Politics | Autonomie-Konvent

"Hohe Diskussionskultur"

Elmar Thaler, Landeskommandant der Schützen, hat bei den Open Spaces viel dazugelernt. Seine Bilanz ist "durchaus positiv".

Der Autonomie-Konvent geht in die zweite Runde: Heute, Freitag, werden die Teilnehmer am Forum der 100 ausgelost. Rund 1.800 Personen haben sich dafür beworben. Die Open Spaces, bei denen die Zivilbevölkerung Gelegenheit hatte, ihre Themen in die Diskussion rund um das neue Autonomiestatut einzubringen, sind Geschichte. Für Elmar Thaler, den Landeskommandanten des Südtiroler Schützenbundes, waren die Diskussionsrunden eine bereichernde Erfahrung.

Herr Thaler, welche Bilanz ziehen Sie von den Open Spaces?
Elmar Thaler: Ich habe an zwei Veranstaltungen teilgenommen und muss sagen, meine Bilanz ist durchaus positiv. Obwohl es nicht einfach ist, sich am Wochenende einen ganzen Tag Zeit zu nehmen, haben sich doch sehr viele Menschen in die Diskussion eingebracht, fast zweitausend, wie man hört. Ganz wichtig war für mich, dass bei den Open Spaces jeder in seiner Sprache reden konnte, das habe ich als ganz wunderbar empfunden. Jeder hat seine Sprache gesprochen und auch Antworten in der anderen Sprache bekommen. Das zeigt, dass wir in Sachen Zweisprachigkeit weiter sind, als es landläufig dargestellt wird. Natürlich hat es uns gefreut, dass Themen wie Selbstbestimmung, Schutz von Artikel 19 des Autonomiestatuts, Ortsnamen und Verhältnis zu Österreich immer wieder aufgetaucht und diskutiert worden sind. Das ist einerseits gut, weil die Leute, die mit derartigen Themen noch nicht so vertraut waren, sich dazu informieren konnten, andererseits aber auch, weil man Gegenargumente zu hören bekam, über die man jetzt nachdenken kann. Das war ja Sinn und Zweck der Open Spaces.

Haben Sie den Eindruck, dass im Rahmen dieser Diskussionsrunden echter Dialog möglich war und auch stattgefunden hat?
Durchaus. Schon die hohe Diskussionskultur, die ich erlebt habe, zeigt, dass die Leute interessiert waren, sich mit den Standpunkten von Andersdenkenden auseinanderzusetzen.

Die Meinungen zur Art und Weise, wie die Diskussion in den Gruppen geführt wurde, gehen aber deutlich auseinander.
In meinen Gruppen hat es so gut wie keine Meinungsverschiedenheiten zum Stil der Diskussion gegeben. Alles ist sehr zivilisiert abgelaufen. Die Art der Diskussionsführung war super, und zwar ganz von alleine. Natürlich hat es bestimmten Leuten nicht gefallen, dass beim Konvent über Themen gespochen wurde, die man nicht erwartet hatte. Von diesen Medien, zum Beispiel von den italienischen Medien, ist der Konvent beschossen worden. Ich sage: Wer dabei ist, redet mit und bestimmt mit. Was nutzt es, nicht mitzumachen und sich am nächsten Tag im stillen Kämmerlein zu ärgern? Es ist einfach zu wenig, als Schreibtischtäter, wenn man gerade Zeit und Lust hat, seine Meinung zum Besten zu geben. Man muss sich dem direkten Dialog stellen, Auge in Auge mit den anderen diskutieren. Wenn ich eine konträre Meinung höre, dann frage ich mich: Wieso denkt dieser Mensch anders als ich? Mir geht es zunächst einmal gar nicht so sehr darum zu verstehen, was er denkt, sondern eher, wieso er so denkt, wie er denkt. Das geht nur im direkten, spontanen Austausch.

War die Teilnahme an den Open Spaces für Sie also unter diesem Gesichtspunkt eine Bereichung?
Auf jeden Fall. Ich glaube, alle Diskussionteilnehmer hatten die Möglichkeit, von den anderen etwas zu lernen. Man entdeckt neue Gesichtspunkte, die man nicht berücksichtigt hat. Und nur wer das zulässt, kann sich weiter entwickeln.

Was haben Sie persönlich dazugelernt?
Was mir viel zu denken gegeben hat, waren die Wortmeldungen der Zweisprachigen. Da waren Leute, die gesagt haben, in meiner Familie gibt es eine deutschsprachige Mutter und einen italienischsprachigen Vater und deshalb sind Proporz und Sprachgruppenerklärung für mich ein Problem. Ein anderes Beispiel ist das Thema Selbstbestimmung. Manche Teilnehmer haben gesagt, wieso sollten wir die Selbstbestimmung oder die doppelte Staatsbürgerschaft verlangen, wo es uns doch heute gut geht in Südtirol. Diesen Menschen antworte ich: Ja, heute geht es uns gut, aber wir wissen nicht, was die Zukunft bringt, ob unsere Autonomie Bestand hat. Das hat mir gezeigt, wie kurfristig die Leute denken.

Sie haben also gelernt, dass Menschen, die den Selbstbestimmungsgedanken ablehnen, kurzfristig denken?
Ja, und dass sie Angst vor Veränderung haben. Hier gibt es einen großen Aufklärungsbedarf.

