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„Lebensgefühl und Einstellung“

Max von Pretz zu Reisen, jungem und gegenwärtigem Jazz, persönlichem Hörverhalten, Hintergrundmusik, sowie zur Geschlechter-Lücke in der gegenwärtigen Jazzlandschaft.
Max von Pretz
Foto: Günther Pichler
  • Am Fußballplatz mag die Abkürzung MVP für den wertvollsten Spieler („Most Valuable Player“) einer Partie oder Saison stehen, in Südtirols Jazzwelt macht sich ein recht junger MvP derzeit einen Namen: Max von Pretz, der 2022 gemeinsam mit Stefan Festini Cucco und Roberto Tubaro die künstlerische Leitung des Südtirol Jazzfestivals von Klaus Widmann übernommen hat. Der in Bozen geborene „Jazz-Narr“ wurde zudem vor Kurzem in den Vorstand des European Jazz Network gewählt. Morgen steht in der Brixner Dekadenz, deren Jazzabteilung von Pretz über hat, der Saisonauftakt mit dem „sweetlife“ Quartett der Österreicherin Yvonne Moriel auf dem Programm. Ein Gespräch über und um Jazz, nachdem sich der Jazz-Europäer nach Reisen wieder nach der „Bozen Standardtime“ richtet.

  • Max von Pretz: Kann mit dem Genrebegriff Jazz nicht allzu viel anfangen. Foto: Günther Pichler

    SALTO: Herr von Pretz, wenn es für Sie direkt von Spanien nach Tampere in Finnland geht, dann fühlt man sich im ersten Moment vielleicht neidisch. Sind das berufliche Reisen auf denen Kontakte geknüpft werden und ist das eher für das Jazzfestival oder die Dekadenz relevant?

     

    Max von Pretz: Zuerst war ich in Spanien im Urlaub, dann bin ich für das Südtirol Jazzfestival zum Tampere Jazz Happening geflogen. Dort steht Jazz im Fokus und es spielen viele finnische und internationale Bands. Das ist sicherlich interessanter für das Südtirol Jazzfestival, da in der Dekadenz das Booking diesbezüglich ein bisschen eingeschränkter ist, was das Budget und den Radius der Reisen anbelangt. Beim Festival kann man da etwas breiter blicken.

  • Abgesehen von den eher lokalen Künstlern fällt auf, dass das Line-up in der Dekadenz eher jung ist. Ist die Dekadenz in besonderer Weise geeignet um jungen Musikern einen Raum zu geben?

     

    Ich glaube nicht, dass die Dekadenz speziell für junge Künstler:innen interessant ist. Es ergibt sich mehr so durch meine Figur, da ich stark in der jungen, europäischen Jazzszene vernetzt bin und auch die Musik bringe, die mir gefällt und die aktuell ist. Das sind viele junge Musiker im Moment. Es freut mich auch, junge Künstlerinnen und Künstler auf die Bühne zu bringen, die dann gleichzeitig hoffentlich auch neues, junges Publikum anziehen sollten. Das ist in etwa der Plan und das funktioniert auch nicht schlecht.

     

    Sie sprechen an, dass es sich um Musik handelt, die Ihnen gefällt. Wäre es auch vorstellbar, etwa große Namen nach Südtirol zu holen, welche Sie persönlich nicht ansprechen?

     

    Grundsätzlich tue ich das nicht gern. Wenn ich nicht selbst von der Musik überzeugt bin, oder der Meinung bin, dass man etwas schon oft gehört hätte, dann buche ich es lieber nicht. Ich möchte schon gerne, dass es Musik ist, die mir auch gefällt und dass sie etwas fordernd ist. Vom Repetitiven will ich die Finger lassen. Mit großen Namen wäre es in der Dekadenz ohnehin schwierig. Wenn es ein tolles Projekt und die Qualität gegeben ist, dann müssen die Acts auch nicht zu 100 Prozent meiner Vorstellung entsprechen, aber ich würde nichts buchen bei dem ich sage: „Das gefällt mir nicht.“

     

    Ihre Arbeit ist in den letzten Jahren mehr und mehr ins Institutionelle gegangen. Sie sind jetzt Teil der Leitung des Südtirol Jazz Festival und haben die Gestaltung des Jazzprogramms in der Dekadenz über. Hat sich Ihr privater Musikkonsum auf der Streamingplattform Ihrer Wahl verändert? Hören Sie anders Musik?

