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"Uni muss konkreten Nutzen bringen"

Seit Montag ist der erste italienische Rektor der Freien Universität Bozen offiziell im Amt: Paolo Lugli über seinen Weg nach Bozen und eine längst fällige Bringschuld.
Paolo Lugli
Foto: unibz

Salto.bz: Herr Prof. Lugli, was verschlägt einen Professor für Nanotechnologie von einer Hochburg der technischen  Forschung und Lehre wie der TU München an eine - sagen wir - Nischenuni wie Bozen?
Paolo Lugli: Ja, ich weiß das ehrlich gesagt selbst nicht ganz (lacht). Ich hatte eigentlich nicht geplant, von München wegzugehen, weil ich dort total zufrieden war. Lange Zeit hätte mich eine solche Aufgabe auch nicht wirklich interessiert, denn ich wollte nur forschen, um die Welt reisen und Studenten betreuen. Doch dann war ich zwei Jahre Dekan einer riesigen Fakultät, jener für Elektrotechnik und Informationstechnik an der TU München. Und dort habe ich erlebt, dass mir eine solche Führungsaufgabe doch relativ liegt und ich das gerne mache. Die Erfahrungen, die ich dabei Zusammenspiel mit dem dortigen Präsidenten Prof. Wolfang Hermann und anderen Dekanen gemacht habe, haben mir aber dann auch gezeigt, dass Führung zwar gut ist, aber wenn schon dann am besten dort, wo niemand mehr darüber steht (lacht).

Und dann sind Sie auf die Ausschreibung einer Stelle gestoßen, die ganz oben steht?
Ja, das ist eine lustige Geschichte. Vor rund zehn Jahren habe ich zu meiner damaligen Sekretärin mal im Scherz gesagt, wenn ich hier in Bayern mal in Pension gehe, werde ich Rektor an der Uni Bozen.

Das heißt, Sie kannten die Uni Bozen damals schon?
Von der Uni wusste ich sehr wenig, vor allem gab es damals noch keine technische Fakultät. Doch ich hatte immer schon enge Beziehungen zur Uni in Trient und ich hatte auch einige Verbindungen zu Südtirol. Zum Beispiel mit Walter Huber zum Thema Wasserstoff oder mit der Firma Leitner. Also ich kannte die Gegend hier schon ein wenig. Aber das mit dem Rektor war damals wirklich vor allem so dahin gesagt – vielleicht, weil mich auch die Möglichkeit reizte, meine Muttersprache mehr zu sprechen und meine Dreisprachigkeit nutzen zu können. In jedem Fall kam meine ehemalige Sekretärin im vergangenen Mai auf mich zu und sagte: Hast Du gesehen, dass sie nun an der Uni Bozen einen Rektor suchen, das wolltest du doch mal werden... Ich selbst hatte die Ausschreibung nicht einmal gesehen gehabt. Und nachdem ich in meinem Leben noch nie gelernt habe, Nein zu sagen, bin ich nun hier.

Obwohl Sie in Bayern noch nicht in Pension gegangen sind?
Nein. Doch ich wurde letztes Jahr 60 Jahre alt und in Bayern muss man bereits mit 66 Jahren in Rente gehen. Darauf hatte ich keine Lust. Das ist ein weiteres Plus von Bozen, wo man bis 70 arbeiten kann, da habe ich gleich vier Jahre gewonnen.

Viele andere Menschen streben genau in die umgekehrte Richtung...
Ich weiß, ich weiß, ich werde auch oft schief angesehen, wenn ich das sage.  

Sie hatten am Montag Ihren ersten offiziellen Arbeitstag, waren jedoch bereits in den vergangen Monaten rund einmal die Woche hier. Trauen Sie sich bereits eine Stärke-Schwäche-Analyse der Freien Universität Bozen zu?
Ich kann sicher keine große Analyse machen, vor allem Brixen und Bruneck kenne ich noch zu wenig. Doch ich habe schon gesehen, wie an der Universität gearbeitet wird, haben etwas von der Wechselwirkung zwischen Provinz und Universität mitbekommen, mit einigen Unternehmen zu tun gehabt... Das heißt, ein Gefühl habe ich schon bekommen.

"Als Schwäche sehe ich, dass die Uni finanziell zu stark von der Provinz abhängt und relativ wenig externe Mittel hat. Das kann man sicher verbessern. Genauso wie die Zusammenarbeit mit der Industrie, die nicht so eng ist, wie sie sein sollte und könnte."

