Society | Kinder/Jugendliche
Äußerst starke Belastung

Foto: upi
Kinder und Jugendliche sind seit Beginn der Coronapandemie mit massiven Veränderungen in ihrem Alltag konfrontiert. In der Online-Umfrage COPSY-Südtirol, im Mai und Juni 2021 vom Institut für Allgemeinmedizin und Public Health durchgeführt, wurden jetzt erstmals empirsche Daten im Land dazu erhoben.
Die Studie mit dem Titel „Psychosoziale Gesundheit von Südtiroler Kindern und Jugendlichen im Corona-Frühsommer 2021“ wurde von den drei Schulämtern des Landes, von der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf und vom Psychologischen Dienst des Südtiroler Sanitätsbetriebes unterstützt. Insgesamt haben sich 6.958 Eltern an der Umfrage beteiligt. Die 5.159 von Eltern ausgefüllten und auswertbaren Fragebögen wurden durch 2.331 Schüler-Fragebögen ergänzt.
„Es war dem Institut für Allgemeinmedizin in Bozen wichtig, eine Gesamtuntersuchung zur psychosozialen Situation von Kindern und Jugendlichen auch in Südtirol durchzuführen,“ betont Adolf Engl, der Präsident des Instituts.
Die Lebensqualität
„Das Ziel dieser Onlineumfrage war es, die Auswirkungen der einschneidenden Veränderungen durch die Pandemie auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität und die psychische Gesundheit der Schülerinnen und Schüler in Südtirol zu untersuchen“, sagt Verena Barbieri, Leiterin der COPSY-Südtirol 2021 Studie und Statistikerin am Institut für Allgemeinmedizin und Public Health in Bozen.
Laut den Studienergebnissen ist der allgemeine Gesundheitszustand der Schülerinnen und Schüler in Südtirol sehr gut. Ein bedenkliches Bild ergibt sich jedoch bei der Betrachtung der psychischen Situation der Kinder und Jugendlichen. 33 Prozent der direkt befragten Schüler und Schülerinnen gaben an, dass ihre Lebensqualität im Befragungszeitraum niedrig war.
Ein Vergleich mit internationalen Daten aus der Zeit vor der Pandemie ergibt eine Verdoppelung der Anzahl von Jugendlichen, welche unter niedriger Lebensqualität leiden. Bei der Onlinebefragung für COPSY-Südtirol 2021 bewerteten die Schüler selbst, sowie deren Eltern, ihre Lebensqualität niedriger.
Starke negative Einflussfaktoren dafür waren die Art des Wohnraums und die berufliche Belastung der Eltern. 48 Prozent der Jugendlichen, deren Eltern angaben, die Belastung durch eine pandemiebedingte berufliche Veränderung äußerst stark zu spüren, empfanden ihre Lebensqualität als beeinträchtigt. Kinder von Alleinerziehenden gaben ebenfalls häufiger eine niedrige Lebensqualitä t an (36%) sowie Kinder, welche ohne Balkon, Terrasse und Garten wohnen (43%).
Auffälliges Verhalten?
Zudem bestätigt die Studie weitere negative Auswirkungen der Pandemie, darunter ein vermehrtes Auftreten von psychosozialen Verhaltensauffälligkeiten und Angststörungen der Schülerinnen in wichtigen Lebensbereichen. 31 Prozent der Schüler und Schülerinnen wurden von ihren Eltern als „auffällig im Verhalten“ eingestuft.
Verhaltensprobleme und Angststörungen haben während des bisherigen Pandemieverlaufes um mindestens ein Drittel zugenommen.
In diesem Zusammenhang konnte bei Verhaltensproblemen allgemein (32%), wie auch bei Verhaltensproblemen im Umgang mit Gleichaltrigen (28%), ein klarer pandemiebedingter Anstieg festgestellt werden. Es ist also anzunehmen, dass Verhaltensprobleme und Angststörungen während des bisherigen Pandemieverlaufes um mindestens ein Drittel zugenommen haben. Im Verhalten waren Mädchen weniger auffällig als Buben, bei den Angststörungen ist die umgekehrte Beobachtung gemacht worden.
