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Gas- und Kohlekonzerne versuchen über Umwege Investoren zu finden – Banken nennen das „dunkelgrüne“ Fonds. Auch Südtirols Verbraucherschutz warnt nun vor Greenwashing.
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Foto: Ende Gelände / Pay Numrich
Es gleicht einem Versteckspiel. Wie sollen Unternehmen mit zweifelhaftem Image wie der deutsche Energiekonzern und Kohlekraftwerksbetreiber RWE oder der italienische Strom- und Gasversorger Enel in Zeiten der Klimakrise an frisches Geld kommen? Anfang des Jahres sorgte genau der Braunkohletagebau von RWE im deutschen Lützerath tagelang für internationale Schlagzeilen. Klimaaktivist*innen blockierten dort die Arbeiten zur Kohlegewinnung und wehrten sich gegen die Räumung des Protestcamps vor Ort. Auch die schwedische Klimaaktivistin und Initiatorin von Fridays For Future, Greta Thunberg, wurde bei den Protesten nahe Lützerath von der Polizei festgenommen.
 

Die Razzia

 
Doch nicht nur die Umweltbewegung legt sich mit den Ordnungshütern an. Rund ein halbes Jahr zuvor beschlagnahmte die Polizei Unterlagen des größten Kreditinstituts Deutschlands: Im Mai 2022 kam es in den Büros der Deutschen Bank und ihrer Tochter DWS in Frankfurt zu einer Razzia. Denn die DWS soll ihre Finanzprodukte als viel umweltfreundlicher dargestellt haben, als sie tatsächlich waren. Greenwashing ist in der Finanzbranche kein Einzelfall.
Dunkelgrüne Investmentfonds in Europa enthalten Investitionen im Wert von über 8,5 Milliarden Euro für fossile Energieträger und den Flugverkehr.
Wie ein europäisches Rechercheprojekt Ende letzten Jahres aufdeckte, fließen die Gelder von fast der Hälfte sogenannter „dunkelgrüner“ Investmentfonds in die fossile Brennstoffindustrie oder in die Luftfahrt. Die niederländischen Investigativplattformen „Follow the Money“ und „Investico“ initiierten die Recherche. Elf Medienhäuser waren beteiligt, unter anderem die österreichische Tageszeitung „Der Standard“, das deutsche „Handelsblatt“, die französische Zeitung „Le Monde“ und Spaniens „El País“.
 
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Walther Andreaus: „Anleger*innen und Verbraucher*innen sollten in der Lage sein, informierte und fundierte Entscheidungen zu treffen.“ (Foto: Verbraucherschutzverein Robin)
 
Als dunkelgrüne Investmentfonds bezeichnen Unternehmen wie die Deutsche Bank, Unicredit oder Deloitte Anlagen, die seit März 2021 durch Artikel 9 der EU-Verordnung zur nachhaltigen Geldanlage am strengsten geregelt sind. Diesen Fonds ist es verboten, Investitionen zu tätigen, die ökologischen und sozialen Zielen widersprechen.
Allerdings mangelt es hier offenbar an einer EU-weiten wirksamen Kontrolle. Während die Regeln der EU für nachhaltige Investitionen eine weit gefasste Definition von Nachhaltigkeit verwenden – von sozialer Nachhaltigkeit, wie der Achtung der Menschenrechte und guter Arbeitsbedingungen bis hin zu ökologischer Nachhaltigkeit, wie der Vermeidung von Schäden an der Natur und der Wasserqualität –  fasste das Rechercheprojekt nur die Klimaschäden ins Auge, die von den Unternehmen in Europas dunkelgrünen Fonds verursacht wurden.
Ihre Ergebnisse zeigen, dass viele dunkelgrüne Fonds diese niedrige Messlatte nicht erreichen. Sie würden eigentlich zu den sogenannten „grauen“ Fonds zählen, die in den Artikeln 6 und 7 der EU-Verordnung geregelt sind und lediglich eine Analyse der Nachhaltigkeitsrisiken vorlegen müssen, denen sie ausgesetzt sind.  
 

Grüne Fonds

 
Das Recherchenetzwerk analysierte 838 von 1.141 Fonds (Stichtag 30. Juni 2022), die sich selbst unter Artikel 9, also dunkelgrün, eingestuft haben. Ihre Portfolios umfassten 130.000 Anlagen mit einem Gesamtwert von über 619 Milliarden Euro – die Summe entspricht in etwa dem Bruttoinlandsprodukt von Schweden im Jahr 2022 mit 557,53 Milliarden Euro.
Die untersuchten dunkelgrünen Investmentfonds in Europa enthalten laut den Ergebnissen des Rechercheprojekts Investitionen im Wert von über 8,5 Milliarden Euro für fossile Energieträger und den Flugverkehr. Das sind 388 von 838 analysierten Wertanlagen, also rund 46,3 Prozent. In Italien beträgt der Prozentsatz 49,5 Prozent. Als grün deklariertes Geld fließt in Investitionen von Großkonzernen wie Shell und Total, Fluggesellschaften wie Lufthansa und Air France-KLM sowie Kohlegiganten wie RWE, Enel und Uniper.
 
