Economy | Landwirtschaft
In Vergessenheit geraten
Foto: LHG
Salto.bz: Herr Tiefenthaler, der Bauernstand zählt zu den konservativsten Wirtschaftssektoren in Südtirol. Wie schwierig ist es, gerade hier Veränderungen einzuführen oder gar durchzusetzen?
Leo Tiefenthaler: Wir haben es hier tatsächlich mit einem sehr konservativen Sektor zu tun, der nach dem Motto handelt: „Wir haben immer schon so gearbeitet und so wird es wohl auch weiter gut gehen.“ Aber nichts ist von Bestand. Es bringt nichts, wenn wir als Südtiroler Bauernbund mit der Fahne vorausmarschieren und niemand folgt uns. Wir müssen den Bauern umsetzbare Maßnahmen präsentieren und diesen Weg muss man langsam beschreiten. Auch unsere Eltern und Großeltern waren großen Umbrüchen unterworfen, was inzwischen leider vergessen worden ist, aber es ist nun einmal eine Tatsache, dass es in der Vergangenheit sehr viele Veränderungen gegeben hat. Auch zukünftig wird es Veränderungen geben und vielleicht werden diese sogar schneller passieren, als noch vor 50 oder 100 Jahren. Deshalb müssen auch die Bauern offen für Veränderungen sein und die gesellschaftlichen Entwicklungen beobachten. Dazu gehört auch, die Produktion auf die Wünsche der Kunden auszurichten.
Es bringt nichts, wenn wir als Südtiroler Bauernbund mit der Fahne vorausmarschieren und niemand folgt uns.
Landesrat Arnold Schuler erklärte bei der Vorstellung des Aktionsplanes 2030 im Rahmen der Sustainability Days, dass „weniger oft mehr“ ist. Will man zukünftig, denkt man nur an die Milchwirtschaft, anstatt auf Massenproduktion mehr auf Qualität setzen?
Korrekt. In der Weinwirtschaft hat man diesen Schritt bereits vor rund 60 Jahren machen müssen …
… im Unterschied zum Wein handelt es sich bei der Milch allerdings um ein Grundnahrungsmittel …
Die angesprochene Veränderung in der Weinwirtschaft hat genau zu einem Zeitpunkt stattgefunden, als Wein noch „Nahrungsmittel“ war. Vor rund einem halben Jahrhundert galt der Wein als Stärkungsmittel und „Kraftgeber“. In dieser Zeit wurden die DOC-Bestimmungen, dabei handelt es sich um gesetzliche Regelungen auf nationaler Ebene, erlassen und damit Mengenbeschränkungen eingeführt. Pro Rebsorte durfte nur mehr eine bestimmte Menge pro Hektar produziert werden. Inzwischen wird Wein nicht mehr als Nahrungsmittel angesehen, sondern Wein gilt heute als Genussmittel. Heute produzieren wir nicht einmal mehr jene Mengen, die vom Gesetz her erlaubt wären. Im Gegenteil: Sowohl freie Weinbauern als auch die Genossenschaften haben ihre Mengen weiter reduziert, um damit eine Qualitätssteigerung zu erreichen. Mit der Einführung der flächenbezogenen Milchwirtschaft wird ebenfalls mehr Wert auf Qualität gelegt, obwohl nicht alle Freude an dieser Maßnahmen haben. Wir müssen deshalb Überzeugungsarbeit leisten, gute Vorschläge bringen und Mehrheiten finden, damit die Vorschläge auch umgesetzt werden können. Zukünftig werden wir aber sicher auf noch mehr Qualität bei unseren Produkten setzen müssen, denn die Mengen haben wir ja bereits großteils.
Welche Rolle spielen die derzeitige Krise und die Teuerungswelle?
Wie sich die Energie-Krise bis hin zu Importausfällen auf uns auswirkt, ist derzeit noch nicht absehbar. Nachdem die EU-Länder zu den Netto-Importeuren von landwirtschaftlichen Produkten zählen, müssen wir ein wachsames Auge auf die Produktion haben. Schließlich ist die Landwirtschaft der Garant für die Lebensmittelversorgung, die nicht als selbstverständlich angesehen werden sollte. Wir müssen deshalb an mehreren Punkten ansetzen, wie beispielsweise bei der Lebensmittelverschwendung. Studien zufolge landen nämlich bis zu 30 Prozent der Lebensmittel im Abfall. Gleichzeitig muss bei der Produktion darauf geachtet werden, dass für die Bevölkerung genügend Lebensmittel zur Verfügung stehen. Die großen Krisen der Vergangenheit sind entstanden, als es zu Klimaveränderungen kam und die Lebensmittelproduktion nicht mehr garantiert werden konnte. Migrationen und Kriege waren die Folge. Leider ist die primäre Aufgabe der Landwirtschaft, nämlich die Produktion von Nahrungsmittel, ein wenig in Vergessenheit geraten.
