, dh. die innere Pluralität Europas akzeptieren.
Referenzen
»Präsidentin von der Leyens Rede zur Lage der Union bei der Plenartagung des Europäischen Parlaments« vom 16. September 2020. URL: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/SPEECH_20_1655 [18.09.2020].
ii Zum Thema »Kollektive Bilder und Democratic Governance« siehe: Demokratiezentrum Wien (Gertraud Diendorfer et al.) (Hrsg.): Iconoclash. Kollektive Bilder und Democratic Governance in Europa, Wien 2006. Vgl. auch: Uhl, Heidemarie: »EU-Europa als visuelles Narrativ«. in: Kulturrisse 2/2004, S. 38–39.
iii Von der Leyen, Ursula: “ »Ein Neues Europäisches Bauhaus«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 21.02.2021. URL:https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/digitec/neues-europaeisches-bauhaus-17205418.html [12.05.2021].
iv Mariya Gabriel, Kommissarin für Innovation, Forschung, Kultur, Bildung und Jugend in einer Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 18.01.2021. URL: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_21_111 [22.02.2021].
v Ebd. Von der Leyen 2021, s.o.O.
vi »Gestalten wir den Wandel«, Leitartikel von der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen. Pressemittelung der Europäischen Kommission vom 20. 09. 2020. URL: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/AC_20_1698 [23.09.2020].
vii Brand, Ulrich: »Green Economy – the Next Oxymoron? No Lessons Learned from Failures of Implementing Sustainable Development«, in: GAIA21/1(2012), S. 28 – 32.
viii OMA/AMO: »Roadmap 2050«. URL: https://oma.eu/publications/roadmap-2050-a-practical-guide-to-a-prosperous-low-carbon-europe [12.01.2020].
ix Thackara, John: »From Landscape as Infrastructure to Landscape as Bioregion«, in: Zero Landscape. Unfolding Active Agencies of Landscape, GAM 07 2011, S. 267-274, hier: S. 268.
x Vgl. dazu: Beckmann, Karel: »The Energy Union: Its now or never for a European energy policy«, in: Energy Post (18) 2015, S. 32-51.
xi Swyngedouw, Eric: »Apocalypse Forever? Post-Political Populism and the Spectre of Climate Change«, in: Theory Culture & Society 27(2-3) 2010, S. 213-232, hier: S. 217.
xii Ebd. Pressemittelung der Europäischen Kommission vom 20. September 2020, s. o. O.
xiiiSchmid, Thomas: Europa ist tot, es lebe Europa! Eine Weltmacht muss sich neu erfinden, München 2016.
xiv Den Verdacht der »Kaperung des Ökologischen« äußerte die Umweltaktivistin Harriet Bradley im Zusammenhang mit der EU-Agrarpolitik. Vgl. dazu: „Man hat den Begriff ‹ökologisch› gekapert«, Interview mit Harriet Bradley von Birdlife International von Nils Klawitter im Spiegel vom 23.10.2020.
xv Swyngedouw, Eric: »Eco-Planning? Ecology as the New Opium for the People«, in: GAM 07 2011, S. 61.
xvi Vgl. dazu Görg, Christoph: Regulation der Naturverhältnisse. Zu einer kritischen Theorie der ökologsichen Krise, Münster 2003, S. 140.
xvii Baker, Susan: »Sustainable development as symbolic commitment: Declaratory politics and the seductive appeal of ecologicalmodernisation in the European Union«, in: Environmental Politics, 16(2) 2007, S. 297–317.
xviii Žižek, Slavoj: »A Permanent Eonomic Emegency«, in: New Left Review, 64 July/Aug 2010, S. 85.
xix»Gestalten wir den Wandel«, Leitartikel von der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen. Pressemittelung der Europäischen Kommission vom 20. 09. 2020. URL: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/AC_20_1698 [23.09.2020].
xx Vgl. dazu: Amri-Henkel, Andrea: Die Energiewende im Bundestag: ein politisches Transformationsprojekt? Eine Diskursanalyse aus feministischer und sozial-ökologischer Perspektive, Bielefeld 2021.
xxi Anh-Linh Ngo im Gespräch mit Van der Velden/Metahaven, in: archplus (239) 2020, S. 99.
xxii Opitz, Sven und Ute Tellmann: »Europa als Infrastruktur. Vernetzung der operativen Gemeinschaft«, in: archplus 239, S. 44ff. Opitz und Tellmann berufen sich auf Bruno Latours »politische Theorie der Kollektivität«. Vgl. Latour, Bruno: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie, Frankfurt a. M. 2007.
xxiii Lessenich, Stephan: »Die Externalisierungsgesellschaft«, in: archplus (2020) Nr. 239, Europa, S. 3.
xxiv »Pariser Gipfel will ‹New Deal› für Afrika«, in: news ORF vom 18.05.2021. URL: https://orf.at/stories/3213497/ [22.04.2021].
Diesen Beitrag hätte man
Für ein Online-Medium ist dieser Beitrag zu lang. Es geht hier nicht um die Thesen, sondern um die Leser. Ein kürzerer Text mit einem Verweis auf ein PDF-Dokument wäre optimal gewesen.
In reply to Diesen Beitrag hätte man by Gianguido Piani
Finde die Trennung: digital
Finde die Trennung: digital Kurzvversion, Print Langversion, recht veraltet.
Das würde bedeuten, dass ich als digitaler Konsument nie in den Genuss einer Langversion kommen würde (bzw. so wie Sie argumentieren: kommen möchte).
... finde ich ebenfalls, bei
... finde ich ebenfalls, bei allem Respekt für die mühevolle Erarbeitung!
Vielleicht findet sich eine griffige Darlegung eines höchst aktuellen Themas.
In reply to ... finde ich ebenfalls, bei by Walter Kircher
Ich gehör zu dieser Gruppe
Ich gehör zu dieser Gruppe von Lesern, die diese umfassende Darlegung mit Interesse lesen und gern bei dem Gespräch am 28ten dabei wären.