Es gibt Teilnehmer, die bei den Open Spaces das Gefühl hatten , nicht Individuen mit eigenen Gedanken und Gefühlen vor sich zu haben, sondern Träger von vorab formulierten Phrasen.

Ich habe das nicht so empfunden. Sicher hat jede Organisation ihre Kernthemen, die regelmäßig besprochen und propagiert werden. Ich kann mir deshalb gut vorstellen, dass Leute, die Mitglieder in einer Organisation sind, auch in einem bestimmten Jargon reden. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass beim Open Space trainierte Monster auftreten. Spätestens wenn ein Gegenargument auftaucht, wären solche Leute ja aufgeschmissen. Ich glaube eher, diese Kritik hat damit zu tun, dass der Konvent nicht so gelaufen ist, wie bestimmte Leute sich das vorgestellt haben.

Hat der Schützenbund seine Mitglieder auf den Konvent vorbereitet und dazu aufgefordert, an den Open Spaces teilzunehmen?
Wir waren der Meinung, dass die Open Spaces eine wichtige Gelegenheit sind, sich mit den Leuten direkt auseinanderzusetzen, und haben unsere Mitglieder gebeten, von dieser Gelegenheit Gebrauch zu machen. Wir haben zu den Leute gesagt: Ihr braucht nicht auf der Straße zu demonstrieren, wenn ihr da, wo diskutiert wird, nicht mitdiskutieren wollt.

Wäre es übertrieben zu behaupten, es sei ein gewisser Druck zur Teilnahme auf die Mitglieder ausgeübt worden?
Es ist kein Druck ausgeübt worden, im Gegenteil: Es wurde eine Bitte geäußert.

Sie haben gesagt, was Sie am Open Space so bereichert hat, war der direkte Dialog. Aber ist Dialog mit Andersdenkenden nicht auch im Alltag, also ohne Inszenierung, möglich? Braucht es dazu einen Open Space?
Im Alltag findet man halt nicht so leicht und in so konzentrierter Form Menschen, die sich mit politischen Themen auseinander setzen. Mir geht es oft so, dass ich mit Menschen über politische Themen rede und zur Antwort bekomme: Alles gut und recht, aber für Politik interessiere ich mich eigentlich nicht. Für viele stehen Arbeit, Familie, Sport im Vordergrund. Die sagen: Wir haben eigens Politiker gewählt, damit sie sich um diese Dinge kümmern, die sollen sich das ausmachen.

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Klemens Kössler Fri, 03/11/2016 - 09:46

In reply to by Günther Alois …

Im Konvent wurden verschiedene Ideen zur Zukunft unseres Landes besprochen. Die Aussage "heute geht es uns gut" ist eben genauso gefährlich und einfach.
Unsere Zukunft mit den Lottozahlen zu vergleichen bedeutet Sie halten die Zukunft für ein Glücksspiel.
An der Zukunft kann man, muss man arbeiten und nicht einfach nur einen Lottoschein kaufen.

Fri, 03/11/2016 - 09:46 Permalink
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gorgias Fri, 03/11/2016 - 11:19

In reply to by Klemens Kössler

Elmar Thaler ist dafür zu fordern, dass das Selbstbestimmungsrecht Südtirols in das neue Autonomiestatut gesetzt wird.
Das wurde hauptsächlich Infrage von jenen Infrage gestellt die nicht ganz seiner Meinung sind und nicht gegen die Selbstbestimmung sind. Da es nicht realistisch ist, dass das passieren wird und dass wahrscheinlich störend für den Ausbau der Autonomie ist. Wenn man im neuen Autonomiestatut keine Selbstbestimmungsklausel hat geht dieses Recht ja nicht verloren.
Nebenbei ist so eine Klausel kaum mehr als eine hohle Frase, weil wenn schon muss man ein Recht auf ein Sezessionsreferendum fordern, denn wenn die innere Selbstbestimmung gegeben ist wie das bei Südtirol eh der Fall ist, dann kann man über das Recht der Selbstbestimmung keine Loslösung von Italien fordern.

Elmar Thaler ist auch dafür zuerst einmal ein Sezessionsreferendum zu veranstalten und dann erst zu schauen ob man ein eigener Staat werden will oder zu Österreich zu gehen. So eine Gangart kann sich leicht als eine Reise ins Nirgendwo herausstellen ohne Mitgliedschaft in der EU und international isoliert.

Fri, 03/11/2016 - 11:19 Permalink
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Martin B. Fri, 03/11/2016 - 08:43

Gutes Interview. Thaler drückt sich offener als üblich aus und den Willen am Konvent-Dialog nimmt man ihm ab. Das gegenüberliegende Spektrum hat bisher eher andere abschätzige Eindrücke verlauten lassen und die Aktionen von Senator Palermo sind verwirrend. Es kann sein das die konsensfähigsten Bürger nicht so sehr Interesse an der Teilnahme hatten, aber trotz- oder gerade deswegen muß man solche Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung fördern und auch konkrete Ergebnisse in Politik und Gesetzgebung einbringen. Wir haben Politiker nicht zu allem delegiert und oft ist ein populistisches Korrektiv richtig.

Fri, 03/11/2016 - 08:43 Permalink