Und ich welche Richtung geht das?
Wenn wir mit den Stärken beginnen: Es ist eine sehr dynamische, kleine und übersichtliche Universität, was ich als jemand, der die Leitung übernehmen soll, besonders positiv finde. Die Entwicklung geht langsam genug würde ich sagen, im Sinne, dass keine großen unrealistischen Projekte geplant sind und die Universität versucht, sich auf Bahnen zu bewegen, die nachhaltig sind und was bringen. Hier hat Rektor Lorenz eine riesige Leistung gebracht, genauso wie Präsident Bergmeister, den ich sehr schätze. Als Schwäche sehe ich dagegen, dass die Uni finanziell zu stark von der Provinz abhängt und relativ wenig externe Mittel hat. Das kann man sicher verbessern. Genauso wie die Zusammenarbeit mit der Industrie, die nicht so eng ist, wie sie sein sollte und könnte.

Diese Kritik der Wirtschaft begleitet  die Universität seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten. Sind hier die Erwartungen der Wirtschaft zu hoch oder die Bereitschaft zur Kooperation an der Uni tatsächlich zu klein?
Es ist kein einfaches Thema, ich kenne das auch aus meiner langjährigen Erfahrung. So eine Zusammenarbeit ist eine Sache des Vertrauens, sie liegt auch ein wenig außerhalb der gewöhnlichen Realität von Uniprofessoren. Doch es gehört einfach zu ihrer Arbeit dazu, noch dazu an einer Universität, die komplett von der Provinz, vom Territorium finanziert wird. Ich glaube also schon, dass die Universität hier etwas leisten muss,  vor allem Fakultäten wie Wirtschaft, Informatik oder Wissenschaft und Technik müssen einfach mit der Industrie zusammenarbeiten. Es beeindruckt mich auch sehr, wenn ich in Gesprächen mit Unternehmern hier spüre, wie groß die Erwartung und Bereitschaft ist, mit der Uni gemeinsam etwas zu machen.

Haben Sie das Gefühl, hier mit Ihren Kompetenzen und Erfahrungen in München endlich zu einen spürbaren Schritt vorwärts beitragen zu können?
München ist dafür ein exzellentes Vorbild, dort wird seit Jahren das Konzept der unternehmerischen Universität gelebt. Das heißt einerseits, dass die Uni verwaltungsmäßig wie ein Unternehmen organsiert sein muss, mit der gleichen Logik und Konsequenz, mit der selben Transparenz und Effizienz. Das ist  bekanntlich bei Universitäten nicht immer der Fall. Auf der anderen Seite lebt man an der dortigen TU auch die Philosophie, dass eine Uni Treibkraft für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region sein muss und kann, ihr also einen konkreten Nutzen bringen muss. Diesbezüglich gibt es einen riesigen Unterschied zwischen Bayern und ganz Italien, also eben auch Südtirol.

Wo macht sich der konkret bemerkbar?
Meine Doktoranden zum Beispiel, die drei Jahre auf ein PhD hinarbeiten, werden in Bayern schon während ihres Doktorats von der Industrie angeworben, da ist es oft richtig schwierig, sie zu halten. Doch die deutsche Industrie ist eben auch deshalb so stark, weil sie auf solche Leute setzen. Unternehmen wie Siemens, BMW oder wie sie alle heißen, wollen vor allem solch hochqualifizierte Leute, während in Italien kaum ein Unternehmen einen Doktoranden sucht. Die haben auch nicht so ein Niveau, das ist eben der Teufelskreis.  Wenn ich dagegen in München 20 Doktoranden betreue, leiste ich einen konkreten Beitrag für die Wirtschaft, weil diese Leute dort extrem gesucht werden.

"Mein Fokus war es in den vergangenen Jahren immer, eine sehr starke Zusammenarbeit mit Unternehmen zu suchen, Produkte und Patente zu entwickeln, die Gründung von Start-ups zu fördern. Mir geht geht es hier vor allem um eine Kultur, dass die Sachen, zu denen geforscht wird, auch einen konkreten Nutzen haben – ob in sozialer, wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Hinsicht."