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Warnung vor Greenwashing: Die Bankenaufsicht der EU stellt in ihrem Bericht fest, dass das Risiko, missverständliche Informationen über nachhaltige Wertanlagen zu erhalten, auch in Europa steigt. (Foto: EBA)
 
Das bedeute allerdings nicht, dass die restlichen Gelder der dunkelgrünen Fonds explizit zum Klimaschutz beitragen. „Die beliebtesten Investitionen sind Microsoft (8,2 Milliarden Euro), das Pharmaunternehmen Novo Nordisk (7,6 Milliarden), Apple (6,7 Milliarden), Alphabet (4,4 Milliarden) und das Pharmaunternehmen Thermo Fisher (4,1 Milliarden). Auch McDonald's, Coca-Cola, Pepsico, L'Oréal und Louis Vuitton Moët Hennessy stehen weit oben auf der Liste“, so die Investigativplattform „Follow the Money“.
 
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Das Ergebnis des europäischen Rechercheprojekts: Trotz grünem Versprechen fließen Milliarden in die Verbrennung fossiler Energieträger. (Grafik: Ismaele Pianciola / salto.bz / IrpiMedia)
 
Das grundsätzliche Problem sei laut den niederländischen Journalist*innen, dass das Spektrum von nachhaltigen Wertanlagen in der Finanzbranche sehr breit gefasst sei. Am einen Ende des Spektrums fallen auch Anlagen hinein, wo nur untersucht wird, wie Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit die Gewinne eines Unternehmens beeinflussen. Beispielsweise dürfte das europäische Verbrenner-Verbot ab 2035 für viele europäische Automobilhersteller ein Geschäftsrisiko darstellen.
Am anderen Ende des Spektrums spielt der finanzielle Aspekt keine oder eine geringere Rolle. Der Erfolg des Investments wird hier durch alternative Indikatoren gemessen. Zum Beispiel gehören dazu Fonds zur Förderung der ökologischen Landwirtschaft oder der Bildung für Mädchen. Hier wird Nachhaltigkeit auf eine ganz andere Weise definiert. Das Problem ist mittlerweile auch auf höchster EU-Ebene bekannt.
 

Warnung der EU-Behörde

 
Die Bankenaufsichtsbehörde der EU (EBA) warnte Anfang Juni vor der wachsenden Gefahr für schöngefärbte Angebote. „Das Ergebnis der quantitativen Analyse des Greenwashing-Phänomens zeigt einen deutlichen Anstieg der Gesamtzahl potenzieller Greenwashing-Fälle in allen Sektoren, auch bei EU-Banken“, erklärt die EBA anlässlich ihres Berichts zum Risiko von Greenwashing. Ebenso in Südtirol steigt die Besorgnis in Bezug auf nachhaltige Geldanlagen.
„Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Regulierungsbehörden und Finanzinstitute entschlossen handeln, um sicherzustellen, dass Greenwashing gestoppt wird und dass wirklich nachhaltige ökologische und soziale Investitionen geschätzt und gefördert werden, auch im Bereich der Zusatzrentenfonds“, teilt der Südtiroler Verbraucherschutzverein Robin mit.
 
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Protest gegen Kohleabbau im deutschen Nordrhein-Westfalen: Noch ist undurchsichtig, welche Investmentfonds tatsächlich sauber sind. (Foto: Ende Gelände / Pay Numrich)
 
Spätestens mit dem Pariser Klimaabkommen der Vereinten Nationen im Jahr 2015 sind nachhaltige Geldanlagen im Aufwind. Anleger*innen legen vermehrt Wert darauf, was mit ihrem Vermögen passiert. Dementsprechend wächst das Angebot, zurzeit sollen pro Jahresquartal 100 neue Nachhaltigkeitsfonds auf den europäischen Markt kommen.
Die Deutsche Bank und ihre Tochter DWS haben ihre Wertpapierfonds inzwischen neu deklariert: Wie auch andere deutsche Fondsanbieter stufen sie ihre Angebote still und heimlich von „dunkelgrün“ auf „hellgrün“ um. Die hellgrünen Fonds fallen unter Artikel 8 der EU-Verordnung, die weniger ehrgeizige Ziele verlangt. Der frühere Vorstandschef der DWS, Asoka Wöhrmann, musste indessen nach der Razzia im Mai 2022 den Chefsessel verlassen. Die Fondsgesellschaft verlor bereits ein Jahr zuvor auf einen Schlag eine Milliarde Euro an Börsenwert, nachdem sowohl die US-Börsenaufsicht SEC als auch die Frankfurter Staatsanwaltschaft Ermittlungen eingeleitet hatten.
Auch im Südtiroler Bankensektor gehört Nachhaltigkeit längst zum Marketingvokabular. Raiffeisen wirbt mit „Green“ und „Sustainability Bonds“. Die Sparkasse verspricht eine breite Palette an Produkten „mit einem hohen Maß an sozialer und ökologischer Verantwortung“. Zu kritischem Nachfragen ist hier wohl geraten. „Anleger*innen und Verbraucher*innen sollten in der Lage sein, informierte und fundierte Entscheidungen zu treffen“, so der Geschäftsführer des Verbraucherschutzvereins Robin, Walther Andreaus.