Politics | Bezirksgemeinschafte
Die vergessene Opposition

Foto: Bzg Vinschgau
„Wenn ich mir die Zahlen anschaue, dann komme ich zu einem klaren Schluss“, sagt Riccardo Dello Sbarba. Der grüne Landtagsabgeordnete hat zusammen mit seinen Fraktionskolleginnen Brigitte Foppa und Hanspeter Staffler im Landtag eine Anfrage zu den Bezirksgemeinschaften eingebracht, die von besonderer, politischer Brisanz ist. „Ich bin gespannt, wie man diese Situation rechtfertigen wird“, sagt Dello Sbarba zu Salto.bz.
Das Timing der Oppositionspartei ist dabei perfekt. In diesen Wochen erfolgt landesweit die Erneuerung der Gremien in den sieben Südtiroler Bezirksgemeinschaften. Es ist einer Folge der Gemeinderatswahlen. Die einzelnen Gemeinden ernennen ihrer Vertreter, die in den Bezirksrat entsandt werden, aus dem dann sowohl der Präsident der Bezirksgemeinschaft, wie auch die Mitglieder des Bezirksausschusses gewählt werden. Es geht dabei um die Gremien der Amtsperiode 2020 – 2025.
Ausgerechnet in dieser entscheidenden Phase werfen die Südtiroler Grünen aber eine Grundsatzfrage auf, die die politischen Planspiele nachhaltig durcheinanderwerfen könnte.
Die Theorie
Die Bezirksgemeinschaften sind Körperschaften des öffentlichen Rechts im Sinne des Artikels 7 des Dekretes des Präsidenten der Republik vom 22. März 1974, Nr. 279 und wurden zu dem Zweck errichtet, ganz oder teilweise in Berggebieten liegende Flächen aufzuwerten und dort den Umweltschutz voranzutreiben, indem die Beteiligung der Bevölkerung an der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Entwicklung gefördert wird. Die gesetzliche Grundlage bildet das Landesgesetz Nr. 7 „Ordnung der Bezirksgemeinschaften vom 20. März 1991".
In ihrer Landtagsanfrage verweisen die Grünen jetzt auf zwei Artikel, die in diesen beiden gesetzlichen Säulen, auf denen die Bezirksgemeinschafen fußen, enthalten sind. So heißt in Absatz 3 von Artikel 7 im Dekrete des Ministerpräsidenten von März 1974:
“L'organo deliberante sarà costituito da membri eletti dai consigli comunali, assicurando la partecipazione delle minoranze. Per quanto attiene alla provincia di Bolzano, la partecipazione sarà assicurata compatibilmente con l'osservanza delle speciali norme relative alla rappresentanza dei gruppi linguistici.”
Noch deutlicher wird diese Regelung im Landesgesetz festgeschrieben. Dort heißt es:
Der Bezirksrat besteht aus:
-
den Bürgermeistern der angeschlossenen Gemeinden oder einer von diesen delegierten Person,
-
einem zusätzlichen Vertreter der Gemeinden zwischen 5.001 und 10.000 Einwohnern,
-
zwei zusätzlichen Vertretern der Gemeinden mit über 10.000 Einwohnern.
Sollte das Sprachgruppenverhältnis damit nicht eingehalten sein, stellen jene Gemeinden zusätzliche Vertreter, welche den höchsten Bevölkerungsanteil dieser Sprachgruppe haben. Die zusätzlichen Vertreter werden von den jeweiligen Gemeinderäten gewählt und können auch unter den Bürgern ausgewählt werden, die zwar nicht Gemeinderäte sind, aber alle Voraussetzungen haben, um als Gemeinderat gewählt zu werden. Dabei ist die Beteiligung der politischen Minderheiten unter Beachtung von Artikel 7 Absatz 3 des Dekretes des Präsidenten der Republik vom 22. März 1974, Nr. 279, zu gewährleisten.“
Die Praxis
Wie diese Beteiligung der politischen Minderheit in den sieben Südtiroler Bezirksgemeinschaften aber in Wirklichkeit ausschaut, macht ein Blick auf die derzeit noch amtierenden Bezirksräte deutlich.
