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"Sturm im Wasserglas"

Der Eurac-Minderheitenexperte Günther Rautz über die aktuelle Minderheiten-Situation in seiner Heimat. Ein Blick nach Kärnten, von Bozen aus.
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Foto: Foto: Minet

Salto.bz Als langjähriger Minderheitenexperte an der Eurac, wie blicken Sie gegenwärtig nach Kärnten, dem österreichischen Bundesland wo sie herstammen?
Günther Rautz:
Von der Symbolik her ist die ganze derzeitige Diskussion unnötig wie ein Kropf. Aber durch den Politikaktionismus der Kärntner ÖVP sieht man eben, wie sensibel Volksgruppenfragen weiterhin sind und dass scheinbar verheilte Wunden schnell wieder aufbrechen können.
Eingebettet ist die derzeitige Polemik in der Diskussion um eine neue Kärntner Landesverfassung, in der erstmals auch Slowenisch und Deutsch als Landessprachen genannt werden hätten sollen. Die Regierungskoalition aus SPÖ-ÖVP-Grünen einigte sich schlussendlich auf die von der ÖVP vorgeschlagene Formulierung: „Die Fürsorge des Landes und der Gemeinden gilt den deutsch- und slowenischsprachigen Landsleuten gleichermaßen“.
Kurz vor Beginn der Begutachtungsphase im Kärntner Landtag konnte ÖVP-Obmann Christian Benger seinen eigenen Vorschlag nicht mehr mittragen. Den plötzlichen Sinneswandel begründete er damit, dass der Satz das Land spalte, weil eine Gleichstellung der beiden Sprachgruppen von der Bevölkerung nicht mitgetragen werden würde.

Wahlgeplänkel...?
Die weitläufigen Reaktionen zeigen jedoch, dass Obmann Benger um sein politisches Leben in der ÖVP kämpft. Einerseits glauben einige Kreise in der ÖVP nach wie vor, mit volkstumspolitischen Themen Stimmen bekommen zu können. Andererseits sieht die Verfassungsreform die Abschaffung des Regierungsproporzes vor, der bisher der ÖVP auch einen Regierungssitz sicherte. Da die ÖVP Kärnten allerdings inzwischen unter 15 Prozent stagniert mit Tendenz fallend, könnte sie sich nach den Landtagswahlen 2018 in der Opposition wiederfinden.
Es ist Vorwahlkampfzeit auf dem Rücken der Minderheit. Aber nicht nur. Angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage des Landes und anderen gesellschaftspolitischen Herausforderungen, wie der massiven Abwanderung aus Kärnten, gibt es auch eine unverantwortliche Politik auf dem Rücken aller Menschen, die dieses Land neu gestalten und der Bevölkerung eine Perspektive geben möchten.

Ein Punkt aber, der Kärnten von Südtirol stark unterscheidet, ist die unterentwickelte Zivilgesellschaft.

Wie konnte die Sensibilität für Minderheitenfragen in Kärnten auf ein Minimum sinken?
Der Anlassfall zeigt, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Spätestens seit dem Kompromiss zur Errichtung zweisprachiger Ortstafeln aus dem Jahr 2011 hat sich das Klima zwischen den Volksgruppenvertretern und den politischen Entscheidungsträgern auf Landes- und Bundesebene deutlich verbessert. Die Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht nehmen kontinuierlich zu, die mediale Berichterstattung ist ausgeglichen wie nie zuvor und erstmals gibt es slowenische Bürgermeister auf Gemeindeebene, die auch von der deutschsprachigen Mehrheit gewählt werden. Die neue Kärntner Landesverfassung sollte gerade dieses seit 5 Jahren vorherrschende positive Klima zwischen Mehrheit und Minderheit widerspiegeln.
Ein Punkt aber, der Kärnten von Südtirol stark unterscheidet, ist die unterentwickelte Zivilgesellschaft. Abseits des Parteienspektrums gibt es kaum meinungsbildende Einflussfaktoren. Es gibt keine starke Wirtschaft oder einen selbstbewussten Bauernstand, die Kulturtreibenden hängen ausschließlich von öffentlichen Geldern ab, die Beamtenschaft wird je nach Regierungskoalition parteipolitisch umgefärbt, junge engagierte Leute verlassen das Land, auch die Kirche schwieg bisher zur laufenden Diskussion. Und ein offener Brief der Universität, der klar Stellung zur Politikposse rund um die Nennung des Slowenischen in der Landesverfassung nimmt, wurde auch erst auf Betreiben eines Südtiroler Professors, der seit kurzem in Klagenfurt lehrt, lanciert.

Die vor hundert Jahren noch mehrheitlich slowenischsprachige Bevölkerung in Südkärnten schrumpfte so auf weniger als 3 Prozent landesweit.