Wie konkret kann Paolo Lugli sich aber nun für die Freie Universität Bozen einbringen. Sie wollen auch lehren, hört man?
Ja, ich werde auch einige Doktorandenseminare übernehmen, doch das wird nur ein sehr kleiner Teil meiner Aktivität sein. Viel mehr noch werde ich versuchen, hier mit Doktoranden und Assistenten meine Forschung weiterzutreiben. Vielleicht anfangs noch nicht in einem solchen Umfang wie in München. Doch ich glaube, es gibt viel Potential. Ich denke da zum Beispiel an Themen wie intelligente Textilien, wo es in Jacken oder auf der Haut Sensoren gibt, die Körperfunktionen messen, oder an Fenster mit transparenten Solarzellen. Es gäbe noch tausend andere Beispiele für die Industrie und den Bereich Umwelt, von der Beobachtung der Berge bis hin zum Agrifood. Mein Fokus war es in den vergangenen Jahren immer, eine sehr starke Zusammenarbeit mit Unternehmen zu suchen, Produkte und Patente zu entwickeln, die Gründung von Start-ups zu fördern. Mir geht geht es hier vor allem um eine Kultur, dass die Sachen, zu denen geforscht wird, auch einen konkreten Nutzen haben – ob in sozialer, wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Hinsicht.

Ihre Berufung wird also nicht nur Unternehmer, sondern auch vor allem die Fakultäten für Naturwissenschaften und Wirtschaft freuen. Denken Sie, die verdienen auch mehr Beachtung, nach Ihren Vorgängern, die zuletzt alles aus den Geistes- bzw. Sozialwissenschaften kamen?
So sehe ich das nicht. Ich kann genau das einbringen, wo seit 30 Jahren mein Herz und meine Erfahrung liegen. Dafür kann ich eben im Vergleich zu einem Professor Lorenz sehr wenig über Psychologie, Soziologie oder Geisteswissenschaften sagen. Dort muss ich nun noch lernen. Das heißt aber nicht, dass ich davon nicht begeistert bin oder diesen Fakultäten nicht dieselbe Wichtigkeit einräume wie der Informatik oder den Naturwissenschaften. Vor allem aber möchte ich noch eine viel stärker Vernetzung zwischen den Fakultäten erreichen. Auch hier gibt es auf der TU München ein Vorbild, mit interdisziplinären Centers, wo Soziologen oder Pädagogen mit Wissenschaftlern zusammenarbeiten.

Wie könnte eine solche Zusammenarbeit an der Uni Bozen aussehen?
Spontan fällt mir dazu der Bereich E-Learing ein. Was wir hier in den Hörsälen frontal an Studenten vermitteln, könnte man heute auch über Internet verbreiten, da geben die Amerikaner schon den Trend vor. In Brixen gibt es dazu auch erste Ansätze, die aber sicher noch ausbaubar sind. Doch in Brixen könnten genauso gut Auswirkungen bestimmter technologischer Entwicklungen aus ethischer oder nachhaltiger Sicht untersucht werden. Genauso wie sich die Kreativen der Fakultät für Design noch viel stärker in der Wissenschaft einbringen könnten und so weiter.

Sie kennen als Italiener das deutsche wie das italienische Wissenschaftssystem. Haben Sie nicht die Befürchtung, dass Ihnen auch hier in Bozen so manche Prügel in den Weg gelegt werden, die Ihnen in Deutschland erspart bleiben. 
Ja, ich war 15 Jahre in Rom tätig, und ich habe in der Zwischenzeit wohl ein wenig verdrängt, was das heißt. Also, ich liebe das deutsche System und die dortige Freiheit und Gestaltungsmöglichkeit, in Deutschland merkt man vom Ministerium wirklich sehr wenig. Insofern wird es nun schon ein Schritt zurück sein – ein Schritt zurück in die Zukunft, mit Stempelmarken und größeren bürokratischen Hürden.

Sie sind der erste Italiener auf dem Rektorenstuhl der Freien Universität Bozen. Hat das für Sie eine Bedeutung oder bringt es eine besondere Verantwortung?
Überhaupt nicht. Ich fühle mich vor allem als citizen of the world. 

Und was macht dieser Weltenbürger, wenn er den heutigen Pressemarathon hinter sich hat?  Gibt es ein erstes großes Projekt, das Sie nun angehen möchten?
Nein, ich schätze, die ersten Monate werde ich einfach lernen und mit Leuten reden. Doch gleichzeitig will ich auch beginnen,  erste Projekt umzusetzen, wenn sich Möglichkeiten bieten – so wie bereits am Montag Abend beim Empfang des Unternehmerverbandes.