     

    Ich höre grundsätzlich anders Musik seit ich beim Südtirol Jazz Festival 2013 ein Praktikum gemacht und diese Welt des zeitgenössischen Jazz massiv kennengelernt habe. Seitdem hat sich mein Hörverhalten definitiv verändert. Jetzt gerade benutze ich Streamingdienste nicht nur zur Recherche und zum Jazzhören, sondern auch viel im Hintergrund. Deswegen steht da meistens Funk-Musik an erster Stelle. Das ist Musik, die auch beim Arbeiten oder bei anderen Beschäftigungen nebenbei laufen kann. Aber der große Umschwung in meinem Hörverhalten war vor 10 Jahren.

     

    Jetzt gerade benutze ich Streamingdienste nicht nur zur Recherche und zum Jazzhören, sondern auch viel im Hintergrund. Deswegen steht da meistens Funk-Musik an erster Stelle.

     

    Wäre Funk auch etwas für die Dekadenz? Wäre es interessant, Musik, die oft nebenher läuft auf die Bühne zu stellen?

     

    Ja, das wäre definitiv spannend und ich versuche auch immer im Programm die Vielfalt, wie Jazzmusik heute interpretiert wird, auch zu zeigen. Da gehören auch etwa Funk und Blues dazu. Das muss nicht immer unbedingt ein Avantgarde-Projekt sein, sondern es muss in der Dekadenz alles seinen Platz finden. Das kann man am Programm, denke ich, relativ gut sehen, dass es vielfältig sein soll.

  • Tampere Jazz Happening: Jazz ist eines jener Genres, welches in den verschiedenen Ländern Europas jeweils eine gänzlich andere Kultur prägt. Foto: Max von Pretz
  • Sie haben gerade vom „Interpretieren“ des Jazz gesprochen. Mittlerweile ist Gegenwartsjazz als Begriff so weitläufig, dass sehr vieles darin Platz findet, zum Teil auch Projekte, die keine andere Schublade hätten. Was bedeutet nun „Jazz“ für Sie, was ist Ihre Interpretation?

     

    Die Frage wird relativ oft gestellt, was es auch nicht einfacher macht, sie zu beantworten. Ich sage dann immer, man spürt es, was Jazz ist, wenn man zu internationalen Jazzfestivals oder Jazz-Happenings fährt, auf denen sich die europäischen Jazzmenschen treffen. Da wird das zum Beispiel häufig nur noch als „creative music“ bezeichnet. Jazz ist mehr ein Lebensgefühl und eine Einstellung und das soll nicht beschränkt sein auf gewisse Schubladen. Es geht darum, kreativ zu sein und musikalisch Neues entdecken zu wollen, beim Spiel am Instrument, wie auch beim Komponieren. Diese Freiheit ist irgendwo Jazz, für mich.

     

    Wenn es aber so weit kommt, dass man sich damit einmal auseinandersetzt, dann gibt es meistens neue Wiederholungstäter.

     

    Würde es manchen Menschen in Südtirol gut tun, dieses Gefühl kennenzulernen?

     

    Definitiv. Es ist auch spannend zu sehen, dass auch Menschen, die weniger damit konfrontiert sind, was gerade im zeitgenössischen Jazz passiert, meistens wiederkommen, wenn sie sich einmal darauf einlassen. Das ist schön zu sehen. Wobei es da aber auch immer eine anfängliche Barriere zu dem bösen Wort mit vier Buchstaben gibt. Wenn es aber so weit kommt, dass man sich damit einmal auseinandersetzt, dann gibt es meistens neue Wiederholungstäter.

  • Yvonne Moriel: Beim jungen sweetlife-Quartett erhält die Wiener Saxophonistin Unterstützung von Lorenz Widauer (Trumpet) und Stephanie Weninger (Moog und Keyboard), sowie von Raphael Vorraber (Schlagzeug). Foto: Alex Gotter

    Wenn wir vom Eröffnungskonzert der Saxophonistin Yvonne Moriel sprechen, dann kommt ein weiteres, selteneres Wort mit vier Buchstaben im Programm vor: Moog. Welchen Sound kann man sich mit einem Moog-Synthesizer erwarten und wie spielt das zusammen?

     

    Das spielt insofern zusammen, dass Moog und Keys da teilweise als Bassinstrument fungieren, da in der Band kein Bassist vorgesehen ist. Stephanie Weninger spielt da fantastische Baselines. Das hat viel von Dub, diese Musik und ist sehr sehr groovig und ist ein Schlüsselement dieses Projekts.

  • Wie weiblich ist Gegenwarts-Jazz? Ich schätze, Sie und die Dekadenz sind da sicher bemühter als manch anderer Jazzveranstalter im Land, dennoch gibt es im Programm viele Formationen, die rein männlich sind.

