Chronicle | Trennungsschmerz

Südtirol, in Zukunft Single?

100 Jahre Saint Germain: Die Schützen lehnen sich gegen die “Zwangsehe mit Italien” auf – und Sven Knoll & Co. sehnen den “Tag der Unabhängigkeit von Italien” herbei.
Schütze vor Südtiroler Wappen
Foto: Othmar Seehauser

Nein, aufmarschieren lassen wird er seine Mannen nicht, sagt Jürgen Wirth Anderlan zu salto.bz. Doch spurlos vorüberziehen lässt der Südtiroler Schützenbund (SSB), dessen Landeskommandant Wirth Anderlan ist, das morgige Datum nicht. Nach der “DNA”-Kampagne, bei der Mitte August die deutschen Ortsnamen auf zahlreichen Ortstafeln im ganzen Land überklebt wurden, hat sich der Schützenbund für den 10. September 2019 eine weitere Aktion ausgedacht. Hundert Jahre ist es her, dass nach Ende des Ersten Weltkriegs der Vertrag von Saint Germain unterzeichnet wurde. Südtirol wurde damit endgültig von Österreich gelöst und Italien zugesprochen.
Den Trennungsschmerz, den die Schützen auch ein Jahrhundert später noch verspüren, haben sie in einem Video verarbeitet. Dazu gibt es nicht nur den passenden Hashtag, sondern auch eine gewohnt polemisch-polternde Botschaft “gegen die Zwangsehe”.

 

“Vor genau hundert Jahren wurde Südtirol gegen seinen Willen mit Italien vermählt, mit den Trauzeugen Frankreich, Großbritannien und Frankreich an der Seite des ungeliebten Bräutigams”, beschreibt Jürgen Wirth Anderlan sein Bild von der Unterzeichnung des Vertrags von Saint Germain.

In einer Aussendung will der SSB-Landeskommandant den Erfolgsweg, den Südtirol inzwischen dank der hart errungenen Autonomie eingeschlagen hat, nicht klein reden – beleuchtet dabei aber nur eine Seite: “Heute boomen Wirtschaft und Tourismus, die Arbeitslosenquote ist gleich null, unsere jungen Handwerker sind Garanten für die Zukunft und ehrenamtliche Traditions- und Kulturvereine haben regen Zulauf. Wir haben Bergsteigerlegenden, Olympiasieger, Weltmeister, die Kastelruther Spatzen und Frei.Wild hervorgebracht und sprechen immer noch mehrheitlich Deutsch.”

 

Verstaubte Horrorszenarien

 

“Italien hat sein Ziel der Italianisierung Südtirols noch nicht erreicht”, meint Wirth Anderlan provokant – und wagt einen ebenso provokanten Ausblick in die Zukunft. Sollte die “Zwangsehe” mit Italien, gegen die die Schützen mit dem Hashtag #GZ (“Gegen Zwangsehe”) mobil machen wollen, andauern, drohten Südtirol nach guten Zeiten schlechte Zeiten. Oder, frei nach einer bekannten deutschen Vorabend-Fernsehserie, “GZSZ”: “Wir werden noch einige Regierungs- und Wirtschaftskrisen unseres ungeliebten Ehegatten überstehen”, prophezeit Wirth Anderlan. “Mit den 2.117 Euro pro Kopf, die wir jährlich und auf Nimmerwiedersehen nach Rom schicken, verlängern wir weiterhin künstlich das Leben unsers wirtschaftlich todkranken Ehepartners. Unsere Schüler demonstrieren montags gegen Ärzte- und Lehrermangel und unsere Enkel und Urenkel wachsen fünfsprachig auf. Die deutsche Volksgruppe sinkt unter die 50%-Marke, die deutschen und ladinischen Ortsnamen werden immer noch nicht amtlich sein. Der Proporz, Artikel 19, das Selbstbestimmungsrecht, der österreichische Pass oder die Ergebnisse des Autonomiekonvents wandern ins Museum, gleich neben dem Ötzi, und werden dort den Besuchern als Überbleibsel aus einer längst vergangenen Zeit präsentiert. Kurzum, die Zwangsehe von einst wird zur einseitigen Freiheitsberaubung im beiderseitigen Einvernehmen.”

Nicht weniger provokant ist der Appell der Südtiroler Freiheit im Hinblick auf den morgigen Gedenktag. Auch Sven Knoll & Co. fordern, “sich von Italien zu lösen”, denn man sei es den künftigen Generationen “schuldig, Südtirol in eine bessere und selbstbestimmte Zukunft zu führen – damit diese irgendwann den Tag der Unabhängigkeit von Italien feiern können und nicht noch einmal der Zwangszugehörigkeit zu Italien gedenken müssen”.

Für die Schützen jedenfalls wird es nicht die letzte Aktion für dieses Jahr gewesen sein. Für Ende Oktober kündigt Jürgen Wirth Anderlan eine weitere Kampagne an, um auf Schützen-Art 80 Jahre Option zu gedenken. Zwei Monate soll sie dauern – in der Hauptrolle: Koffer, deponiert vor den Südtiroler Rathäusern.

Die Teilung Tirols bzw. der Anschluss des (deutsch- und ladinischsprachigen) Süden Tirols und des Kanaltals an Italien war damals nur eine weitere gewaltsame Kolonialnahme, der noch andere während der faschistischen Gewalt- und Terrorherrschaft folgen werden.
Wer die Inschrift auf dem Faschistentempel lesen kann, ist im Vorteil und versteht - bis heute.

Mon, 09/09/2019 - 21:39 Permalink