Der Rat der Bezirksgemeinschaft Überetsch-Unterland hat 23 Mitglieder. Davon gehört seit über drei Jahren genau eine Rätin der politischen Minderheit an: die Leiferer PD-Exponentin Debora Pasquazzo. Auch die beiden Branzoller Gemeinderäte Giorgia Mongillo Bona und Alvaro Picelli saßen bei ihrer Ernennung 2015 in ihrer Gemeinde in der Opposition. Im Frühjahr 2017 wurde Mongillo aber Bürgermeisterin in Branzoll, spätestens damit kann man beide nicht mehr zur politischen Minderheit rechnen. Bezeichnend für die Gangart: Unter den 15 deutschsprachigen Mitgliedern des Bezirksrates gibt nicht einen einzigen Vertreter einer politischen Minderheit.
Auch in der Bezirksgemeinschaft Salten-Schlern präsentiert sich dasselbe Bild. Dort hat der Bezirksrat 17 Mitglieder. Der Karneider Stefano Casassa ist darunter nicht nur der einzige Italiener, sondern auch der einzige Vertreter einer Nichtregierungskraft in den dazugehörenden Gemeinden. Ähnlich in der Bezirksgemeinschaft Burggrafenamt. Auch hier sind unter den 34 Bezirksräten ausgerechnet die zwei einzigen Vertreter einer politischen Minderheit die zwei italienischsprachigen Räte Walter Taranto (Civica per Merano) und die Lananer PD-Gemeinderätin Giulia Grendene.
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Im Rat der Bezirksgemeinschaft Vinschgau sitzt unter 16 Mitgliedern mit dem Schlanderser Gemeinderat der Südtiroler Freiheit Erhard Alber ein Vertreter der politischen Minderheit. Ebenso in der Bezirksgemeinschaft Eisacktal. Die Brixner Grüne Elda Letrari ist dort unter 16 Mitgliedern die einzige Vertreterin der Opposition. Wobei Letrari bereits in der Amtsperiode davor in den Bezirksrat gewählt wurde, damals aber als Stadträtin.
Noch deutlicher wird das Missverhältnis im Pustertal. Dort sitzen im Bezirksrat 33 Mitglieder. Nur einer davon gehörte wenigstens bis zu einem Austritt aus den Freiheitlichen einer kommunalen Oppositionspartei an: Bernd Ausserhofer.
Das Wipptal hat den kleinsten Bezirksrat. Unter sieben Mitgliedern sitzt mit der Lega-Gemeinderätin Hanaa Ali eine Vertreterin der politischen Minderheit im Gremium der Bezirksgemeinschaft.
Gesetzeskonform?
Tatsache ist, von insgesamt 150 Mitgliedern in den Räten der sieben Südtiroler Bezirksgemeinschaften, gehören keine zehn der politischen Minderheit an. Die deutschsprachigen Oppositionsparteien stellen südtirolweit genau 3 Mitglieder.
„Wir möchten jetzt wissen“, sagt Riccardo Della Sbarba, „ob diese Praxis der Auslegung des Gesetzes entspricht."
Die Grünen zeichnen in ihrer Anfrage am Beispiel Eppan nach, wie es nicht gehen darf. Die Überetscher Großgemeinde entsendet gleich drei Vertreter in den Bezirksrat. Zwischen 2015 und 2020 waren das Bürgermeister Wilfried Trettl und Referentin Monika Hofer-Larcher (beide Bürgerliste) sowie Vizebürgermeister Massimo Cleva (PD). „In diesem Fall muss der Gemeinderat mindestens einen Vertreter ernennen, der nicht der Mehrheit angehört“, argumentieren die Grünen.
Dass diese Schieflage bisher niemandem aufgefallen ist, liegt auch daran, dass man alles, was nicht SVP ist, in diesem Land automatisch der politischen Minderheit zuordnet. Auch dann, wenn eine Bürgerliste seit Jahren in einer Gemeinde regiert.
Dem Gesetz dürfte diese Praxis aber kaum entsprechen. In diesen Tagen hat man die Chance diesen Missstand zu beheben.
Ob man sie aber nutzt, darf bezweifelt werden.
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