Nightmare Alley
Der größte Feind des Menschen ist letzten Endes der Mensch selbst. Diese Lehre könnte man ziehen, sieht man sich den neuen Film des mexikanischen Regisseurs Guillermo del Toro an. Und es verwundert nicht, erzählt der Filmemacher mit seinem Faible für das Obskure und Makabere, für die fantastischen Monster und Kreaturen, doch zumeist vom Bösen im Menschen. Die auf den ersten Blick schaurigen Wesen, wie etwa jene aus „Pans Labyrinth“ oder „The Devil´s Backbone“ sind in den meisten Fällen nicht die Antagonisten, nicht das Böse, welches den Menschen zugrunde richtet, vielmehr ist es der Mensch selbst, dem das Böse eigen ist, das in ihm lebt und sich von ihm ernährt, ihn jedoch im selben Moment selbst am Leben erhält. Die Monster bekommen die Hässlichkeit des menschlichen Wesens nur allzu oft zu spüren, man denke etwa an die Fischkreatur aus „Shape of Water“. Nun verzichtet del Toro in seinem neuen Werk völlig auf das Fantastische, zumindest wenn man es, so wie bei ihm als selbstverständlich angesehen, im wörtlichen Sinne versteht. In „Nightmare Alley“ geschehen sonderbare Dinge, das ist sicher, und auch die Magie ist scheinbar mit von der Partie, doch anders als im restlichen Werk des Regisseurs oftmals durchexerziert, wird das Übernatürliche hier inszeniert. Es ist nicht echt, sondern bloß eine Illusion – „Nightmare Alley“ definiert das Konzept Kino anhand seiner Prämisse.
Bradley Cooper spielt Stanton, einen Mann, der mehr oder minder durch Zufall auf einen fahrenden Jahrmarkt trifft, dort anheuert und in die faszinierende Welt der Heimatlosen eintaucht. Hier gibt es Wahrsagerinnen, Riesen und Zwerge, Magier und den sogenannten „Geek“, ein Wesen zwischen Mensch und Biest. Vor allem lebt der Jahrmarkt vom Betrug, dem Betrug am Publikum, welches einer Illusion verfällt. Stanton taucht immer weiter ein in diese sonderbare Parallelwelt, er lernt ihre Regeln kennen und begibt sich auf einen Weg, der ihn in große Schwierigkeiten bringt. Er selbst wird zum Trickbetrüger, und er ist bereit, die Grenzen des guten Geschmacks auszuloten, dem Geld und dem Ruhm zuliebe.
Guillermo del Toro versteht es, Welten zu erschaffen, die Zuschauer in diese Welten zu ziehen und zu bannen. Der Filmemacher präsentiert auch in diesem Film erneut eine detailreiche Milieustudie, deren Antlitz von erhabener Schönheit ist, wenngleich diese zumeist im Hässlichen liegt. Diese Welt ist zunächst dreckig, nass und verkommen. Erst als Stanton sich anderen Sphären zuwendet, und sich die Geschichte mehr in Richtung klassischer Film Noir-Erzählungen wendet, kontrastiert das Hässliche des Jahrmarkts mit der Eleganz der urbanen Welt, dort wo man sich unter den Reichen tummelt, dort wo alles glänzt und schimmert. Doch das Hässliche ist keine Eigenschaft der Oberflächen, sie greift tief und nistet sich in die Herzen der Menschen ein. Eine Psychoanalytikerin, gespielt von Cate Blanchett arbeitet in einem herrlich ausgestatteten Art Decó-Büro, doch selbst die Schönheit der Architektur kann nicht verbergen, dass hier Zwielichtiges von statten geht.
Del Toro verfilmt mit „Nightmare Alley“ einen amerikanischen Roman von William Lindsay Gresham aus dem Jahr 1946, und nur kurz nach Veröffentlichung des Buches erschien bereits eine Schwarz-Weiß-Fassung des Films, inszeniert von Edmund Gouldin. Diese erste Verfilmung ist deutlich stringenter erzählt, erlaubt sich weniger Pausen und folgt den klaren ästhetischen Regeln des Film Noir. Del Toro übernimmt die Archetypen des Noir, den Antihelden, das „Good Girl“ und die „Femme Fatale“ etwa, baut die Handlung aus und kommt so auf eine deutlich längere Laufzeit. Die wird erkauft durch teils etwas zu lange Dialoge, durch eine spielfreudige Inszenierung, die mit Schauwerten glänzen kann. Dabei fällt auf, dass die Länge des Films durchaus gerechtfertigt wäre, hätte man den Schwerpunkt besonders im letzten Drittel ein wenig verschoben, und anstatt der erwähnten Schauwerte das Leiden des Protagonisten klarer erzählt.
Del Toro schafft es dennoch, die ihm typischen Motive in die Handlung einzuweben, so zum Beispiel die Suche nach einer Vaterfigur, ein Motiv, welches in so einigen seiner Werke prominent vertreten ist und hier so deutlich wie noch nie zum Vorschein kommt. „Nightmare Alley“ ist ein düsterer, erwachsener Film, verspielt und kreativ, dabei jedoch mahnend auf die Welt blickend, die sich seit 1946 kaum gewandelt hat, und obwohl oberflächlich betrachtet einige von del Toros etablierten Motiven fehlen, etwa die eingangs erwähnten (fantastischen) Monster, ist es im Kern doch ein Film, der sich ohne Mühe in das Œuvre des Mexikaners einordnet.