Der Medienkonsum
Seit Beginn der Pandemie ist der Konsum von digitalen Medien unter Kindern und Jugendlichen – sowohl im schulischen als auch im Freizeitbereich – stark gestiegen. „Vor allem Oberschüler und Kinder von Alleinerziehenden wiesen einen sehr großen Anstieg im Medienkonsum auf“, beobachtet die Statistikerin Verena Barbieri. 70 Prozent aller Eltern (80% der Eltern von Jugendlichen) gaben an, dass ihre Kinder mehr Zeit im Netz verbrachten als vor der Pandemie. 33 Prozent der Eltern (44% der Eltern von Jugendlichen) gaben sogar an, dass es viel mehr Zeit war. Die befragten Jugendlichen selbst schätzen ihren Medienkonsum, in beiden Fällen, niedriger ein als ihre Eltern.
Laut eigenen Aussagen verbrachten 29 Prozent der Kinder und Jugendlichen mehr als drei Stunden täglich vor dem Smartphone oder dem Tablet – und das häufiger für private Angelegenheiten als für schulische Aktivitäten. Am höchsten war der Medienkonsum bei Oberschüler und Oberschülerinnen sowie bei Mädchen und Kindern von Alleinerziehenden. Am niedrigsten fiel der Medienkonsum laut Umfrage hingegen bei Mittelschülern und Buben aus.
Die Stimmung in der Familie
Weiters weist die Studie deutlich auf die gesellschaftlich zentrale Funktion der Familie hin. Gerade in Krisenzeiten ist die Familie für Kinder und Jugendliche der wichtigste Bezugspunkt und sie gibt ihnen den größten Halt. Die Schulschließungen wurden von mehr als 50 Prozent der Eltern und Schülern als belastend empfunden, als besonders schwerwiegend wurde die Kombination aus Fernunterricht der Kinder und Smartworking der Eltern eingestuft.
„Internationale Untersuchungen befassten sich auch mit den Eltern selbst und haben gezeigt, dass es durch die Pandemiemaßnahmen auch zur Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit gekommen ist, woraus sich – wie in einem Teufelskreis – zusätzliche Risiken für die psychosoziale Gesundheit der Schüler und Schülerinnen ergeben“, hält Christian Wiedermann fest. Der Innsbrucker Primar ist Mitarbeiter des Studienteams COPSY-Südtirol 2021.
In der Onlineumfrage haben knapp 60 Prozent der Eltern in allen Schulstufen den Wunsch nach Unterstützung geäußert. Eltern von Grundschülern äußerten diesen Wunsch häufiger als Eltern von Oberschülern. Insgesamt gaben die befragten Eltern an, vor allem im Umgang mit schulischen Anforderungen (55%) und im Umgang mit Gefühlen und Stimmungen des Kindes (48%), ein Unterstützungsangebot zu begrüßen. Dieses Angebot soll, laut Umfrage, in erster Linie von der Schule bzw. von Lehrkräften und Expertinnen bereitgestellt werden.
Die Handlungsvorschläge
„Familienfreundliche Lösungen und die größtmögliche Schulöffnung sind unerlässlich, da sich Smartworking, Berufstätigkeit und Fernunterricht schwer vereinbaren lassen“, resümiert Verena Barbieri. Entscheidend für die Bewältigung der psychosozialen Herausforderung für Kinder und Jugendliche sowie für ihre Familie ist weiters ein niederschwelliger Zugang zu Expertenwissen, Beratung und Behandlung.
Wegen des steigenden Medienkonsums müssten Lehrerinnen und Lehrer für die Vermittlung eines sinnvollen Umgangs mit digitalen Medien sensibilisiert und weitergebildet werden. Alle Lösungsvorschläge fordern eine unmittelbare Umsetzung, nur so könne dem Anstieg von langfristigen psychischen Schwierigkeiten entgegengewirkt werden.
Die Untersuchungsergebnisse sind bereits im Dezember 2021 den Schulämtern und zuständigen Ressorts der Landesregierung vorgestellt worden – Ergebnisse, die auch für Südtirol das hohe Maß an Belastung, welches die Pandemie für Kinder und Jugendliche mit sich gebracht hat, bestätigen. „Wir hoffen, dass die ableitbaren Erkenntnisse zur Weiterentwicklung von Entlastungs- und Unterstützungsmaßnahmen beitragen können“, so der Präsident des Institutes für Allgemeinmedizin Adolf Engl.
Den Ergebnissen der Umfrage nach, dürfte eine vergleichende, zweite Onlineumfrage unter Eltern und Schüler und Schülerinnen sinnvoll sein, um die psychosoziale Gesundheit auch im weiteren Verlauf der Pandemie abzubilden.
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