Leider ist die primäre Aufgabe der Landwirtschaft, nämlich die Produktion von Nahrungsmittel, ein wenig in Vergessenheit geraten.
Unsere Lebensmittel werden teilweise durch die halbe Welt gekarrt – ist eine Rückkehr zu einer regionalen Lebensmittelversorgung in der EU vorstellbar?
Wenn, dann wird dies ein sehr langsamer Prozess sein. Wir haben es nämlich – hauptsächlich in der Obst- und Weinwirtschaft – mit mehrjährigen Kulturen zu tun. In der Grünlandwirtschaft können die angebauten Pfanzensorten von einem Jahr auf das nächste umgestellt werden. Im ersten Jahr Kartoffeln und im nächsten Jahr beispielsweise Gemüse. Beim Obst- oder Weinbau ist dieser rasche Umstieg nicht möglich. Es handelt sich dabei um Kulturen, die mindestens 15 bis 20 Jahre kultiviert werden müssen, damit eine Rentabilität gegeben ist. Erhebungen zufolge müssen die Erträge während der ersten zehn Jahr zur Tilgung der Investitionskosten verwendet werden. Wenn ein Bauer erst ab dem zehnten Jahr Gewinne erzielt, dann kann er die Rebstöcke nicht bereits im dritten Jahr wieder herausreißen, um Kartoffeln anzubauen.
Ihr Ausblick auf die Zukunft?
Solange Menschen Lebensmittel zum Leben brauchen, werden auch die Bauern weiterhin gebraucht. Aber natürlich stehen uns schwierige Zeiten bevor, weil wir mit Konkurrenzprodukten aus aller Welt konfrontiert sind. Vielleicht werden aufgrund der Energiekrise aber auch die Lebensmitteltransporte sinken. Dabei dürfen wir aber nicht unterschätzen, welche ungeheuren Mengen an Lebensmitteln in die EU importiert werden – vor allem nach Deutschland und in die nördlichen Länder – auch weil klimabedingt nicht alles angebaut werden kann. In dieser Hinsicht dürfen wir uns wohl glücklich schätzen, dass bei uns – beinahe – alles wächst.
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"Welche Rolle spielt die
"Welche Rolle spielt die Landwirtschaft in der Gesellschaft?" war die Frage und der Herr Obmann des Bauernbundes geht auf die Frage gar nicht ein, sondern erzählt Dinge, die in keiner Weise neu sind und auch nicht in Vergessenheit geraten sind. Die wichtigen Aspekte der Landwirtschaft, welche die Gesellschaft am meisten berühren und sehr oft angeprangert werden, lässt er einfach links liegen. Ja, Obmann sein muss man können. Herr Tiefenthaler kann's. Ob damit der Landwirtschaft gedient ist, steht auf einem anderen Blatt geschrieben.
In reply to "Welche Rolle spielt die by Sebastian Felderer
... hab ich mir während des
... hab ich mir während des Lesens auch gefragt ... wann kommt die Antwort? ... aber nix da.
In reply to ... hab ich mir während des by Klemens Riegler
Die Milch läßt sich sicher
Die Milch läßt sich sicher nicht mit den kauzigen nichts-sagendem Sprüchen veredeln, mit denen die Weinwirtschaft das Stärkungsmittel und den Kraftgeber in ein Genussmittel verwandelt hat.
Bei Tiefenthaler kann ich
Bei Tiefenthaler kann ich mich des Eindruckes nicht erwehren, dass er sich immer mehr von der Grund-Gesinnung der sozialen und gerechten Landwirtschaft entfernt hat und nur den "Großkopfeten" mit großflächigen- industrialisierten Betriebsweisen Aufmerksamkeit widmet.
Beispiele Bergbauern: für Geringschüttung von Beregnungswasser muss ein Basisbetrag von 50€ entrichtet werden welcher auch eine pauschalisierte Bearbeitungsgebühr beinhaltet; bei Wasserentnahme von 50€ ist nur der Betrag von 50€ geschuldet. Klare Benachteiligung der Kleinbauern zu Gunsten der Großen!
Bienen sind ob ihrer Bestäubungsleistung wichtigstes Glied in der pflanzenbezogenen Landwirtschaft. Leo Tiefenthaler fehlte bei der Südtiroler Imkerversammlung.
Allgemeine Beitragssituation: Unter einem Jahres-Umsatz von 7.000€ wird Landwirtschaft in Südtirol von vielen Förderungen ausgeschlossen. Allerdings werden Eu- Gelder nach den verschieden Bestanddatenbanken zugeteilt in denen auch die Kleinstbetriebe verpflichtend verrechnet sind. Der Betragstopf wird aber nur unter den Großen verteilt.
Siehe auch die Zugangsregelungsvorgaben zur aktuell beworbenen Förderung für Photovoltaikanlagen auf Dachflächen der landwirtschaftlichen Betriebsgebäuden.