Society | Interview

„Ich hab mich nie einsam gefühlt“

Der Südtiroler Alpinist Simon Gietl schaffte die erste Solo-Winterbegehung der Rosengarten-Skyline – sein zweiter Versuch hat sich ausgezahlt.
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Foto: Simon Gietl

Über drei Tage war der 38-jährige Bergführer aus Luttach (Ahrntal) im Rosengarten unterwegs und kletterte vom Süden Richtung Norden über den bekannten Kamm der Dolomiten, 5.000 Höhenmeter, 17 Kilometer lang. Der erste Versuch mit zwei Freunden war wegen eines Unfalls abrupt geendet.

 

 

Salto.bz: Wie kam es zu der Idee, die Skyline des Rosengartens im Winter zu besteigen?

Simon Gietl: Ich hatte bereits vor ein paar Jahren die Idee, die Gipfel des Rosengartens zu besteigen. Heuer habe ich gemerkt, dass mich die Begehung wirklich reizt. Der Winter war dafür ideal, weil es zu dieser Jahreszeit nochmal anspruchsvoller ist und weniger Leute in den Bergen unterwegs sind. Allerdings kannte ich außer der Rotwand die Gipfel nicht. Deshalb habe ich mich an meinen Bergführerkollegen Egon Resch gewandt, der vor Ort wohnt. und mit seinem Freund Daniel Horst 90 Prozent der Gipfel schon bestiegen ist. Wir beschlossen, die Gipfel zu dritt im Winter zu besteigen. Das hat den Vorteil, dass wir uns beim Spuren (bedeutet im Tiefschnee als Erster voranzugehen, Anmerkung d. R.) im Schnee auch abwechseln und das Gewicht für vier Tage besser aufteilen konnten.

Du bist die Route dann trotzdem alleine gegangen. Warum?

Mitte Februar konnten wir bei mildem Wetter am Karerpass starten. Es lief alles gut, bis Egon am dritten Tag ein Stein auf die Hand fiel. Einer seiner Finger war so stark verletzt, dass wir das Projekt abgebrochen haben. Er wurde am nächsten Tag im Krankenhaus operiert und sein Finger wird keine bleibenden Schäden haben. Bei einem Gespräch merkte er, dass ich noch immer sehr motiviert war und schlug vor, dass Daniel und ich die Begehung zu zweit machen sollten. Allerdings konnte Daniel sich bei seiner Arbeit nicht flexibel frei nehmen. Deshalb startete ich bei stabiler Wetterlage und geeigneten Verhältnissen den Versuch alleine. Beide gaben mir während der Begehung am Telefon Informationen zum Gelände. Das war wichtig, da ich einmal fast die Orientierung verloren hätte.

 

Das war wichtig, da ich einmal fast die Orientierung verloren hätte.

 

Wie bist du bei der Begehung vorgegangen?

Nach meinem Entschluss alleine zu gehen, plante ich die Begehung mit drei Biwaks und packte meinen Rucksack mit den unbedingt notwendigen Dingen. Am Ende wog der Rucksack dann 18 Kilo, für eine viertägige Kletterroute kein leichtes Gewicht.

Musstest du dich beim Klettern dann selbst sichern?

Schlussendlich gesichert habe ich mich bei den ungefähr acht Seillängen nur selten. Durch meine Erfahrung habe ich ein Gefühl entwickelt, wann es wirklich notwendig ist, sich zu sichern; als ich alleine die Drei Zinnen bestiegen habe zum Beispiel. Die Sicherung stellt einen großen Zeitaufwand dar. Die Kletterrouten waren zudem nicht extrem schwierig, sondern zwischen dem dritten und fünften Schwierigkeitsgrad.

 

Wie war es für dich, während dem Klettern keinem einzigen Menschen zu begegnen?