Warum ist die Sensibilität für Minderheiten in Österreich derart gering? Wie ist das zu verstehen, in einem Land, das so lange den Vielvölkerstaat propagierte?
Österreich hat sich ja erst sehr spät mit der eigenen Geschichte – vor allem während des Nationalsozialismus – auseinandergesetzt. Erst die Affäre Waldheim verschob das allgemein gültige Credo vom ersten Opfer zur Mittäterschaft. Am Beispiel der Kärntner Slowenen sieht man deutlich, die Schwierigkeiten Österreichs, sich nach Zerfall der Habsburgermonarchie als kleine Staatsnation zu definieren und eine eigenständige österreichischen Identität aufzubauen.
So waren bei der Volksabstimmung 1920 die Stimmen der Slowenen noch ausschlaggebend für den Verbleib des besetzten und umkämpften Südkärntens bei Österreich, einem Staat den damals eigentlich niemand wollte. Ab 1942 war es wiederum der Widerstand der Kärntner Slowenen, der zur Erlangung der staatlichen Souveränität Österreichs maßgeblich beitrug. Dieser einzige organisierte bewaffnete Kampf gegen das NS-Regime gab den Ausschlag, dass sich nach 1945 die Alliierten auf ein unabhängiges neutrales Österreich einigen konnten. Wiederum verpflichtete sich Österreich im Staatsvertrag von Wien den Slowenen Rechte einzuräumen, die aber nur sehr mangelhaft umgesetzt wurden. Die vor hundert Jahren noch mehrheitlich slowenischsprachige Bevölkerung in Südkärnten schrumpfte so auf weniger als 3 Prozent landesweit.

Sie haben selbst einen Kärntner-Slowenischen Hintergrund?
Als Kind wurde am Land noch viel Windisch gesprochen, ein slowenischer Dialekt mit vielen deutschen Lehnwörtern. Aber mit dem Sterben der älteren Generationen ist das Slowenische fast völlig aus der Öffentlichkeit verschwunden. Gut in Erinnerung sind mir noch die Attentate aus den 70er Jahren, einer Zeit in der auch in Kärnten Denkmäler gesprengt oder öffentliche Einrichtungen wie Schulen beschmiert wurden. Ich selbst spreche zwar kein Slowenisch, aber ich versuche meine wissenschaftliche Expertise und auch die Erfahrungen, die ich in Südtirol machen kann, in den Kärntner Diskurs einzubringen.

Intellektuelle wie Peter Handke haben die Geschichte der Kärntner Slowenen auf die Bühne gebracht. Unlängst auch in Bozen. Was spüren Kärntner und Kärntnerinnen, wenn sie ihrer eigenen Geschichte über das Theater begegnen? Immer noch Sturm?
Derzeit ein Sturm im Wasserglas, der sich hoffentlich bald wieder legen wird. Inszenierungen wie die des Stadttheater Bozens zu Handke oder zur Option sind wichtig und zeigen, dass es oft Generationen braucht, um überhaupt solche ethnischen Konflikte aus einer gewissen Distanz objektiv betrachten zu können. Dabei muss nicht mal sofort ein gemeinsames Narrativ entstehen. Es ist schon viel, wenn man den Standpunkt des anderen hört und ihn akzeptieren kann. Der nächste Schritt wird sowohl in Kärnten als auch in Südtirol die Arbeit an Narrativen sein, die gemeinsam identitätsstiftend wirken sollten.

Im Gegensatz zum Südtirolkonvent hat es in Kärnten keinerlei Bürgerbeteiligung bei der Neufassung der Landesverfassung gegeben.

Welche Empfehlung würden sie als Minderheitenexperte den politisch Verantwortlichen Kärntnerinnen und Kärntnern mit auf den Weg geben?
Als Jurist sehe ich die ganze Diskussion um den Slowenenpassus in der Landesverfassung recht gelassen. Sowohl die ursprüngliche Formulierung als auch der neue Kompromissvorschlag sind ja mit keinerlei Rechten verbunden und hätten nur Symbolwirkung. Politisch wohl kaum umsetzbar aber wünschenswert wären ein komplettes Aufknüpfen des Pakets und ein Neuanfang. Im Gegensatz zum Südtirolkonvent hat es in Kärnten keinerlei Bürgerbeteiligung bei der Neufassung der Landesverfassung gegeben. Ich bin mir sicher, dass solche politischen Umfaller wie eben von der Kärntner ÖVP – oder Bauchgefühle wie sie ÖVP Obmann Benger nennt –  unmöglich gewesen wären, wenn die Bevölkerung von Anfang an mitgenommen worden wäre und sich einbringen hätte können.
Die breite Solidarität für die Slowenen innerhalb der Kärntner Gesellschaft, aus ganz Österreich und aus anderen Minderheitengebieten in Europa sollte den verständlichen Missmut unter den Minderheitenvertretern in eine konstruktive Phase der Zusammenarbeit umwandeln. Gemeinsam mit Landeshauptmann Kaiser, den Medien und einer nun doch wenn auch zaghaft aktiv gewordenen Zivilgesellschaft sollte man ganz klar die wichtigen Zukunftsthemen angehen, bei denen gerade die mehrsprachige Minderheit eine ganz wichtige Rolle als Brückenbauer im Alpen Adria Raum spielen könnte.

Umgekehrt diskutiert man in Südtirol mittlerweile die Minderheit der „Italiener“. Ist diese Situation nicht paradox?
Dieses Mehrheit-Minderheitphänomen hat es in Südtirol doch schon immer gegeben. Je nachdem wo man lebt und in welchem sozialen Umfeld man sich bewegt, kommt man recht rasch von einer Mehrheits- in eine Minderheitensituation und umgekehrt. Die echten Herausforderungen sind meiner Meinung nach das Verhältnis Stadt – Land und der Umgang mit der größer werdenden Zahl an Migranten, der Demographie, Technologisierung und Umwelt. Und bei diesen wichtigen globalen Themen sitzen wir alle im selben Boot.