Aufforderung zur Entkategorisierung
In dem einen Karton sind die Erinnerungen aufbewahrt, in der nächsten die Klamotten, dann wieder Küchengeräte, oder die Bücher in den kleineren Schachteln. Wenn wir umziehen, versuchen wir unseren Besitz, unsere Dinge, nach Gebrauchszonen bzw. Räumen einzuordnen.
Auch die Räume im weiteren Radius, die Häuser, Städte, usw. sind von der Gemeinschaft mit bestimmten Zwecken versehen. Wohnhäuser zum Wohnen, Bahnhöfe zur Durchfahrt, Gerichtsgebäude zum Vollzug des Gesetzbuches, Kirchen zum Beten.
Wenn diese Zweckorientierung gebrochen wird, herrscht plötzlich der Ausnahmezustand. Die Schublade kippt aus dem Kastensystem, mit ihr vielleicht sogar der Inhalt. Doch der auf Gewohnheit und Gewissheit getrimmte Mensch schiebt sie schnell wieder zurück. Ein Beispiel: der Schweizer Künstler Christoph Büchel hat auf der Biennale in Venedig als Länderbeitrag für Island eine Moschee in der Kirche Santa Maria della Misericordia installiert. Nach nur zwei Wochen wurde der Raum aufgrund verschiedener fadenscheiniger Argumente von der Stadtverwaltung geschlossen.
Derzeit ist in der ar/ge kunst Galerie in Bozen ein längliches Bassin zu sehen, das helltürkis durch die Schaufenster leuchtet, im hinteren Raum hängen bunte Handtücher auf einem Gestell. "Bassin Ouvert" heißt das Projekt der französischen Designerin und Künstlerin Clémence Seilles. Kunst oder Design, auch hier wieder: 2 Denkkategorien, die eigentlich an sich in ihrer Trennung uninteressant sind. Kategorie bewahrt, archiviert, friert ein. Letztendlich ist auch die Frage, ob wir es hier mit Design oder mit Kunst zu tun haben, sinnlos. Wichtiger ist: was passiert dort?
Während der Eröffnung im Mai hat Seilles zusammen mit KollegInnen in greller Videospielmanier ferngesteuerte Kunstobjekte im Bassin gegeneinander ins Rennen geschickt, über Joysticks von SpielerInnen bedient, dazu bassverstärkte Popmusik und ein an die Wand projiziertes Video.
Clemence Seilles, Bassin Ouvert, Installation view, 2015, photo by aneres
Courtesy the artist and ar/ge kunst
Ein ganz anderes Szenario fand statt, als der Ethnologische Verein Südtirol (EVVA) mit dem Ethnocafé zur Diskussion über "Engaged Anthropology - Angewandte Anthropologie" bat. Eine Ethnologie zu denken (zu schaffen?), die sich selber an Politik und Praxis beteiligt, war das Ziel des Treffens.
Hingegen ging es ein paar Tage später Studentinnen der Bozner Universität darum, mit dem Publikum über "Oberflächen" nachzudenken.
In der letzten Woche fand am "Bassin Ouvert" an drei Tagen "Studio Practice: On the Act of Reading" von Valentina Desideri in Zusammenarbeit mit der Philosophin Denise Ferreira da Silva und den Choreografinnen Jennifer Lacey, Cristina Rizzo und Mara Cassiani statt: Lesen als performative, interaktive, kommunikative, ästhetische und interpretierende, öffentliche Aktion mit offenem Ausgang. Der Text selber, die Bilder sind nicht so wichtig, sondern was wir damit anfangen.
Abgesehen von der Programmierung des Raumes sind nach Angaben des Kurators Emanuele Guidi auch einige Kinder sowie Touristen auf den Geschmack der schnellen Abkühlung im erhitzten Bozner Talkessel gekommen.
Derlei verschiedene Bespielung eines Orts erweist sich als strategisch gelungene Aktion der Galerie. Damit wird das "offene Bassin" tatsächlich als offen deklariert und zeigt seine wahre Wandelbarkeit. Es wird geradezu "post-identitär": es ist bodenlos, es hat keine Nation und Herkunft, keinen einseitigen Zweck, kein Geschlecht und keine Rolle. Es verlangt nichts fürs sich, sondern bietet sich großzügig an. Es ist der Boden für ein Kommendes, für die Immagination, ein Behälter, der noch gefüllt werden muss.
Der soziale Begegnungsraum hat auch hier wieder Ähnlichkeiten mit Wellness & Spa-Strukturen (siehe Hamamness in Hamburg), ohne sie nachahmen zu wollen. Vielmehr sieht es so aus, als würden wir uns auch endlich wieder was gönnen wollen, ohne großkotzig zu sein. Wir tun uns Gutes bei gleichzeitiger Anstrengung der Sinne. Andererseits bedienen solche Ideen auch zeitgenössische Sehnsüchte nach einem kollektiven Dasein: die Welt ist so schon hart genug, jetzt sind auch die Kunstorte für unsere Heilung und Wiederherstellung zuständig.
Bozen braucht mehr solche Aktionen, und jene Räume, die es schon gibt, müssen sich mehr aufmachen. Die Kunst ist nicht nur für einzelne gesellschaftliche Gruppen da, sondern für alle, und dafür müssen sich die Institutionen und deren LeiterInnen auch einsetzen.
Die Ausstellung ist noch bis zum 1. August geöffnet.