     

    Ich würde sagen, der Gegenwartsjazz wird immer weiblicher, auch durch ein gewachsenes Bewusstsein und viele Seminare zur Gender-Balance, die europaweit auf den wichtigeren Konferenzen. Es entsteht mehr und mehr Bewusstsein dafür, dass es wichtig ist, diese Projekte zu fördern und nicht immer männlich zu buchen. Es gibt, zum Beispiel, vom Europe Jazz Network ein Gender-Manifest, das die Mitglieder unterschrieben haben und das besagt, dass man sich bemühen sollte, eine Gender-Balance herzustellen. Ich bemühe mich da jedenfalls auch, dass das Programm im Geschlechterverhältnis möglichst ausgeglichen ist und das wird immer mehr ein Thema und immer mehr Veranstalter und Veranstalterinnen machen da mit und bemühen sich in der Recherche. Genauso gibt es immer mehr Bands die darauf achten, dass da nicht wieder sieben Männer sind, sondern dass schöne Diversität einen Raum hat um zu passieren.

     

    Sie haben das Europe Jazz Network erwähnt, in dessen Direktiv Sie vor eineinhalb Monaten gewählt wurden, Gratulation hierzu. Wie kann man sich dessen Tätigkeit vorstellen?

     

    Das Europe Jazz Network organisiert diverse Projekte und es sind europaweit die allermeisten größeren Festivals, Agenturen und Förderinstitutionen beim Netzwerk Mitglied. Einmal im Jahr treffen sie sich fast alle bei der European Jazz Conference (heuer 14. bis 17. September, in Marseille, Anm. d. Red.), wo Diskussionsveranstaltungen, Vorträge und die Jahreshauptversammlung stattfinden. Darüber hinaus gibt es diverse Plattformen, über die etwa Künstleraustausch oder nachhaltige Touren für Bands organisiert werden, oder etwa auch Seminare zur sozialen Inklusion. Es gibt jede Menge Projekte an denen Mitglieder teilnehmen und sich weiterbilden können.

     

    Ich bemühe mich da jedenfalls auch, dass das Programm im Geschlechterverhältnis möglichst ausgeglichen ist und das wird immer mehr ein Thema und immer mehr Veranstalter und Veranstalterinnen machen da mit und bemühen sich in der Recherche.

     

    Sie haben erwähnt, dass in den letzten Jahren viel getan wurde für eine bessere Durchmischung im Jazz. Es gibt viele Stimmen, die davon ausgehen, dass das im künstlerischen Bereich ein Selbstläufer wäre, dass sich irgendwann die Gender-Gap von alleine schließt. Glauben Sie das, oder glauben Sie, dass es diese Arbeit gebraucht hat und vielleicht noch weiter braucht?

     

    Ich halte das für sehr wichtig. Da muss weiter und weiter Aufklärungsarbeit stattfinden, weil nach wie vor im Jazz in Europa - und ich denke auch außerhalb - die allermeisten Künstlerischen Leitungen aus Männern bestehen. Meistens sind es weiße Männer und Männer fortgeschrittenen Alters. Da ist es extrem wichtig, dass diese Arbeit gemacht wird und Menschen damit konfrontiert werden.

     

    Mir fällt da eine Südtiroler Jazz Institution ein, die von drei weißen Männern geleitet wird, wenn auch nicht von alten. Wäre das für das Südtirol Jazzfestival in Zukunft sinnvoll, in den nächsten Jahren an der Spitze für einen Wechsel zu sorgen und zu sagen: „Wir werden diverser“?

     

    Das ist sicherlich grundsätzlich erstrebenswert, aber nicht immer ganz einfach. Das ist ganz klar und hat sich so ergeben, weil wir - als drei weiße Männer - involviert waren, über viele Jahre. Wir haben auch im Vorstand, der geschlechtermäßig ausgeglichen ist, Frauen mit dabei, die ganz aktiv mitarbeiten. Definitiv kann es spannend sein, wenn da auch Frauen ganz vorne mit dabei sind und das ist keineswegs ausgeschlossen. Es ist momentan, wo gerade die Übergabe passiert ist und wir erst ein Festival zusammen gemacht haben, nicht ganz leicht. Man wird sehen, was die Zukunft bringt, das wäre jedenfalls wünschenswert.

  • Jazz Termine in der Dekadenz Brixen:

    9.11. yvonne moriel .. sweet life (AT)

    16.11. Deadeye (UK, NL, DE)

    23.11. A Million O Clock (RSA, CH)

    30.11. June In October (AT)

    Beginn ist jeweils um 20 Uhr.