Das Alleine-Sein, wenn es dunkel wird, die Nacht kommt und du da oben bist, klingt von außen betrachtet eigentlich als etwas Bedrohliches. Diese Herausforderung nicht als Feind, sondern als Freund zu betrachten, ist die Kunst und dann macht dir die Situation, in der du bist, Freude. Denn nur mit dir alleine erkennst du, wer du eigentlich bist und verstehst deine Stärken und Schwächen. Durch solche Erfahrungen lerne ich neue Seiten von mir kennen und merke, dass ich gut mit mir selbst zurechtkomme. In diesen drei langen Tagen am Rosengarten habe ich mich nie einsam gefühlt.

 

Denn nur mit dir alleine erkennst du, wer du eigentlich bist und verstehst deine Stärken und Schwächen.

 

 

Wie ist die Begehung zu Ende gegangen?

Nach dem letzten Gipfel am dritten Tag war es bereits spät, ich wollte ein Biwak machen und in den letzten Stunden am Berg, die Erlebnisse Revue passieren lassen, bevor ich ins normale Leben tauche. Als ich mit meinen beiden Freunden telefonierte, erfuhr ich dann, dass sie schon gestartet sind, um mir entgegenzugehen. Die Nudeln seien bereits hergerichtet und das Bier stehe im Kühlschrank. Diese Geste freute mich sehr, denn ich hatte das Projekt mit ihnen angefangen und nun konnte ich es mit ihnen zu Ende führen. Sie freuten sich mit mir und es wurde ein langer Abend.

Nach Angaben deiner Webseite lautet dein Motto „Fühl dich stark, aber nicht unsterblich.“ Was hat es damit auf sich?

Ein paar Jahre nachdem ich mit dem Klettern angefangen hatte, hatte ich einen Kletterunfall, der zum Glück gut ausgegangen ist. Danach konnte ich eine Zeit lang nicht mehr trainieren. Als ich zum ersten Mal nach dem Unfall zu meiner kleinen Trainingswand in den Keller ging, um zu trainieren, nahm ich instinktiv einen Stift in die Hand. Ohne lange nachzudenken, schrieb ich diesen Satz auf die Kletterwand. Erst später verstand ich, wie tiefgründig und wichtig der Satz für mein Leben wurde. Denn er bedeutet, sich auch über die Risiken im Klettersport im Klaren zu sein und auf das eigene Leben aufzupassen. Es ist sehr wichtig, zu wissen, was man kann. Aber es ist noch wichtiger zu wissen, was man nicht kann.

 

Erst später verstand ich, wie tiefgründig und wichtig der Satz für mein Leben wurde.

 

Welches Ziel verfolgst du damit, wenn du die Abenteuer in den Bergen auf deiner Webseite festhältst und Vorträge dazu hältst?

Ich will den Menschen erzählen, dass ich das große Glück habe, meinen Weg gefunden zu haben. Mit meiner Geschichte will ich vermitteln, wie wichtig es ist, Spaß am eigenen Tun zu haben – auch wenn es Mut braucht, den eigenen Weg zu gehen. Zudem gehören, wie allgemein bekannt sein dürfte, öffentlichkeitswirksame Aktionen zu der Zusammenarbeit von Sportlern und Sponsoren.

Und wie bist du zu deinem Weg gekommen?

Als Kind in der Schule fiel es mir sehr schwer, gute Noten zu schreiben und bei Gruppenarbeiten wurde ich immer als einer der Letzten ausgewählt. Ich fühlte mich als Außenseiter. Das war bitter und hat mich als Kind tief getroffen. Ich entschied, so schnell wie möglich aus der Schule zu kommen und lernte Tischler. Als Jugendlicher war ich außerdem im Lauf-, Fußball- und Mountainbike-Verein dabei. Das gab mir viel und ich war nicht immer der Schlechteste. Auch wenn mir die Sportarten gefielen, fehlte mir bei der Ausübung aber noch etwas. Als ich mit 18 Jahren Autostopp machte, nahm mich ein älterer Herr mit, der mir von seiner Klettertour auf der Großen Zinne erzählte. Ich war von seinen Erzählungen so begeistert, dass ich das Klettern in den Bergen selbst ausprobieren wollte.