Society | Friedensmission

Seiltanzen in Darfur

Die Meranerin Sheila Romen war für eineinhalb Jahre im Westen des Sudan. Als Expertin für Friedensmissionen arbeitete sie dort für die Vereinten Nationen.
Seiltanz in Darfur
Foto: Isabelle Henriques von Pexels

Am Freitag, den 6. August 2021 veranstaltete das Team des Ost West Club Meran in der Sommerresidenz Country Club einen Programmabend mit Sheila Romen. Die Meranerin ist seit vielen Jahren international unterwegs und arbeitet im Rahmen von Friedensmissionen für die Vereinten Nationen (UN). Bei ihrem letzten Auftrag war Romen für eineinhalb Jahre in der Stadt Darfur im Westen des Sudan stationiert. Am Freitagabend sprach Moderator Thomas Kobler mit Sheila Romen über ihre konfliktreiche Arbeit. 

Die Vereinten Nationen teilen sich bei Friedensmissionen in drei große Tätigkeitsbereiche ein: Militär, Polizei und Zivil. Romen kam im Oktober 2019 nach Darfur, trat dort der Gruppe der Zivilmission bei und stellte sich eine ganz große Frage: Wie entwaffnete man eine Zivilbevölkerung, wenn die staatliche Lage schon extrem kompliziert war? Der Konfliktstaat, in diesem Fall Sudan, muss nämlich damit einverstanden sein, dass eine Friedensmission im Gebiet arbeiten darf. Es wird gemeinsam darüber beraten, wie die externe Organisation eingreifen soll, zu welchen Zeitpunkten und bei welchen Konflikten. Dieses Unterfangen stellt sich oft als gefährlicher Seiltanz heraus. Kompromisse müssen eingegangen werden und die Grenzen der Zuständigkeit mit großer Achtsamkeit respektiert werden.

Sheila Romens Arbeitsinhalt bestand darin, up to date zu sein. Jeden Morgen berichtete sie ExpertInnen über die aktuelle Lage im Krisengebiet. Außerdem stellte sie Verbindungen mit anderen Organisationen her, um gemeinsam an Friedensprojekten zu arbeiten und schrieb Berichte über Tätigkeiten und anstehende Konfliktsituationen mit möglichen Lösungsansätzen. Sheila Romen verstand sich als "kleines Rädchen in einer großen Maschine". 

 

Durch Zufall zu den UN 

 

"Durch große Passion in diesem Bereich und durch Zufall", so erklärte Romen ihren Beitritt als Expertin zur UN. Im Jahre 2006 schrieb Romen ihre Masterarbeit an der Universität München und Turin zum Thema Übergangsjustiz. Das akademische Interesse reichte so weit, dass die Südtirolerin diverse Arbeiten bei Nichtregierungsorganisationen (NGOs) verrichtete. Als sie dann durch Zufall zu den UN wechselte, unterschrieb sie zunächst nur kurzfristige Verträge, diese wurden mit der wachsenden Erfahrung dann immer länger. Eine Frage beschäftigte sie aber von Beginn an: Wie kommen Menschen überhaupt zu solch großen Konflikten? 

 

Ein Kampf um Ressourcen 

 

Der Konflikt in Darfur ist den meisten seit dem Jahre 2003 bekannt. Als einen der Hauptgründe für den jahrelangen, bewaffneten Konflikt nennt Sheila Romen Kamelherden. Durch den Klimawandel breitet sich die Sahel-Zone immer weiter aus und beansprucht mehr Gebiet. Die Bauern verlieren dadurch immer mehr Anbaufläche, während die Bevölkerung stetig wächst. Hirten treiben nun ihre Kamele durch dieses Gebiet und zerstören dabei alles, was ihnen in die Quere kommt: Die Tiere trampeln durch Anbauflächen und leeren letzte Wasserressourcen. Zum Schutz der Zivilbevölkerung gräbt die UN in diesem Gebiet Wasserlöcher, damit vor allem Frauen beim täglichen Wasserholen nicht angegriffen werden. Ein weiterer Grund für die vielen Auseinandersetzungen sind die dort lebenden Völker Masalit, Difur und Zaghawa. "Das Zusammenleben dieser drei Bevölkerungsgruppen ist von vielen Konflikten geprägt und erschwert die Friedensmission der UN", erklärt Sheila Romen. 

 

Vergewaltigungen als Kriegswaffe

 

Zerstörung durch jene, Rache durch andere. Es gibt keine konkreten Zahlen, die belegen, wie viele Vergewaltigungen während dieses Konflikts bereits stattgefunden haben. "Aber in jeder Familie gibt es Fälle, die darüber berichten", meint Romen. Die Absicht der Täter ist es, Familien zunichte und die Fortpflanzung bei Frauen fast unmöglich zu machen. Ganze Bevölkerungsgruppen werden dabei zerstört und derlei Erfahrungen verursachen immense psychische Schäden bei den Opfern. 

 

Die Arbeit in einem Krisengebiet ist 24/7 präsent 

 

Der Urlaub der UN-MitarbeiterInnen wird je nach Schwierigkeit der Krise im Einsatzgebiet kalkuliert. Je größer die Herausforderungen, desto mehr Urlaub ist notwendig. Wochenenden gibt es keine. Aber alle sechs Wochen wurde Sheila Romen für eine Woche in eine Art Auszeit geschickt. Den Kopf abschalten, raus kommen, was anderes machen, das ist für die seelische Gesundheit sehr wichtig, berichtet Romen. Auf Abruf sollte man aber trotzdem immer erreichbar sein. Angst hatte die Meranerin bei ihrer Arbeit nie. Sie vertraut dem Schutz der UN mittlerweile "zu 150 Prozent blind".  

 

New York ruft 

 

Sheila Romen will ihre nächste Zeit einem anderen Projekt widmen. Im New Yorker Hauptsitz der UN beschäftigen sich MitarbeiterInenn mit der Mission Transition. Also damit, wie eine UN-Station in einem Krisengebiet abgebaut und ins nächste Gebiet verlegt wird – eine Art Logistikarbeit, nur in Weltgröße. "Ich würde mir sehr wünschen, in New York zu arbeiten", sagt Romen im Gespräch.